Die Einigung der EU-Innenminister vom 8. Juni zur Reform des Gemeinsamen Europäischen Asylrechts (GEAS) hat am Donnerstag, 15. Juni 2023, zu einer scharfen Kontroverse im Bundestag geführt. Während die CDU/CSU-Fraktion den im EU-Innenrat getroffenen Kompromiss als unzureichenden Schritt in die richtige Richtung bewertete, äußerten AfD und Die Linke mit gegensätzlicher Argumentation scharfe Kritik an der Entscheidung des Rats. Vertreter der SPD- und der FDP-Fraktion verteidigten dagegen den Innenminister-Beschluss, während Redner von Bündnis 90/Die Grünen deutliche Unzufriedenheit und Bedenken gegenüber der Einigung formulierten.
Union sieht Nachbesserungsbedarf
Andrea Lindholz (CDU/CSU) sagte, mit der Verständigung könne man aus deutscher Sicht „nicht ganz zufrieden sein“. Es sei zwar ein „guter Schritt“, dass man sich auf ein verpflichtendes Grenzverfahren an der EU-Außengrenze geeinigt habe. Die dafür vereinbarten 30.000 Plätze dürften aber zu wenig sein. Auch sei völlig unklar, ob die Grenzverfahren tatsächlich so kommen. So habe Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) bereits angekündigt, dass man bei den weiteren Verhandlungen die Beschlüsse „noch aufweichen“ wolle.
Falsch sei auch die Darstellung, dass es einen verpflichtenden Solidaritätsmechanismus bei der Aufnahme von Flüchtlingen gäbe. „Am Ende werden es wieder einige wenige Staaten sein, die überhaupt Asylbewerber aufnehmen werden“, fügte Lindholz hinzu.
SPD begrüßt „verbindlichen Solidaritätsmechanismus“
Gülistan Yüksel (SPD) begrüßte dagegen, dass es endlich einen „dauerhaften und verbindlichen Solidaritätsmechanismus“ geben solle, über den mindestens 30.000 Flüchtlinge pro Jahr aus den Außengrenzstaaten verteilt werden sollten. Länder müssten Geflüchtete aufnehmen oder sich „durch finanzielle Beiträge solidarisch zeigen“. Flüchtlinge würden so gleichmäßiger und fairer innerhalb der EU verteilt.
Auch habe Deutschland erreicht, dass unbegleitete Minderjährige direkt in die EU einreisen könnten und nicht in die Grenzverfahren kämen. In den anstehenden „Trilog“-Verhandlungen zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommission über die GEAS-Reform werde sich Deutschland dafür einsetzen, dass auch Familien mit Kindern von den Grenzverfahren ausgeschlossen werden.
AfD nennt Beschluss „riesige Alibi-Veranstaltung“
Dr. Gottfried Curio (AfD) nannte den Innenminister-Beschluss „eine riesige Alibi-Veranstaltung“. Bei Flüchtlingen aus Herkunftsländern wie Syrien und Afghanistan, von denen mehr als 20 Prozent anerkannt werden, solle sich nichts ändern.
Auch sei klar, dass am Ende das meiste an Deutschland „hängen“ bleibe, wenn sich etliche Länder von der Aufnahme „freikaufen“. Auch sei bei den geplanten Abweisungen die Rücknahme unklar. „So lange hierzulande nicht der Wille zu effektiver Rückweisung und Abschiebung besteht, ist das alles reine Makulatur“, kritisierte Curio.
Grüne: Wird keine Verbesserung bringen
Julian Pahlke (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, er teile die Unzufriedenheit mit der Reform. Einigkeit bestehe darüber, dass es eine GEAS-Reform brauche. Die jetzt im Rat beschlossene Einigung werde aber „in der Summe wohl keine Verbesserung bringen“. Weil sie „im Kern keines der Probleme löst“, hätte er sich eine andere Entscheidung gewünscht.
Filiz Polat (Bündnis 90/Die Grünen) beklagte, die Einigung laufe auf eine „Verstetigung von Leid und Chaos“ hinaus. Auch gebe es keinen verbindlichen Verteilmechanismus, während die Durchsetzung der Rechte vom Geflüchteten massiv erschwert werde. Dem Rat und dem Europäischen Parlament empfehle sie, „diesem Beschluss so nicht zuzustimmen“.
