Gesetzentwurf „zur Sicherung bezahlbarer Stromversorgung“ im Parlament beraten
Die Unionsfraktion sieht die Sicherheit der Energieversorgung aktuell vor großen Herausforderungen. Deshalb hat sie einen Gesetzentwurf zur Sicherung bezahlbarer Stromversorgung vorgelegt – das Stromversorgungssicherungsgesetz (SVSG, 20/5984). Am Donnerstag, 16. März 2023 hat der Bundestag sich in erster Lesung mit dem Entwurf befasst, der eine befristete Laufzeitverlängerung der drei noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke und die befristete Absenkung der Stromsteuer wie des Umsatzsteuersatzes zur Entlastung vorsieht, besonders auch für Wirtschaft und Mittelstand. Nach der Aussprache überwiesen die Abgeordneten den Entwurf zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Klimaschutz und Energie.
Union: Kernkraft ist Klimakraft
In seinem Eingangsstatement ging der Unionsabgeordnete Jens Spahn die Ampelkoalition hart an. Was die Energieversorgungssicherheit für den kommenden Winter 2024 angehe, so wiege sich die Bundesregierung möglicherweise in zu großer Sicherheit. Spahn sprach vom „Vorsorgeparadox“ – weil man einmal das Schlimmste verhindert habe, glaube man nun, es werde schon auch beim nächsten Mal gutgehen. „Was Sie nicht sehen wollen“, rief er den Regierungsfraktionen zu, „ist wie schnell sich die Lage ändern kann.“ Das beziehe sich auf das Wetter, französische Atomkraftwerke, die geopolitische Lage.
In der Krise gelte aber: „Haben ist besser als brauchen.“ Und deshalb mache sich die Union dafür stark, das bisherige Enddatum für den Leistungsbetrieb von Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland auf den 31. Dezember 2024 zu verschieben. „Kernkraft ist Klimakraft“, sagte Spahn: Wenn es Ihnen ums Klima ginge, sagte er in Richtung Bundesregierung, „würden Sie die Atomkraftwerke länger laufen lassen statt alte Kohlekraftwerke ans Netz zurückzuholen.“
SPD wirbt für billigere und sicherere Erneuerbare Energien
SPD-Klimaexpertin Dr. Nina Scheer widersprach. „Wir brauchen die Atomkraftwerke nicht.“ Erneuerbare Energien seien sicherer und billiger.
Dank der Ampelgesetze des vergangenen Jahres beschleunige sich der Zubau an Wind- und Solaranlagen, die zudem keine Endlagerprobleme verursachten. Das sei nachhaltiger als die „Schnappatmungs“-Politik der Union, die immer nur kurzfristig ein akutes Problem zu lösen versuche.
AfD fordert Weiterlaufenlassen der AKW
Bis vor Kurzem sei in Deutschland undenkbar gewesen, über Blackouts, Abschaltungen von Betrieben und politische Stromsparappelle zu reden, sagte Marc Bernhard (AfD), aber jetzt blieben zum Beispiel Güterzüge wegen Strommangels stehen: „Und das, weil Sie von der CDU den gleichzeitigen Ausstieg aus Atom und Kohle eingeleitet haben – als einziges Land weltweit“.
Andernorts werde die Atomkraft ausgebaut, in der EU gelte sie als grüne Energie, dafür habe man in Deutschland die höchsten Strompreise der Welt. Da helfe auch keine befristete Laufzeitverlängerung, wie von der Union vorgeschlagen. Das einzige, was wirklich helfen würde, wäre ein Ausstieg aus der „weltdümmsten Energiepolitik“ und das Weiterlaufenlassen der AKW.
Grüne sehen Versorgungssicherheit gewährleistet
Für Deutschland sei eine sichere, souveräne und bezahlbare Energieversorgung wichtig. Das sei völlig unstrittig, sagte Grünen-Abgeordnete Katrin Uhlig. Durch den völkerrechtswidrigen Angriff Russlands auf die Ukraine seien die Energiepreise enorm gestiegen. Deshalb habe die Ampelkoalition schon im vergangenen Jahr eine Vielzahl von Maßnahmen ergriffen, um Verbraucher und Industrie zu entlasten, Energie bezahlbar zu halten und die Versorgungssicherheit zu gewährleisten.
Der Gesetzentwurf der Union mache deutlich, dass CDU und CSU „keine Vision haben“. Die Zukunft gehöre den Erneuerbaren Energien – weil sie klimafreundlich seien und bezahlbar. Deren beschleunigter Ausbau sei wichtig, für den deutschen Industriestandort wie für den europäischen Binnenmarkt.
Linke wirbt für weitere Abschöpfung von Übergewinnen
Klaus Ernst (Die Linke) wies auf steigende Preise für Verbraucher und Verbraucherinnen und zugleich steigende Gewinne der Konzerne hin. Und in dieser Situation wolle die Union die Abschöpfung von Übergewinnen beenden? Um den Preis zu senken? „Vollkommen abwegig“, konstatierte Ernst. Was die AKW angeht, teuer und risikoreich, verstehe er die Union auch nicht: Warum sie die Schlachten nochmal schlage, die sie schon verloren habe, frage er – „da war Merkel doch schon weiter“.
