Entwurf zur Verkleinerung des Bundestages stößt bei der Union auf scharfe Kritik
Die Pläne der Fraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zur Begrenzung der Abgeordnetenzahl im Bundestag sind am Freitag, 27. Januar 2023, im Parlament auf scharfe Kritik der Union gestoßen, während Vertreter der Ampelkoalition ihrerseits die CDU/CSU-Vorschläge für eine entsprechende Wahlrechtsreform entschieden zurückwiesen. Der Bundestag hat sich am erstmals mit dem von den Ampelfraktionen vorgelegten Gesetzentwurf „zur Änderung des Bundeswahlgesetzes und des Fünfundzwanzigsten Gesetzes zur Änderung des Bundeswahlgesetzes“ (20/5370) befasst. Derzeit verfügt das Parlament über 736 Sitze und damit über so viele wie noch nie in seiner Geschichte.
Die AfD-Fraktion, die einen im Kern inhaltsgleichen Vorschlag wie die Koalition eingebracht und damit ihre Initiative aus der vorherigen Wahlperiode aufgegriffen hat, begrüßte, dass mit diesem Modell das von ihr vorgelegte Konzept eine Mehrheit finden werde, „weil es kein besseres gibt“. Auch aus der Fraktion Die Linke wurde Zustimmung zu der Ampelvorlage signalisiert. Neben den beiden Gesetzentwürfen der Koalitionsfraktionen (20/5370) und der AfD-Fraktion (20/5360) lagen den Abgeordneten auch Anträge der Unionsfraktion (20/5353) und der Linksfraktion (20/5356, 20/5357, 20/5358) zur Wahlrechtsreform erstmals vor. Alle Vorlagen überwiesen die Abgeordneten nach der Aussprache zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Inneres.
Koalition und die AfD für Beibehaltung von 299 Wahlkreisen
Die Koalition und die AfD sehen in ihren Gesetzentwürfen vor, die Zahl der Bundestagsabgeordneten bei weiterhin 299 Wahlkreisen künftig verlässlich auf die Regelgröße von 598 Parlamentsmitglieder zu begrenzen und dafür die Zuteilung sogenannter Überhang- und Ausgleichsmandate zu streichen. Dies könnte dazu führen, dass in Zukunft nicht mehr alle Direktkandidaten, die in ihrem Wahlkreis die meisten Erststimmen erhalten, in den Bundestag einziehen. Erringen Wahlkreisbewerber einer Partei mehr Mandate, als dieser nach dem für das Kräfteverhältnis der Parteien im Parlament ausschlaggebenden Zweitstimmenergebnis zustehen, sollen diejenigen von ihnen mit den vergleichsweise schlechtesten Erststimmenergebnis leer ausgehen.
Überhangmandate fallen an, wenn eine Partei über die Erststimme mehr Direktmandate in den Wahlkreisen gewonnen hat, als ihrem Listenergebnis entspricht. Um das mit der Zweitstimme bestimmte Kräfteverhältnis der Parteien im Parlament wiederherzustellen, werden diese Überhänge seit 2013 mit zusätzlichen Ausgleichsmandaten kompensiert. In der Folge ist die Zahl der Abgeordneten über die gesetzliche Regelzahl hinaus auf derzeit 736 angestiegen.
CDU/CSU für Anhebung der Grundmandatsklausel
Die CDU/CSU-Fraktion schlägt in ihrem Antrag vor, die Zahl der Wahlkreise von derzeit 299 auf 270 zu reduzieren und die Regelgröße für Listenmandate auf 320 zu erhöhen. Zugleich plädiert sie für eine Erhöhung der Zahl unausgeglichener Überhangmandate von derzeit drei „auf die vom Bundesverfassungsgericht zugelassene Anzahl“ von 15. Zudem spricht sie sich für eine „Anhebung der Grundmandatsklausel“ aus. Danach sollen bei Verteilung der Sitze auf die Landeslisten nur Parteien berücksichtigt werden, die mindestens fünf Prozent der gültigen Zweitstimmen erhalten oder in mindestens fünf statt bisher drei Wahlkreisen einen Sitz errungen haben.
