Zeit:
Montag, 9. Oktober 2023,
14
bis 16 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.200
Für die dringend benötigte Modernisierung der Schieneninfrastruktur in Deutschland braucht es eine langfristig gesicherte und bedarfsorientiert dimensionierte Finanzierung sowie klare Zielsetzungen. In dieser Einschätzung waren sich die zu einer öffentlichen Anhörung des Verkehrsausschusses am Montag, 9. Oktober 2023, geladenen Sachverständigen einig. Grundlage der Anhörung waren ein Regierungsentwurf zur Änderung des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (20/8288), je ein Antrag von CDU/CSU (20/7350), AfD (20/7197) und Linken (20/6988) sowie eine Unterrichtung durch den Bundesrechnungshof (20/7025).
Die in der Novelle des Bundesschienenwegeausbaugesetzes (BSWAG) geplanten Regelungen reichen der Ansicht der Sachverständigen nach aber nicht aus, obgleich die Finanzierungsoption, wonach der Bund nicht nur in Ersatzinvestitionen, sondern auch in Unterhaltung und Instandhaltung der Infrastruktur investieren darf, auf Zuspruch traf. Unterschiedlich bewertet wurde indes die geplante Schaffung der gemeinwohlorientierten Infrastruktursparte (InfraGo) unter dem Dach des Bahnkonzerns.
Zielbild zur verkehrspolitischen Steuerung und Finanzierung
Zentrale Fragen zum Zielbild, zur verkehrspolitischen Steuerung und zur Finanzierung der InfraGo sind aus Sicht des Vereins Allianz pro Schiene noch ungeklärt und wurden bislang auch nicht ausreichend mit dem Bahnsektor, der Fachöffentlichkeit und den Parlamentariern in Bund und Ländern diskutiert, bemängelte dessen Geschäftsführer Dirk Flegge. Die von der Beschleunigungskommission Schiene empfohlene weitergehende Lösung – die Schaffung und gesetzliche Verankerung von zwei Schieneninfrastrukturfonds – muss aus seiner Sicht unbedingt weiterverfolgt werden. Die Novelle des BSWAG bewertete er als sehr guten Einstieg in die Bahnreform 2.0. „Das darf aber nicht das letzte Wort sein“, fügte er hinzu.
Die geplante Verschmelzung der DB Station & Service AG mit der DB Netz AG sei kein Fehler, bringe aber für sich nur geringen Nutzen, befand Peter Westenberger, Geschäftsführer vom Netzwerk Europäischer Eisenbahnen (NEE/Die Güterbahnen). Warum die InfraGo unbedingt zum 1. Januar 2024 starten solle, obwohl es noch keine abschließende Regelung der Verfassung, Arbeitsweise, Transparenz, Erfolgsmessung und behördlichen Begleitung für sie gebe, bleibe unklar. Zu konstatieren sei, so Westenberger, dass die Bundesregierung die Strategie verfolge, den Auftrag des Koalitionsausschusses möglichst ohne Gesetzesänderungen umzusetzen. Angesichts der großen Reichweite der notwendigen Veränderungen auf dem Weg zu einer attraktiven und wachsenden Schieneninfrastruktur sei jedoch die Änderung vorhandener relevanter Gesetze eine Aufgabe, die des politischen und legislativen Engagements des Bundestages bedürfe.
Kritik an fehlender Planungssicherheit
Ähnlich sah das Matthias Stoffregen, Geschäftsführer des Vereins Mofair. Er kritisierte die fehlende Planungssicherheit. Der Bund lasse durch die bisherigen Formulierungen weiterhin eine Finanzierung von Ausbau und Erhalt der Schieneninfrastruktur „nach Kassenlage“ offen. Ohne weitere Gesetzesänderungen bestehe aber die Gefahr, dass zwar nominell mehr Geld für die Schiene zur Verfügung gestellt werde, dieses aber in einem ansonsten unzureichend reformierten, dysfunktionalen System gleichsam versickere. Zum jetzigen Zeitpunkt sei noch völlig unklar, wie die „sehr sinnvollen“ Maßnahmenvorschläge der Beschleunigungskommission Schiene vom Dezember 2022 umgesetzt werden sollen, sagte Stoffregen. Insofern wirkten eine Beschlussfassung zum BSWAG jetzt und die Implementierung der InfraGO völlig am Gesetzgeber vorbei. Offenbar solle lediglich der willkürlich gesetzte 1. Januar 2024 als Starttermin der neuen Infrastrukturgesellschaft gehalten werden, „unabhängig von inhaltlichen Fragen“.
