Zeit:
Montag, 17. April 2023,
11
bis 13 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.200
Der Rechtsausschuss hat sich am Montag, 17. April 2023, im Rahmen einer öffentlichen Anhörung mit den von der Bundesregierung geplanten Änderungen im Sanktionsrecht befasst. Die insgesamt zehn geladenen Sachverständigen äußerten sich differenziert zu den verschiedenen Vorhaben in dem Gesetzentwurf (20/5913). Vorgesehen sind unter anderem Änderungen im Bereich der Ersatzfreiheitsstrafen, beim Maßregelvollzug sowie den Strafzumessungsgründen. Auch ein Antrag der Fraktion Die Linke (20/4420), der unter anderem eine Abschaffung der Ersatzfreiheitsstrafen fordert, war Gegenstand der Anhörung.
Kontrovers bewertet wurde die im Gesetzentwurf vorgeschlagene Halbierung des Umrechnungsmaßstabes einer Geld- in einer Ersatzfreiheitsstrafe. Die Ersatzfreiheitsstrafe (EFS) wird verhängt, wenn ein Verurteilter eine verhängte Geldstrafe nicht bezahlt. Laut Entwurf soll künftig für zwei Tagessätze Geldstrafe ein Tag EFS angeordnet werden. Bisher ist die Umrechnung eins zu eins. Der Gesetzentwurf sieht zudem weitere Regelungen vor, mit denen der Vollzug der EFS laut Bundesregierung möglichst vermieden werden soll. Während ein Teil der Expertinnen und Experten die neuen Regelungen grundsätzlich als sinnvoll erachteten, gingen sie anderen nicht weit genug.
Diskussion über die Ersatzfreiheitstrafe
Die Rechtswissenschaftlerin Lea Babucke von der Universität Hamburg sagte, die „beste Ersatzfreiheitstrafe“ sei diejenige, „die nicht angeordnet werden muss“. Sie verwies in diesem Zusammenhang auf die flankierenden Maßnahmen im Gesetzentwurf, um die Vollstreckung der EFS abzuwenden. Die geplante Halbierung der EFS sei konsequent und dogmatisch richtig. Eine vollständige Streichung sei nicht sinnvoll, da sie als Druckmittel notwendig sei, sagte die von der FDP-Fraktion vorgeschlagene Sachverständige. Ähnliche äußerte sich unter anderem die Richterin am Bundesgerichtshof, Angelika Allgayer. Die von der CDU/CSU-Fraktion vorgeschlagene Sachverständige sagte zudem, dass das Augenmerk darauf gerichtet werden müsse, den Vollzug im Einzelfall abzuwenden.
Jenny Lederer vom Deutschen Anwaltverein forderte hingegen, bei der Reform der EFS mutiger vorzugehen. Die Halbierung der EFS werde für die Menschen, die nicht der Lage seien, die Geldstrafe zu bezahlen, keine Lösung sein. Grundsätzlich müsse zwischen Zahlungsunwilligen und Zahlungsunfähigen unterschiedenen werden und im letzteren Fall auf einen Vollzug verzichtet werden. Zudem müsse eine gerichtliche Anhörung vor dem Vollzug vorgeschrieben werden, forderte die von der SPD vorgeschlagene Sachverständige. Wie auch andere Expertinnen und Experten forderte Lederer eine Entkriminalisierung von Bagatelldelikten wie dem Fahren ohne Fahrschein.
Auch der Rechtsanwalt Helmut Pollähne sah die geplanten Änderungen bei der EFS kritisch. „Das Vorgeschlagene ist nichts Halbes und nichts Ganzes“, sagte der von der Fraktion Die Linke vorgeschlagene Jurist. Der Vorwurf, es handle sich um eine Bestrafung von Armut, würde zurecht fortbestehen. In diese Richtung argumentierte auch Nicole Bögelein von Institut für Kriminologie der Universität zu Köln. Die von der SPD-Fraktion als Sachverständige vorgeschlagene Soziologin verwies darauf, dass es in den Ländern schon viele Projekte gebe, um die EFS zu vermeiden. Der Erfolg bleibe aber aus, während die EFS-Zahlen zunähmen. Die Abnahme der Bedeutung der gemeinnützigen Arbeit als Alternative zur EFS liege vermutlich an der „zunehmenden Verelendung der Adressaten“, führte die Sachverständige aus. Zahlungsunfähigen sollte wie in Schweden die Strafe erlassen oder die EFS gleich ganz abgeschafft werden, forderte die Sachverständige.
Änderungen beim Maßregelvollzug
Auch die geplanten Änderungen beim Maßregelvollzug diskutierten die Sachverständigen kontrovers. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung sieht vor, die Voraussetzungen für die Anordnung einer Unterbringung in einer Entziehungsanstalt enger zu fassen und die Anrechnungsmodalitäten für eine mögliche Aussetzung einer Freiheitsstrafe zur Bewährung anzupassen. Die Bundesregierung begründet die geplanten Änderungen damit, dass die aktuellen Regelungen falsche Anreize setzten.