Linke kritisiert „Anschlag auf die Menschenrechte“
Janine Wissler (Die Linke) nannte den Ratsbeschluss einen „Frontalangriff auf die Rechte Schutzsuchender“ und ein „Anschlag auf die Menschenrechte“. Damit hätten die EU-Innenminister die „faktische Abschaffung des Grundrechts auf Asyl beschlossen“.
Künftig sollten Geflüchtete an den EU-Außengrenzen in Haft und unter haftähnlichen Bedingungen interniert werden. Nicht einmal Familien mit kleinen Kindern seien ausgenommen. Für sehr viele Menschen werde es keine Asylverfahren mehr geben, „sondern nur noch geprüft werden, ob sie in einen vermeintlich sicheren Drittstaat abgeschoben werden können“. Daher sei es falsch zu sagen, dass etwa syrische Flüchtlinge nicht betroffen seien.
FDP: Scheitern wäre verheerend für Schengen
Stephan Thomae (FDP) entgegnete, das Asylrecht bleibe weiterhin erhalten. Es sei eine gute Nachricht, dass jetzt nach jahrelangem Stillstand bei der GEAS-Reform eine erste Blockade gelöst worden sei. Momentan würden im EU-Asylsystem Regeln nicht befolgt.
An den EU-Grenzen werde aktuell europäisches Recht ständig verletzt, und im Schengen-Raum halte sich auch niemand an die geltenden Regeln. Daher würden Regeln benötigt, die wieder alle akzeptieren, und dazu sei jetzt trotz höchst unterschiedlicher Interessen in der EU ein erster Schritt gemacht. Dabei werde „manchem viel zugemutet“, doch wäre ein Scheitern der Reform „noch schlimmer für Europa“ und „verheerend für Schengen“.
Oppositionsanträge
Ein Antrag der CDU/CSU-Fraktion zur GEAS-Reform (20/7191) überwies das Parlament zur weiteren Beratung an die zuständigen Ausschüsse. Abgelehnt wurde ein Antrag der Linksfraktion (20/6902), mit dem die Bundesregierung aufgefordert werden sollte, sich in den Verhandlungen zum GEAS für eine Stärkung des individuellen Asylrechts einzusetzen und „insbesondere verpflichtenden Grenzverfahren und der Ausweitung sicherer Dritt- und Herkunftsstaaten-Regelungen klar zu widersprechen“. In namentlicher Abstimmung votierte eine Mehrheit von 633 Abgeordneten gegen 32 Stimmen bei einer Enthaltung gegen die Vorlage. Keine Mehrheit fanden auch Linken-Anträge zur Verhinderung „illegaler Pushbacks und Menschenrechtsverletzungen“ an den EU-Außengrenzen (20/2582) und zur Verteidigung der Menschen- und Flüchtlingsrechte in der EU (20/681).
Die CDU/CSU dringt in ihrer Vorlage auf weitere Schritte zur Reduzierung irregulärer Migration in die EU und nach Deutschland und wertet den Beschluss der EU-Innenminister zur GEAS-Reform als „insgesamt nicht ausreichend“. Zwar sei die Einigung auf ein verpflichtendes Grenzverfahren an der EU-Außengrenze ein „Schritt in die richtige Richtung“. Dabei sei richtigerweise vereinbart worden, dass der Situation von Asylbewerbern mit besonderen Aufnahmebedürfnissen wie beispielsweise Familien mit minderjährigen Kindern vor Ort angemessen Rechnung getragen werden soll. Es sei aber kritisch, wenn Faeser und die Grünen „das Grenzverfahren jetzt in den weiteren Verhandlungen zusätzlich aufweichen“ wollten. Die Bundesregierung müsse daher auch in der weiteren Trilog-Verhandlung zwischen Europäischem Parlament, Rat und Kommission zum GEAS dafür sorgen, „dass die irreguläre Migration spürbar reduziert wird und die Lasten in Europa besser verteilt werden“. Dazu soll die Bundesregierung sich dem Antrag zufolge bei den Trilog-Verhandlungen für ein Ergebnis einsetzen, „das sowohl dem Prinzip Humanität als auch den Prinzipien Steuerung, Ordnung und Begrenzung gerecht wird“. Dabei soll sie nach dem Willen der Fraktion unter anderem durchsetzen, dass die Registrierung aller Asylbewerber inklusive Sicherheitsüberprüfung und Identitätsfeststellung verpflichtend an der EU-Außengrenze durchgeführt werden muss. (sto/15.06.2023)