Özdemir: Landwirte brauchen eine verlässliche Perspektive
Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) verfolgt die Ziele, den Zugang zu hochwertigen Lebensmitteln unabhängig von Herkunft und Geldbeutel zu ermöglichen, die Existenz der „systemrelevanten Arbeit“ der Landwirtschaft zu sichern und die Lebensgrundlagen zu schützen, um sie „auch übermorgen“ noch nutzen zu können. Dies hob der Bundesminister für Ernährung und Landwirtschaft am Mittwoch, 14. Juni 2023, in der Regierungsbefragung im Bundestag hervor.
Die Landwirtschaft müsse krisenfester und unabhängiger von Wasser, Dünger und Energie werden. Die Regierung passe das Düngerecht an und reduziere den Einsatz von Pestiziden, um bis 2030 den Anteil des Ökolandbaus auf 30 Prozent zu steigern. Für den Umbau der Tierhaltung stelle sie so viel Geld bereit wie keine Bundesregierung zuvor, sagte der Minister. Man investiere in digitale Experimentierfelder und künstliche Intelligenz, um die Effizienz der Landwirtschaft zu steigern, und in den Umbau der Wälder und den Schutz der Moore. „Die Landwirte brauchen eine verlässliche Perspektive“, sagte Özdemir.
Paus: Kindergrundsicherung ein echter Systemwechsel
Neben dem Agrarminister stellte sich auch die Bundesministerin für Familie, Senioren, Frauen und Jugend Lisa Paus (Bündnis 90/Die Grünen) den Fragen der Abgeordneten. Sie bezeichnete das Vorhaben der Kindergrundsicherung als „echten Systemwechsel“, der dafür sorge, dass es armen Kindern besser gehe und alle Familien sorgenfreier leben könnten. Die Kinderarmut werde dadurch zurückgedrängt. Die Kindergrundsicherung sei eine Investition in die Zukunft und den gesellschaftlichen Zusammenhalt, an Kindern dürfe nicht gespart werden. Vier Milliarden Euro würden in die Qualität der Kitas, drei Milliarden Ausbau in den Ausbau der Ganztageseinrichtungen investiert.
Paus sprach zudem das Thema der Gewalt gegen Frauen an. Die Regierung arbeite an einem Gesetz zum Schutz vor Gewalt. Die Vorwürfe im Zusammenhang mit der Band Rammstein müssten aufgeklärt werden. Darüber hinaus arbeite die Regierung an einer Strategie gegen Einsamkeit, einem verbreiteten Phänomen. Beteiligung und Engagement seien wichtige Schlüssel, um dagegen vorzugehen.
Tierhaltung und Gemeinschaftsverpflegung
Cem Özdemir sagte auf eine Frage der grünen Abgeordneten Christina-Johanne Schröder zur Einführung einer verpflichtenden Tierhaltungskennzeichnung, es gebe ein Bundesprogramm mit einer Förderung von bis zu zehn Jahren für Einzelbetriebe. Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) sprach die gesundheitliche und soziale Bedeutung der Ernährung für die Kinder an. 16 Millionen Menschen ernährten sich in Deutschland über Gemeinschaftsverpflegung, sagte der Minister, darunter sechs Millionen Kinder in Kitas und Mensen. Ziel sei es, die Standards der Deutschen Gesellschaft für Ernährung bis 2030 allgemeinverbindlich zu machen.
Peggy Schierenbeck (SPD) wollte vom Minister wissen, welche ernährungspolitischen Hebel besonders wirksam seien. Die gestiegenen Energiekosten und das Arbeiten im Homeoffice stellten ein Problem dar, so Özdemir, doch sei er stolz auf den Modellregionen-Wettbewerb, mit dem sein Ministerium regionale Projekte für eine gesunde und nachhaltige Ernährung fördert. Die Bundesbehörden müssten bei der Gemeinschaftsverpflegung mit gutem Beispiel vorangehen, fügte er auf eine Nachfrage Schierenbecks hinzu.