Richterin Allgayer bezeichnete die geplanten Änderungen als „sehr wichtig“, kritisch sei nur anzumerken, „dass sie erst jetzt kommen“. Forensische Praktiker klagten schon lange, dass zu viele und vor allem die Falschen untergebracht würden, führte die Juristin aus.
Der stellvertretende Vorsitzende der Aktion Psychisch Kranke e.V., Peter Brieger, führte aus, dass es in dem Bereich einen riesigen Handlungsbedarf gebe. „Die Klinken laufen über“, sagte der von der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen vorgeschlagene Sachverständige. Die im Gesetzentwurf vorgesehenen Änderungen seien die „unbedingt notwendigen Schritte“. Er sei sich aber nicht sicher, ob diese Schritte ausreichten. Grundsätzlich warb der Sachverständige dafür, über den zugrundeliegenden Paragrafen 64 Strafgesetzbuch - „bis hin zu einer möglichen Abschaffung“ - intensiv zu diskutieren. Zudem forderte Brieger eine Verbesserung der suchtmedizinischen Versorgung in den Justizvollzugsanstalten. Anwaltverein-Vertreterin Lederer vertrat die Ansicht, dass der Entwurf in diesem Bereich zu kurz greife und zu einer Verschiebung des Problems führen könne. Kritisch äußerte sich auch Rechtsanwalt Pollähne, der davon sprach, dass der Entwurf von einem „tendenziösen Missbrauchsdiskurs“ geprägt sei.
Weisungen und Auflagen bei Bewährungsaussetzungen
Die im Gesetzentwurf ebenfalls enthaltene Ausweitung von Weisungen und Auflagen im Rahmen von Bewährungsaussetzungen und vorläufigen Einstellungsentscheidungen, etwa mit Bezug zu Psycho- und Sozialtherapien, wurde von den Sachverständigen überwiegend positiv bewertet. Sachverständiger Brieger wies allerdings darauf hin, dass diese Regelung drohe ins Leere zu laufen, da es nicht genügend Behandlungsplätze gebe.
Auf deutliche Kritik einzelner Sachverständiger stieß die geplante Erweiterung der Strafzumessungsgründe. Laut Entwurf sollen künftig „geschlechterspezifische“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Tatmotive als Beispiele für menschenverachtende Beweggründe und Ziele in Paragraf 46 Absatz 2 Strafgesetzbuch aufgeführt werden. Das sei nicht erforderlich, da diese Motive nach „gängiger Zumessungssystematik problemlos erfasst werden können“, argumentierte der von der CDU/CSU-Fraktion als Sachverständige vorgeschlagene Rechtswissenschaftler Hans Kudlich von der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg. Richterin Allgayer argumentierte ähnlich und kritisierte die geplante Änderung als „symbolhafte Identitätspolitik“. Dafür sei das Strafgesetzbuch der „falsche Ort“, so die Richterin.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Konkret schlägt die Bundesregierung vor, den Umrechnungsmaßstab einer Geld- in eine Ersatzfreiheitsstrafe in Paragraf 43b Strafgesetzbuch zu halbieren. Demnach sollen künftig zwei Tagessätze einem Tag Ersatzfreiheitsstrafe entsprechen. Eine Ersatzfreiheitstrafe wird angeordnet, wenn eine zu einer Geldstrafe verurteilte Person diese nicht zahlt.
Die Halbierung begründet die Bundesregierung mit dem Umstand, dass deren Vollzug „in der Regel keinen Beitrag zur Resozialisierung der Betroffenen leisten kann“. Die Bundesregierung führt zudem Zahlen an, nach denen die Zahl der Menschen, die eine Ersatzfreiheitsstrafe verbüßt, deutlich gestiegen ist, während die Zahl derer, die eine Ersatzfreiheitsstrafe durch gemeinnützige Arbeit vermeiden, deutlich zurückgegangen ist. Durch entsprechende gesetzliche Anpassungen will die Bundesregierung daher sicherstellen, dass Personen, denen der Vollzug einer Ersatzfreiheitsstrafe droht, von den Vollstreckungsbehörden darauf hingewiesen werden müssen, dass es die Möglichkeit für Zahlungserleichterungen sowie für gemeinnützige Arbeit („freie Arbeit“) gibt.
Auch die Gerichtshilfe sowie Träger der freien Straffälligenhilfe sollen künftig stärker eingebunden werden. Eine komplette Streichung der Ersatzfreiheitsstrafen lehnt die Bundesregierung hingegen ab. Dies würde die „wirksame Durchsetzung des staatlichen Strafanspruchs bei der Geldstrafe grundsätzlich in Frage stellen“.
