Laschet: Europarat als Förderer von Demokratie und Menschenrechten
Angesichts von Menschen- und Völkerrechtsverstößen stiftet der Europarat Orientierung und Ordnung, sagt Armin Laschet (CDU/CSU). Und zwar, indem sich seine Mitglieder zu gemeinsamen Werten bekennen und die Einrichtung eines Schadensregisters beschlossen haben, so der stellvertretende Leiter der deutschen Delegation zur Parlamentarischen Versammlung des Europarates (Europarat PV), die vom 9. bis 13. Oktober 2023 zu ihrer vierten Sitzungswoche zusammengekommen ist.
Wie der Europarat durch die Förderung von Demokratie, Menschenrechten und Dialog zur Konfliktprävention beiträgt, was die Versammlung gegen Rechtsextremismus und beim Thema Zuwanderung vorschlägt und wie die junge Generation stärker in die Arbeit der Organisation eingebunden werden kann, darüber spricht Laschet im Interview. Das Interview im Wortlaut:
Herr Laschet, in einer Zeit, in der das Völkerrecht von großen Mitgliedern der Staatengemeinschaft wie Russland brutal in Frage gestellt wird und in der autoritäre Regierungen unter Verletzung der universal geltenden Menschenrechte die eigene Bevölkerung drangsalieren, können da die Bürgerinnen und Bürger auf den Europarat als ordnungs- und rechtsstiftende Organisation setzen?
Der Europarat wird dieser Verantwortung gerecht. Der russische Krieg gegen die Ukraine stand beispielsweise im Mittelpunkt des Treffens der Staats- und Regierungschefs des Europarates im Mai 2023 in Reykjavik. Die Mitgliedstaaten haben infolge der russischen Aggression die Einrichtung eines Schadensregisters beschlossen. Es geht um die Etablierung eines internationalen Entschädigungsmechanismus, bei dem beispielsweise eine Kommission die Schäden prüfen könnte und Opfer aus einem Entschädigungsfonds ausgezahlt werden. Das Schadensregister wird auch von Kanada, Japan und den USA sowie der EU unterstützt. Außerdem haben die Staats- und Regierungschefs eine Erklärung verabschiedet, in denen sie ihr Bekenntnis zu den Grundsätzen der Demokratie und der Europäischen Menschenrechtskonvention erneuern.
Die Menschenrechte geraten vor allem in kriegerischen Auseinandersetzungen unter Druck. Wird der Europarat daher künftig auch die internationale Konfliktprävention stärker in den Blick nehmen?
Die Kernaufgabe des Europarates ist die Förderung der Zusammenarbeit seiner Mitgliedstaaten, die Förderung der Rechtsstaatlichkeit und der Schutz der Menschenrechte. Zusammenarbeit, Dialog und Rechtsstaatlichkeit dienen natürlich auch der Konfliktprävention. Die internationale Krisen- und Konfliktprävention im Sinne von Peacekeeping oder Peacebuilding sehe ich jedoch bei der Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE), bei den Vereinten Nationen und der EU. Diese Organisationen können im Rahmen kollektiver Sicherheit tätig werden. In Artikel 1c der Satzung des Europarates wird darauf Bezug genommen.
Sind die Wahrung des Völkerrechts und der Menschenrechte nicht zwei Seiten ein- und derselben Medaille?
Völkerrecht und Menschenrechte bauen aufeinander auf. So definiert die Charta der Vereinten Nationen beispielsweise grundlegende Menschenrechte. Dennoch sind Völkerrecht und Menschenrechte nicht gleichzusetzen. Das Völkerrecht regelt ja beispielsweise auch die Gründung, Anerkennung und Nachfolge von Staaten, staatenübergreifende Verträge, Haftungsfragen und so weiter. Der Europarat verabschiedet Konventionen, die Menschenrechte einfordern und präzisieren. Die wichtigste ist die Europäische Menschenrechtskonvention. Für die Umsetzung der Konventionen ist der Europarat in seinen Mitgliedsländern zuständig. Weil die Mitgliedsländer diese Konventionen unterzeichnen, sind sie dann auch Teil des regionalen Völkerrechts. Wir können aber nicht die hohen Standards der Europäischen Menschenrechtskonvention auf die ganze Welt übertragen. Wir können dafür nur werben.
Die Versammlung hat einen Bericht zu dem Thema der „Rolle des Europarates bei der Verhütung von Konflikten, der Wiederherstellung der Glaubwürdigkeit internationaler Institutionen und der Förderung des globalen Friedens“ angenommen. Was sind in dieser Hinsicht die Ergebnisse der Dringlichkeitsdebatte zur Situation in Bergkarabach?
