Fraktionen fordern Bekämpfung jeglicher Bedrohung jüdischen Lebens
85 Jahre nach der Reichspogromnacht vom 9. November 1938 haben Vertreter der Regierungskoalition und der Opposition in einer Vereinbarte Debatte zum Thema „Historische Verantwortung wahrnehmen – Jüdisches Leben in Deutschland schützen“ am Donnerstag, 9. November 2023, im Bundestag angesichts der antisemitischen Ausfälle in Deutschland nach dem Terrorangriff der palästinensischen Hamas auf Israel am 7. Oktober eine entschiedene Bekämpfung jeglicher Bedrohung jüdischen Lebens in der Bundesrepublik gefordert. Es sei unerträglich, dass viele Jüdinnen und Juden auch in Deutschland offenen Antisemitismus und Hass erlebten, sagte Bundestagspräsidentin Bärbel Bas zu Beginn der Sitzung. Die historische Verantwortung Deutschlands für den Holocaust müsse sich jetzt in konkretem Handeln zeigen, mahnte Bas und betonte: „,Nie wieder!' ist jetzt.“
Ministerin Faeser: Wir arbeiten an weiteren Verboten
In der Debatte, die die Holocaustüberlebende Margot Friedländer sowie der Präsident des Zentralrats der Juden in Deutschland, Josef Schuster, und der israelische Botschafter Ron Prosor auf der Ehrentribüne verfolgten, rief Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) dazu auf, sich dem Hass gegen Juden noch deutlicher entgegenzustellen.
Viele Juden wagten in diesen Tagen nicht, sich in der Öffentlichkeit als jüdisch zu erkennen zu geben. Es beschäme sie, „wenn jüdische Kinder Angst haben müssen, zur Kita oder in die Schule zu gehen“. Das werde man nicht hinnehmen, betonte die Ressortchefin und fügte mit Blick auf die jüngst erlassenen Betätigungsverbote für die Hamas und das Netzwerk Samidoun hinzu: „Wir arbeiten schon an weiteren Verboten“.
CDU/CSU: Antisemitismus als Volksverhetzung einstufen
Alexander Dobrindt (CDU/CSU) forderte gesetzliche Maßnahmen zum „Kampf gegen Judenhass auf unseren Straßen“. Er plädierte dafür, Antisemitismus als besonders schweren Fall der Volksverhetzung einzustufen und Hetze gegen Israel mit einer Mindestfreiheitsstrafe von sechs Monaten zu belegen. Auch müsse festgeschrieben werden, dass antisemitische Straftaten zu einer „regelhaften Ausweisung“ führen.
Zudem sei der Passentzug für Menschen mit doppelter Staatsangehörigkeit bei einer Verurteilung wegen antisemitischer Straftaten zu regeln. „Wer nicht mit Israel leben will und nicht friedlich mit Juden leben will, der kann auch nicht in Deutschland leben“, fügte Dobrindt hinzu.
Minister Özdemir fordert, sich dem Hass entgegenzustellen
Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) appellierte an alle Menschen in Deutschland, sich antisemitischem Hass entgegenzustellen. Dies sei die „vornehmste republikanische Pflicht eines jeden Bürgers dieses Landes, von uns allen“, sagte er.
Der Kampf gegen Antisemitismus könne nur erfolgreich sein, wenn man parteiübergreifend zusammenstehe, mahnte Özdemir und wandte sich gegen einen „selektiven Blick auf die Realität des Antisemitismus“, der sowohl von links, von rechts als auch von Muslimen ausgehe.
AfD: Neuer Judenhass aus dem Nahen Osten
Beatrix von Storch (AfD) sagte, jüdisches Leben in der Bundesrepublik sei noch nie so bedroht gewesen wie heute. Dabei habe ein „neuer Judenhass“ aus dem Nahen Osten nach Europa einziehen können, „weil die linke Migrationslobby die Tore weit geöffnet hat“.