Markus Ksoll, Leiter Wirtschaft, Politik und Regulierung bei der Deutschen Bahn AG (DB AG), attestierte indes der Bundesregierung ein stimmiges Gesamtkonzept zur Reform des Systems vorgelegt zu haben. Dazu gehöre die Sanierung der Hochleistungskorridore, Zukunftsbahnhöfe, Serviceeinrichtungen sowie wesentlich mehr Aus- und Neubau. In den letzten Jahren hätten die Regularien des BSWAG einer schnellen und zielgerechten Verwendung von Mitteln für Schienenprojekte häufig im Wege gestanden, befand Ksoll. Verfügbare Mittel hätten teilweise nicht rechtzeitig abgerufen werden können, während andere Projekte wegen fehlender Voraussetzungen in Verzug geraten seien. Der vorgesehene Anstieg des Maßnahmen- und Budgetumfangs mache eine Flexibilisierung der Finanzierungsregularien unumgänglich, so der Bahnvertreter. Die Änderung des BSWAG sei ein wichtiger Teil davon und setze zudem mehrere Vorschläge der Beschleunigungskommission Schiene um.
Finanzierung für die Schieneninfrastruktur
Es brauche eine überjährige Finanzierung für die Schieneninfrastruktur, sagte Sarah Stark, Hauptgeschäftsführerin beim Verband der Bahnindustrie in Deutschland (VDB). „Infrastruktur ist ein Dekadenprojekt“, betonte sie. Ein Projekt wie etwa den digitalen Knoten Stuttgart könne man schlecht in einem Haushaltsjahr bauen und abbilden. Um hier Verlässlichkeit für die Unternehmen bereitzustellen, brauche es eine Durchfinanzierung von Projekten. Dies gehe einher mit einer Zieldefinition, was mit den steigenden Investitionen eigentlich erreicht werden soll. Daraus müssten entsprechende Kennzahlen abgeleitet werden, „die uns helfen zu überprüfen, ob wir auf dem richtigen Pfad sind“, sagte Stark.
Die Monopolkommission hält weiterhin eine eigentumsrechtliche Trennung der Eisenbahninfrastruktur vom restlichen DB-Konzern für vorzugswürdig, betonte deren Vertreter Torben Stühmeier. Andernfalls werde das Behinderungs- und Diskriminierungspotenzial des integrierten DB-Konzern gegenüber Wettbewerbern auf der Schiene weiterhin bestehen bleiben. Erst eine eigentumsrechtliche Trennung werde dafür sorgen, dass sich das Eisenbahninfrastrukturunternehmen allen Nutzern der Infrastruktur gleichermaßen verpflichtet fühlt. Dadurch werde das Gesamtsystem Schiene gestärkt und insgesamt mehr Verkehr auf die Schiene gebracht.
Investition in die Infrastruktur
Der Vorsitzende der Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft (EVG), Martin Burkert, sprach sich hingegen dafür aus, den Konzernverbund der DB AG, einschließlich des Schienennetzes, zu erhalten. Daher sei der aktuelle Beschluss des Aufsichtsrats für die EVG ein akzeptabler Kompromiss. Gelöst würden die Kernprobleme des Schienenverkehrs in Deutschland dadurch allerdings nicht, sagte er. Auch blieben noch Fragen offen, die einzelne Konzerngesellschaften und die zukünftige Finanzarchitektur betreffen. Burkert verwies darauf, dass die aktuelle schwierige Situation der deutschen Bahnen „weder durch die integrierte Struktur der DB AG noch durch fehlenden intramodalen Wettbewerb verursacht wurde“. Sie sei vielmehr die Konsequenz verkehrspolitischer Fehler der vergangenen Legislaturperioden.