Gestiegene Zahl von Gewalttaten gegen Frauen
Hinsichtlich der Strafzumessung sollen laut Entwurf künftig „geschlechterspezifische“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Tatmotive als Beispiele für menschenverachtende Beweggründe und Ziele in Paragraf 46 Absatz 2 StGB aufgeführt werden. Die Bundesregierung verweist zur Begründung auf die gestiegene Zahl von Gewalttaten gegen Frauen innerhalb von Partnerschaften sowie im digitalen Raum in Form von Hassreden. Ebenfalls davon betroffen seien – analog wie digital – auch lesbische, schwule, bisexuelle, trans- und intergeschlechtliche Personen sowie andere queere Menschen. Zwar können laut Entwurf solche Hassmotive bereits heute strafverschärfend berücksichtigt werden. „Diese Vorgabe soll jedoch bekräftigt und verstärkt werden“, heißt es in dem Entwurf.
Eine wesentliche Änderung schlägt die Bundesregierung zudem mit Blick auf die Unterbringung von Verurteilten in Entziehungsanstalten vor. Die entsprechenden Regelungen sollen enger gefasst werden. Zum einen soll die Anordnung einer solchen Maßregel laut Entwurf an strengere Voraussetzungen geknüpft werden. Zum anderen soll die Anrechnung der Zeit im Maßregelvollzug auf die Aussetzung der Reststrafe zur Bewährung an die Anrechnung regulärer Haftzeiten angepasst werden. Die Bundesregierung begründet die Änderungen mit der Überlastung der entsprechenden Anstalten. Dafür seien zum einen die zu weit gefassten Voraussetzungen verantwortlich, zum anderen setze die bisherige Anrechnungspraxis der Maßregelzeit falsche Anreize.
Spezialpräventive Maßnahmen
Ferner will die Bundesregierung die Möglichkeiten, im Rahmen von Bewährungsaussetzungen und vorläufigen Einstellungsentscheidungen durch ambulante Maßnahmen spezialpräventiv auf Straftäter einzuwirken, bekräftigen und ausbauen.
Unterstützung drückt die Bundesregierung für einen Vorschlag des Bundesrates in dessen Stellungnahme zum Gesetzentwurf aus. Die Länderkammer hatte vorschlagen, die Geltung des deutschen Strafrechts auch für bestimmte im Ausland begangene Taten, etwa Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung auszuweiten. Bisher können für diese Tat nur Personen in Deutschland belangt werden, die zum Tatzeitpunkt Deutsche sind. Künftig sollte dies nach Vorstellung des Bundesrates und der Bundesregierung auch für Personen gelten, die ihre Lebensgrundlage in Deutschland haben. Andere Vorschläge des Bundesrates lehnt die Bundesregierung hingegen überwiegend ab.
Antrag Die Linke
In der laufenden Debatte um die Reform der Ersatzfreiheitsstrafe spricht sich die Fraktion Die Linke für deren komplette Streichung aus. Zudem schlagen die Abgeordneten in einem Antrag (20/4420) vor, die Bestimmung von Geldstrafen am Einbußeprinzip zu orientieren. Die Fraktion führt zur Begründung aus, dass die Ersatzfreiheitsstrafe nach Paragraf 43 Strafgesetzbuch „ein Instrument der Diskriminierung von einkommens- und vermögensschwachen Menschen, die häufig am Existenzminimum leben“, sei. Vor allem ärmere Menschen seien von den Ersatzfreiheitsstrafen betroffen, weil sie nicht in der Lage seien, die hohen Geldstrafen zu bezahlen. „Soziale Desintegration in Form von Arbeitslosigkeit, Wohnungslosigkeit und Abhängigkeit von legalen und illegalisierten Drogen spielen dabei oft eine entscheidende Rolle“, heißt es weiter in dem Antrag. In der Praxis würden Ersatzfreiheitsstrafen überwiegend wegen Bagatelldelikten wie dem Fahren ohne Fahrschein oder Ladendiebstählen verhängt.
Zudem sind aus Sicht der Abgeordneten die verhängten Geldstrafen für arme Menschen zu hoch, weil dabei das Nettoeinkommensprinzip greife. „Ein Tagessatz entspricht dabei dem Nettoeinkommen pro Tag. Bei einem sehr geringen Einkommen bleibt den Verurteilten kein Geld zur Lebensführung mehr übrig“, heißt es in dem Antrag. Die Fraktion spricht sich daher für das Einbußeprinzip aus. „Eine Orientierung am Einbußeprinzip würde dagegen dazu führen, dass eine Geldstrafe nur dem Betrag entspricht, der neben der Lebensführung eingebüßt werden kann. Bei Personen, die am Existenzminimum leben, können dies auch sehr geringe Beträge sein“, schreiben die Abgeordneten. Weitere Forderungen in dem Antrag beziehen sich auf den Erlass von Geldstrafen, eine Begründungspflicht für die Festlegung von Tagessätzen und eine tatsächliche Ermittlung von Einkommen zur Bestimmung von Tagessatzhöhen statt einer Schätzung. (scr/hau/17.04.2023)