Auf Palästinenser-Demonstrationen sehe man in diesen Tagen Islamisten und Linke vereint. Diejenigen, die derzeit „auf unseren Straßen demonstrieren“, gefährdeten das jüdische Leben, die freiheitlich demokratische Grundordnung und die Zukunft Deutschlands.
FDP fordert Änderung des Staatsbürgerschaftsrechts
Auch Christian Dürr (FDP) rief alle Bürger zum Schutz von Jüdinnen und Juden auf. Dieser Schutz sei ein Auftrag an den Staat, „aber auch an jede Bürgerin und jeden Bürger dieses Landes“. Er erwarte von jedem, der Teil der hiesigen Gesellschaft sein wolle, dass er sich dem Schutz jüdischen Lebens in Deutschland verpflichtet fühlt.
Er beklagte zugleich, dass in Deutschland viele Jahre lang auch Personen eingebürgert worden seien, obwohl sie antisemitisch auffällig geworden seien. Daher müsse das Staatsbürgerschaftsrecht geändert werden: „Keiner von diesen Leuten darf mehr deutscher Staatsbürger werden“, unterstrich Dürr.
Linke: Pflicht aller Bürger, jüdisches Leben zu beschützen
Auch Dietmar Bartsch (Die Linke) nannte es die Pflicht aller Bürger, jüdisches Leben in Deutschland zu beschützen. Es sei eine „Schande“, dass jüdische Einrichtungen hierzulande geschützt werden müssten.
Jüdisches Leben in Deutschland sei in Gefahr und sei dies immer gewesen, fügte Bartsch hinzu und wandte sich dagegen, nur von einem „importierten Antisemitismus“ zu reden. Deutschland habe „genug eigenen Antisemitismus“, der durch Zuwanderung verstärkt werde.
SPD: Tag der Solidarität mit jüdischen Menschen
Simona Koß (SPD) sagte, der 9. November sei ein „Tag der Solidarität mit jüdischen Menschen“ sowie ein „Tag der Zivilcourage und der Verteidigung unserer Demokratie“.
Sie appellierte an die Menschen im Land, einzuschreiten, wenn in diesen Tagen wieder Juden angegriffen werden. „Zögern Sie nicht und widersprechen Sie sofort“, fügte Koß hinzu.
Grüne: Sicherheit Israels und der Juden ist Staatsraison
Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) unterstrich, es sei Konsens unter den demokratischen Parteien Deutschlands, dass die Sicherheit Israels und der Juden deutsche Staatsraison ist. Dieser Konsens müsse aber „endlich konsequent und schnell pragmatische Umsetzung erfahren“.
Niemand dürfe akzeptieren, dass Juden sich in diesen Tagen in der für sie bedrohlichsten Lage seit der Gründung der Bundesrepublik sehen.
Überweisung von zwei Entschließungsanträgen
Die Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP hatten zur Aussprache einen Entschließungsantrag (20/9149) eingebracht, den das Parlament zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Inneres und Heimat überwies. Darin fordern die Abgeordneten, unmissverständlich und mit allen rechtsstaatlichen Mitteln Antisemitismus in Deutschland, in Europa und weltweit entschieden zu bekämpfen sowie das Existenzrecht Israels aktiv und unzweideutig auf allen Ebenen und in der gesamten Gesellschaft einzufordern und die Sicherheit Israels entschlossen zu verteidigen.
Auch einen Entschließungsantrag der CDU/CSU (20/9145) überwiesen die Abgeordneten zur weiteren Beratung an den Ausschuss für Inneres und Heimat. Darin fordert die Fraktion unter anderem, dass die Bundesrepublik unmissverständlich, mit Nachdruck und ihrer historischen Verantwortung gerecht werdend innerhalb der internationalen Organisationen und der Europäischen Union dafür eintritt, dass der Staat Israel, sein legitimes Recht auf Selbstverteidigung sowie der Kampf gegen den Terror geschlossen und solidarisch unterstützt werden. (sto/09.11.2023)