Übergewicht und Fleischkonsum
Der CSU-Abgeordnete Artur Auernhammer wies darauf hin, dass man trotz rein biologischer Ernährung Übergewicht bekommen könne. Özdemir räumte ein, dass neben der gesunden Ernährung auch Bewegung dazugehöre, weshalb er mit dem Deutschen Fußball-Bund und der Basketballliga im Gespräch sei.
Zur Frage des fraktionslosen Abgeordneten Robert Farle, ob es künftig nur noch zehn Gramm Fleisch pro Tag geben solle, entgegnete der Minister, da sei eine Überlegung von Wissenschaftlern „durchgestochen“ und ihm in den Mund gelegt worden, was er zurückweise. Er kümmere sich darum, dass alle die Chance haben, „gesund alt zu werden“.
Pflanzenschutz und Küstenschutz
Dr. Gero Hocker (FDP) wollte vom Minister wissen, was die Regierung unternehme, um bei der Zulassung von Pflanzenschutzmitteln Lücken auf EU-Ebene zu schließen. Özdemir sagte, die Regierung teile das Ziel, bis 2030 50 Prozent einzusparen. In Details gebe es aber noch große Fragezeichen. Was die Entscheidungsgeschwindigkeit angeht, verwies der Minister auf fehlendes Personal. „Wir bräuchten mehr Leute“, sagte er, gleichzeitig müsse gespart werden.
Den Küstenschutz an der Ostküste Schleswig-Holsteins thematisierte der fraktionslose Abgeordnete Stefan Seidler vom Südschleswigschen Wählerverband, der Partei der dänischen und friesischen Minderheit in Deutschland. Der Minister wies erneut auf Sparzwänge hin. Er stimmte Seidler zu, dass der Küstenschutz in der Sache wichtig sei und verwies auf die Fördermittel aus der Bund-Länder-Gemeinschaftsaufgabe zur Förderung von Agrarstruktur und Küstenschutz (GAK).
Tierschutz und Wolfsmanagement
Eine weitere Abgeordnete aus Schleswig-Holstein, Astrid Damerow (CDU/CSU), erkundigte sich nach der neu berufenen Bundestierschutzbeauftragten Ariane Kari und wollte wissen, ob sie sich auch um den Schutz der Weidetiere kümmere, die Opfer von Wolfsrissen werden. Sie sei unabhängig und entscheide selbst, welche Themen sie aufgreife, antwortete der Minister. Er räumte ein, dass in Bergregionen Herdenschutzmaßnahmen an ihre Grenzen gerieten. Die Länder könnten jedoch über die Entnahme von Wölfen entscheiden. Das Thema berühre die Menschen emotional, sagte Özdemir.
Karsten Hilse (AfD) sagte, dass der Erhaltungszustand des Wolfes sei günstig, sodass eine Populationseinschränkung vorangebracht werden könne. Der Minister entgegnete, der Wolf sei eine streng geschützte Tierart, der Erhaltungszustand werde alle sechs Jahre aufgrund von EU-Kriterien ermittelt, nationales Ausscheren sei nicht möglich. Dem CDU-Abgeordneten Hans-Jürgen Thies sagte Özdemir, die Entnahme von Tieren sei Aufgabe der Länder. Diese sollten die vorhandenen Instrumente nutzen.
Kindesmissbrauch und Gehsteigbelästigung
Von der Familienministerin wollte der CDU-Abgeordnete Christoph de Vries wissen, was die Regierung unternimmt, um sexuellen Kindermissbrauch zu bekämpfen, etwa durch die Speicherung von IP-Adressen. Lisa Paus sagte, der Kinderschutz sei ihr ein großes Anliegen, dazu habe sie eine Kampagne „Schaut hin!“ gestartet, an einem Gesetz werde gearbeitet.