Der von Ihnen angesprochene Bericht fordert, dass der Europarat mehr Ressourcen in die Prävention von Konflikten und in die Friedensförderung investieren sollte. Entsprechend seinen Aufgaben kann der Europarat das tun, indem er Demokratie und Menschenrechte und den Dialog fördert. Weil Demokratien erfahrungsgemäß so gut wie keine Kriege gegeneinander führen, ist Demokratie und Rechtsstaatlichkeit eben auch Prävention. Dafür hat der Europarat gute Instrumente, beispielsweise das Monitoring-Komitee oder den Menschenrechtskommissar. Im Fall Bergkarabach sind Armenien und Aserbaidschan beide Mitglieder des Europarates. Der Europarat fordert, dass Aserbaidschan die Rechte der vertriebenen armenischen Bevölkerung achtet und bietet Armenien Unterstützung bei der Bewältigung der humanitären Probleme an. Dafür ist es notwendig, dass das Gebiet internationalen Organisationen zugänglich ist.
In der zurückliegenden Sitzungswoche hat die Versammlung zudem einen Bericht angenommen, in dem es um die Herausforderungen für Demokratie und Menschenrechte in Europa durch rechtsextreme Ideologie geht. Was sind darin für Sie die wichtigsten Punkte?
In vielen Mitgliedstaaten des Europarates wird der Rechtsextremismus als Bedrohung für die Demokratie, die Rechtsstaatlichkeit und die Menschenrechte wahrgenommen. In Deutschland erinnere ich an die grausamen Morde der Terrorzelle „Nationalsozialistischer Untergrund“ oder auch an den Anschlag auf die Synagoge in Halle. Hassreden und Hetze in der Öffentlichkeit und in den sozialen Medien gehören leider zum Alltag. Der Bericht nimmt Politiker in eine besondere Verantwortung, sich dem engagiert entgegenzustellen und unsere Werte zu verteidigen. Die Regierungen sollen laut dem Bericht die Gesetzgebung gegen Rechtsextremismus stärken, aber auch die politische Bildung und die Medienkompetenz, um die Online-Radikalisierung zu bekämpfen.
Auch innerhalb der Mitgliedsländer kommt es immer wieder zu Menschenrechtsverletzungen. Im Fall von Osman Kavala hat die türkische Regierung das Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte nicht umgesetzt. Nun wurde gegen den Menschenrechtsaktivisten von einem türkischen Gericht eine lebenslange Haft verhängt. Wie fällt die Reaktion der Europarats-Parlamentarier aus?
Die Parlamentarische Versammlung des Europarates hat die Freilassung von Osman Kavala schon in mehreren Resolutionen gefordert. Der Europäische Gerichtshof hat ganz eindeutig die Freilassung von Osman Kavala gefordert und das fordern wir auch ein. Vierteljährlich tagt das Ministerkomitee zur Überprüfung der Urteile des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte. Auch Außenministerin Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) spricht die Freilassung von Osman Kavala an. Wir haben bei der letzten Sitzung als deutsche Delegation ein Gespräch mit der Ehefrau von Osman Kavala geführt, die den Vaclav-Havel-Menschenrechtspreis stellvertretend für ihren inhaftierten Mann entgegengenommen hat.
Was kann die Versammlung gegen diesen weiteren Schritt der Entfremdung zwischen einem großen Mitglied und der Wertegemeinschaft des Europarates tun?
Es ist richtig, dass die Weigerung der Türkei, Osman Kavala entsprechend dem Urteil des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte freizulassen, gegen die Werte des Europarates verstößt. Die Konventionen und Beschlüsse des Europarates werden von den Mitgliedern manchmal mehr und manchmal weniger gut umgesetzt. Darüber wird aber Transparenz hergestellt. Schauen Sie auf die Homepage des Europarates. Dort werden abgeschlossene und offene Fälle des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte in den Mitgliedstaaten dokumentiert. Schon diese Transparenz bewirkt etwas, manchmal verbunden mit etwas mehr Geduld als in anderen Fällen.
Die Versammlung hat sich angesichts der sich häufenden Todesfälle im Mittelmeer sowie angesichts der Instrumentalisierung in der Öffentlichkeit auch mit dem Thema Migration und Asyl befasst. Wie hat sich die deutsche Delegation positioniert und was empfehlen Sie persönlich für einen Weg, mit Menschen auf der Flucht und wanderungswilligen Menschen umzugehen?