Roman Hebenstreit, Vorsitzender der Verkehrs- und Dienstleistungsgewerkschaft vida in Österreich, sieht einen integrierten Konzern ebenfalls als vorteilhaft an. Benötigt werde eine ausreichende und vor allem rechtzeitige Investition in die Infrastruktur, sowie in das rollende Material und das Personal – ebenso wie ein Controlling und eine Steuerung der Struktur. Hebenstreit sprach von einem österreichischen Weg des „nutznießerorientierten Finanzierungsansatzes“, der nicht im Sinne der Profitmaximierung gewählt worden sei, „sondern um die nachhaltige Entwicklung der Schieneninfrastruktur zu gewährleisten“. Erwirtschaftete Überschüsse flössen wieder in das System zurück. „Die stabile Finanzierung aus öffentlicher Hand bedeutet, dass Österreich pro Einwohner im Verhältnis zu Deutschland oder auch dem EU-Durchschnitt, dass dreifache an Finanzmitteln in die Schieneninfrastruktur investiert“, sagte er.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Das Bundeschienenwegeausbaugesetz (BSWAG) als rechtliche Grundlage für Investitionen in die Schienenwege der Eisenbahnen des Bundes habe sich in seiner bisherigen Ausgestaltung zunehmend als ein Investitionshemmnis erwiesen, heißt es von Seiten der Bundesregierung. Dieses Hemmnis solle nun beseitigt werden. Mit der Schaffung zusätzlicher Finanzierungsoptionen im BSWAG sollen höhere und zügigere Investitionen in die Schiene ermöglicht werden. Ziel ist es laut Regierung, die Leistungsfähigkeit und Verfügbarkeit der Eisenbahninfrastruktur zu steigern, um das wachsende Personen- und Güterverkehrsaufkommen bewältigen zu können.
Die neuen Finanzierungsoptionen, von denen der Bund nach Änderung des BSWAG künftig Gebrauch machen können soll, beziehen sich insbesondere auf die Übernahme von Kosten für einmalig anfallenden Aufwand, für Unterhaltung und Instandhaltung, für bauliche Maßnahmen aufgrund rechtlicher Auflagen wie etwa Denkmalschutz, für IT-Leistungen im Rahmen der Digitalisierung, für nachhaltige beziehungsweise erweiterte Ersatzinvestitionen wie die Anpassung von Bahnsteigen sowie für Folgekosten bei vom Bund initiierten Investitionsprogrammen für Barrierefreiheit und Lärmsanierung.
Antrag der Union
Nach dem Willen der Unionsfraktion sollen Netz und Betrieb bei der Deutschen Bahn AG getrennt werden. In ihrem Antrag fordert sie die Bundesregierung auf, eine grundlegende strukturelle und organisatorische Neuaufstellung der Deutschen Bahn auf den Weg zu bringen. So soll der Infrastrukturbereich bestehend aus DB Netz, DB Station und Service sowie DB Energie vollständig vom Transportbereich getrennt und in eine bundeseigene, weisungsgebundene Schieneninfrastruktur GmbH des Bundes überführt werden. Die Holding der Deutschen Bahn sei aufzulösen und die bisherige DB-Struktur mit 740 Beteiligungen und Tochtergesellschaften zu entflechten. Die Finanzierung der Schieneninfrastruktur soll vornehmlich aus Mitteln des Bundeshaushaltes, ergänzt durch Trassenentgelte für die Nutzung der Schieneninfrastruktur, erfolgen. Die Schulden der Deutschen Bahn im Infrastrukturbereich seien in das Bundeseisenbahnvermögen zu übertragen.