Wenn man die Bundesregierung kritisieren wolle, dann solle man ihr doch lieber vorhalten, dass sie um elf Prozent ihren eigenen Zielen beim Ausbau der Erneuerbaren hinterherhinke. Und weil das so sei, und man Altes nur abschalten könne, wenn man genug Neues habe, sei es auch an der Bundesregierung dafür zu sorgen, dass es genug fossile Energie in Deutschland gebe.
FDP lobt Ampelpolitik als historisch
Zu spät, zu langsam, zu halbherzig? Dem Liberalen Michael Kruse war es vorbehalten, Spahn zu erklären, dass die Regierungsfraktionen mit einem „riesigen Maßnahmenpaket“ die befürchtete Mangellage abgewendet hätten.
Das sei kein „Vorsorgeparadox“, sondern gute Politik, befand Kruse, ja, mehr noch: Das sei „die größte energiepolitische Leistung der Nachkriegsgeschichte.“
Gesetzentwurf der Union
Ein Energieversorgungsnotstand müsse durch die Hebung aller Potenziale abgewendet werden, heißt es in dem Entwurf. Dazu gehöre sowohl ein beschleunigter Ausbau der erneuerbaren Energien als auch die befristete Laufzeitverlängerung der drei noch am Netz befindlichen Kernkraftwerke. Es bestehe ein hoher Bedarf an gesicherter Kraftwerksleistung. Außerdem solle durch die Laufzeitverlängerung das Stromangebot erhöht und dadurch der Strompreis gesenkt werden. Der Weiterbetrieb trage darüber hinaus dazu bei, dass weniger Gas verstromt werde.
Mit dem Gesetz solle neben dem Krisenmanagement für den laufenden Winter rechtzeitig auch für den darauffolgenden Winter vorgesorgt werden, heißt es zur Begründung des Gesetzesvorhabens. „Da sich die Umsetzung der Entlastungsmaßnahmen durch die Bundesregierung – zum Beispiel im Hinblick auf die Energiepreisbremsen, den Härtefallfonds oder etwa die Energiepreispauschale für Studierende – weiterhin verzögert, die Maßnahmen der Regierungskoalition teilweise keine Entlastungswirkung erzielen und die mittelfristige Entwicklung der Strompreise einen Anstieg erwarten lässt, sind weitere Entlastungen beim Strompreis geboten.“ Daher solle mit dem Gesetzentwurf durch die befristete Absenkung der Stromsteuer ein Beitrag zur Entlastung, besonders auch für Wirtschaft und Mittelstand, geleistet werden. Private Haushalte sollen darüber hinaus über die befristete Absenkung des Umsatzsteuersatzes auf sieben Prozent für Stromlieferungen entlastet werden.
Ausbau der erneuerbaren Energien und AKW-Laufzeitverlängerung
Konkret sieht der Gesetzentwurf Maßnahmen zum beschleunigten Ausbau der erneuerbaren Energien sowie zur befristeten Laufzeitverlängerung durch die Änderung des Atomgesetzes vor. Das bisherige Enddatum für den Leistungsbetrieb von Isar 2, Neckarwestheim 2 und Emsland soll auf den 31. Dezember 2024 verschoben werden, der Deutsche Bundestag bis spätestens zum 30. September 2024 über eine weitere Verlängerung der Befristung entscheiden. Die bisherige Verknüpfung der Berechtigung zum Leistungsbetrieb mit Reststrommengen solle aufgehoben werden, um die bestehenden Vereinbarungen zwischen den Kernkraftwerksbetreibern und der Bundesrepublik Deutschland nicht anzutasten.
Die Ausnahme für das Ausbleiben der eigentlich 2019 durchzuführenden Periodischen Sicherheitsüberprüfung (PSÜ) soll verlängert und mit einem fixen Datum versehen werden, bis wann sie betriebsbegleitend abzuschließen ist. Ein sinkendes Sicherheitsniveau sei bei einem Weiterbetrieb über den 15. April 2023 hinaus nicht zu erwarten. Auch während der befristeten Laufzeitverlängerung obliege es den zuständigen Atomaufsichtsbehörden, die gesetzlich normierte Schadensvorsorge zu überwachen und zu gewährleisten.
Durch die befristete Stromsteuersenkung ergeben sich dem Entwurf zufolge für den Bund geschätzte jährliche Steuermindereinnahmen im mittleren einstelligen Milliarden-Bereich, und durch die befristete Absenkung der Umsatzsteuer für Bund, Länder und Kommunen geschätzte jährliche Steuermindereinnahmen im unteren einstelligen Milliarden-Bereich. (mis/hau/16.03.2023)