Der Bericht des Europarates beschäftigt sich damit, dass das Thema Migration zu einer Belastung für den sozialen Zusammenhalt in den europäischen Gesellschaften geworden ist. Dabei wird hervorgehoben, dass öffentliche Meinungsäußerungen und auch Protest und Kritik gegen eine liberale Zuwanderungspolitik in einer Demokratie möglich sein muss, aber nicht durch Hass und Hetze und nicht mit Gewalt. Diese Auffassung teile ich. Ich bin für Zuwanderung, aber gegen irreguläre Zuwanderung und ich wünsche mir ein tolerantes und für Zuwanderung offenes Deutschland. Dabei gilt es aber auch, zwischen Asyl und Fachkräftezuwanderung zu unterscheiden. Ich stehe dazu, dass politisch Verfolgte in Deutschland Asyl erhalten, wie das Grundgesetz es fordert. Aber ich begrüße auch den Asylkompromiss, den die EU gefunden hat, denn es gibt auch Grenzen unserer Möglichkeiten.
Was für Anstrengungen unternimmt der Europarat, um seine Rolle bei den Menschen bekannter zu machen?
Aus meiner Sicht ist es vor allem eine Aufgabe der Mitglieder der Parlamentarischen Versammlung, ihre Arbeit im Europarat präsent zu machen. Beispielsweise können die Mitglieder Besuchergruppen nach Straßburg einladen. Ich bin ja mit vielen Menschen im Gespräch und werde zu Vorträgen und Reden eingeladen. So ist es auch bei anderen Kollegen. Ich würde mir dennoch eine Aufwertung des Europarates wünschen. In der 70-jährigen Geschichte der Organisation haben sich die Staats- und Regierungschefs in Reykjavik zum vierten Mal getroffen. Auf Initiative von Frankreichs Präsident Emmanuel Macron treffen sich die europäischen Staats- und Regierungschefs im Rahmen einer Europäischen Politischen Gemeinschaft nun zweimal im Jahr. Das ist aber derselbe Personenkreis wie beim Europarat. Warum verbindet man diese Initiative nicht mit dem Europarat?
Am 16. und 17. November plant die deutsche Delegation wieder eine Jugendkonferenz mit Jugendvertreterinnen aus den Mitgliedstaaten im Deutschen Bundestag auszurichten. Was passiert mit den Ideen und Forderungen der jungen Leute?
Bereits im letzten Jahr waren 60 junge Menschen aus 25 Mitgliedstaaten des Europarates im Bundestag. Ich habe mit ihnen gesprochen und wir hatten sehr interessante und engagierte Diskussionen. Es fanden außerdem Workshops statt, in denen die Jugendlichen Forderungen an die Politik aufstellten, beispielsweise Jugendliche in die Lösung internationaler Krisen einzubinden oder auch die psychische Gesundheit junger Menschen stärker in den Blick zu nehmen. Die Ideen sind gut und richtig, denn wir können internationale Krisen nicht lösen, ohne junge Menschen in Friedensprozesse einzubinden. Die Beziehungen zwischen den Ländern müssen vor allem in den Herzen verankert werden. Das ist ja ein Ziel, das auch das Deutsch-Französische Jugendwerk verfolgt.
Wird dieses Format nun zu einer Dauereinrichtung?
Ich begrüße die Idee, die Berliner Konferenz mit jungen Menschen zu verstetigen.
Aus der deutschen Delegation kommt zudem die Idee, Jugendlichen in einem ständigen Gremium, entsprechend dem Kongress der Regionen und Gemeinden beim Europarat, dauerhaft einen eigenen Status in der Organisation zu verleihen. Was genau beabsichtigen Sie damit?
Es gibt schon jetzt zahlreiche Aktivitäten, mit denen der Europarat Jugendliche fördert, beispielsweise auch Gelder für politische Bildung und Austausch. Schon jetzt gibt es einen Advisory Council on Youth, einen Beirat für Jugend, in dem Jugendorganisationen und Nichtregierungsorganisationen ihre Ideen beim Europarat einbringen können. Es ist sehr wichtig, dass junge Menschen die Werte des Europarates verstehen und weiter transportieren. Aber wir können nicht nur erwarten, dass sie zuhören und Fragen stellen, sondern auch, dass sie sich einbringen können. Das ist es, was wir damit beabsichtigen. Und ich bin offen dafür, auch neue Formate zu finden. (ll/27.10.2023)