Darüber hinaus fordert die Union weitere Maßnahmen der Bundesregierung, um den Schienengüterverkehr zu stärken, das Programm zur Digitalisierung der Schiene zügig umzusetzen, den Deutschlandtakt umzusetzen, ausreichend gut ausgebildetes Fachpersonal zu gewinnen und die Planungs- und Genehmigungsverfahren zu beschleunigen.
Die Union kritisiert, dass die Schieneninfrastruktur veraltet ist, weil die Deutsche Bahn die notwendigen Investitionen in den Aus-, Um- und Neubau der Schiene nicht getätigt habe, obwohl sie vom Bund dafür viele Milliarden Euro erhalten habe. Zudem lasse der Wettbewerb auf der Schiene zu wünschen übrig, obwohl die Rahmenbedingungen hierfür erleichtert worden seien. So liege der Anteil von Wettbewerbern der Deutschen Bahn im Fernverkehr bei unter fünf Prozent. Auch die Digitalisierung der Schieneninfrastruktur gehe viel zu langsam voran, heißt es im Antrag.
Antrag der AfD
Die AfD plädiert für eine Reform der Deutschen Bahn AG. In ihrem Antrag fordert sie die Bundesregierung auf, dem Bundestag bis Anfang August 2023 grundlegende Möglichkeiten darzustellen, die Infrastruktursparten der Deutschen Bahn AG besser vom Konzern zu trennen. Diese Möglichkeiten müssten sich am Gemeinwohlinteresse insbesondere unter den Aspekten der Transparenz, der Sicherstellung der Daseinsvorsorge, der Resilienz gegen Arbeitskämpfe und der Sparsamkeit im Umgang mit Steuergeldern orientieren. Zudem soll die Bundesregierung darlegen, wie dem Bund die Durchgriffsrechte eingeräumt werden können, so dass dieser seine Verantwortung für die Infrastruktur in einer dem Bereich der Bundesfernstraßen vergleichbaren Weise direkt wahrnehmen kann und auf welche Art Wettbewerbsverzerrungen, die aufgrund der Ergebnisabführungs- und Beherrschungsverträge innerhalb der Deutschen Bahn AG bestehen, ausgeräumt werden können.
Seit Längerem befinde sich die Deutsche Bahn AG „in einer tiefen Krise“, schreibt die Fraktion in ihrem Antrag. So spreche der Bundesrechnungshof von einem „Sanierungsfall“. Fahrgäste im Personenverkehr seien täglich mit Zugverspätungen, Zugausfällen, verpassten Anschlüssen, verkürzten Zügen, defekten Toiletten, geschlossenen oder im Service eingeschränkten Bordbistros konfrontiert. Die unmittelbaren Ursachen hierfür seien neben dem Personalmangel insbesondere der schlechte Zustand der Infrastruktur, der sich in Stellwerks-, Weichen- und Oberleitungsstörungen bemerkbar mache und durch erforderliche Reparaturen viele Baustellen nach sich ziehe. Doch nicht nur der Personen-, sondern auch der Güterverkehr auf der Schiene sei mit massiven Problemen konfrontiert.
Antrag der Linken
Die Linksfraktion spricht sich gegen die von Bundesverkehrsminister Dr. Volker Wissing (FDP) geplante Zusammenlegung der Infrastruktureinheiten der Deutschen Bahn AG (DB Netz, DB Station und Service) zu einer neuen Infrastruktursparte oder eine vollständige Trennung von Netz und Betrieb aus. In ihrem Antrag fordert sie die Bundesregierung auf, die Deutsche Bahn AG als integrierten Konzern in öffentlicher Hand zu erhalten und diesen an gemeinwirtschaftlichen und ökologischen Kriterien nachhaltig und barrierefrei auszurichten. Zudem müssten im Bundeshaushalt die Mittel für den Erhalt, den Neu- und Ausbau des Schienennetzes deutlich aufgestockt werden, um mindestens den Anteil des Schienengüterverkehrs bis 2030 auf 25 Prozent zu steigern und die Verkehrsleistung im Personenverkehr zu verdoppeln. (aw/hau/09.10.2023)