Sie wies auch darauf hin, dass die Vorratsdatenspeicherung schon mehrfach vor dem Bundesverfassungsgericht gescheitert sei. Die EU-Kommission habe gute Vorschläge gemacht, man sehe aber noch Nachbesserungsbedarf: „Wir werden beides hinbekommen“, versprach sie mit Blick auf die Missbrauchsbekämpfung einerseits und den Schutz der Privatsphäre andererseits.
Josephine Ortleb (SPD) sagte, beim Umgang zwischen Männern und Frauen würden massiv Grenzen überschritten. Vor den Schwangerschaftsberatungsstellen würden Frauen belästigt. „Gehsteigbelästigung geht einfach nicht“ stimmte die Ministerin zu. Man werde die reproduktive Selbstbestimmung im Schwangerschaftskonfliktgesetz regeln, ohne in Länderregelungen einzugreifen. Das Gesetz solle bis Ende 2023 verabschiedet sein, kündigte Paus an.
Paragraf 218 und Familienetat
Mariana Harder-Kühnel (AfD) verwies auf eine Umfrage, die ergeben habe, dass die Mehrheit der Deutschen sich gegen eine Straffreiheit von Abtreibung ausspreche. Auf die Frage, ob der einschlägige Paragraf 218 aus dem Strafgesetzbuch gestrichen werden solle, sagte die Ministerin, eine Kommission sei eingesetzt worden mit zwei Arbeitsgruppen, von denen sich die eine mit dem Paragrafen 218 und die andere mit reproduktiven Rechten befasse. Nach einem Jahr werde diese Kommission ihren Bericht vorlegen.
Heidi Reichinnek (Die Linke) sprach den Haushalt der Ministerin an, von deren Budget in Höhe von 12,9 Milliarden 11,2 Milliarden Euro auf Pflichtleistungen wie Kindergeld und Elterngeld entfielen. Dass in ihrem Haushalt nicht gekürzt werde, könne sie nicht versprechen, sagte Paus. Man sei in intensiven Gesprächen und sie bitte um Geduld.
Frühkindliche Bildung und Ehrenamt
Nina Stahr (Bündnis 90/Die Grünen) erinnerte daran, dass der Bund vier Milliarden Euro an die Länder für die frühkindliche Bildung geben werde. Ihr sei wichtig, dass die Länder dieses Geld in die Qualität der Kitas investierten. Paus bestätigte, die Kitas sollten bundesweit zur zentralen frühkindlichen Bildungsinstitution weiterentwickelt werden.
Derzeit würden die Verträge mit den Ländern vereinbart, die bis Sommer unterschrieben sein sollen. Mit Bremen und Baden-Württemberg seien sie bereits unterzeichnet. Auch das Kita-Sprachprogramm sei gesichert. Das Recht auf einen Ganztagsplatz in Grundschulen solle bis zum Schuljahr 2026/2027 umgesetzt sein. Auf eine Frage der bayerischen FDP-Abgeordneten Nicole Bauer sagte die Ministerin, Bayern habe in der jüngsten Jugend- und Familienministerkonferenz beantragt, das Recht auf den Ganztagsplatz bis zum genannten Schuljahr noch nicht komplett umsetzen zu müssen.
Bauers Fraktionskollegen Martin Ganser-Herz und Jens Teutrine plädierten dafür, statt den Bürgergeld-Regelsatz um 15 Euro zu erhöhen diesen Betrag über ein Kinderchancen-Portal an die Berechtigten auszureichen, um so das Ehrenamt und Vereinsmitgliedschaften zu stärken. Paus sagte, nur 15 bis 20 Prozent der Berechtigten würden die 15 Euro dann abrufen, auch deshalb, weil es mit einer Stigmatisierung verbunden wäre. Dagegen würden bürokratische Hürden vermieden, wenn den Familien das Geld direkt zugeht. (vom/14.06.2023)