Von der bisherigen Grundmandatsklausel hat zuletzt Die Linke bei der Bundestagswahl 2021 profitiert, bei der sie nur 4,9 Prozent der Zweitstimmen erhielt, aber drei Direktmandate errang und daher in Fraktionsstärke ins Parlament einziehen konnte. Sie wirbt in ihren Wahlrechts-Anträgen dafür, das Mindestalter für das aktive Wahlrecht auf Bundesebene von 18 auf 16 Jahren abzusenken, ein Ausländerwahlrecht ab einem fünfjährigen legalen Aufenthalt in der Bundesrepublik einzuführen und zur Stärkung des Frauenanteils im Parteiengesetz festzuschreiben, dass Frauen und Männer bei der Aufstellung der Landeslisten gleichermaßen berücksichtigt werden.
SPD: Ampel-Vorschlag ist ein großer Wurf
Sebastian Hartmann (SPD) wertete den Ampel-Vorschlag in der Debatte als „großen Wurf“, der den Bundestag bei allen künftigen Wahlen wieder auf seine Regelgröße von 598 Abgeordneten zurückführen werde. Er verwies zugleich darauf, dass die bisherige Zweitstimme nach dem Ampelvorschlag künftig „Hauptstimme“ genannt werden solle, weil diese für die Verteilung der 598 Sitze entscheidend sei.
Zunächst müsse dabei für eine Partei durch das proportionale Verhältnis der Sitzplatzanspruch entstanden sein, dann werde auf die Wahlkreissieger geblickt. „Wenn diese doppelte Legitimation entsteht“, sei der entsprechende Kandidat im Wahlkreis gewählt. Dies sei einfach, fair, gerecht, nachvollziehbar und bevorteile keine Partei alleine.
CDU/CSU: Direktmandate werden nur noch zugeteilt
Ansgar Heveling (CDU/CSU) beklagte, dass sich die Ampel bei den Beratungen der Wahlkreiskommission schon in einem frühen Stadium auf das „Kappungsmodell“ festgelegt habe. Danach könne das Ergebnis der Stimmabgabe für einen Direktkandidaten sein, dass dieser zwar die meisten Stimmen erhalte, aber trotzdem kein Bundestagsmandat.
Direktmandate würden damit „nicht mehr gewonnen, sondern einfach nur noch zugeteilt“. Wahlkreise, deren Wahlkreissieger nicht über die erforderliche „Hauptstimmendeckung“ verfügt, würden daher „verwaisen“ und wären im Bundestag nicht mehr durch einen Wahlkreisabgeordneten vertreten, warnte Heveling und forderte, die bisherige Wirkung der Erststimme zu erhalten.
Grüne: Eine wirksame Verkleinerung des Parlaments
Till Steffen (Bündnis 90/Die Grüne) betonte, dass jetzt eine wirksame Verkleinerung des Parlaments umgesetzt werde. Dabei entscheide nach dem Ampel-Vorschlag die Hauptstimme, wie viele Mandate jede Partei im Bundestag erhält, während sich die Verteilung auf die einzelnen Bundesländer aus der Zahl der dort jeweils abgegebenen Stimmen ergebe.
Dabei hätten bei der Frage, wer aus welchem Bundesland in das Parlament einzieht, die Wahlkreiskandidaten den Vorrang vor den Listenkandidaten. Dies sei auch deshalb fair, weil die Wettbewerbschancen der im Parlament vertretenen Parteien nicht verändert würden.
AfD fordert Wegfall der Überhangsmandate
Albrecht Glaser (AfD) plädierte ebenfalls für einen Wegfall der Überhangsmandate zur Begrenzung der Abgeordnetenzahl. Dies habe seine Fraktion bereits 2020 in einem Gesetzentwurf vorgeschlagen, der nun in leicht veränderter Form wieder auf der Tagesordnung stehe. Dieser enthalte alles, was die Koalition jetzt als ihr eigenes Konzept anpreise.
Darüber hinaus wolle die AfD „mehr Zweitstimmen als bisher, um damit einzelne Bewerber auf den Landeslisten zu kennzeichnen“ und so Einfluss auf die Reihenfolge der Kandidaten zu gewinnen. Auf diesen „demokratischen Fortschritt“ werde seine Fraktion nicht verzichten.
FDP will an eine Wahl mehr als eine Bedingung knüpften
Konstantin Kuhle (FDP) sagte, mit dem Gesetzentwurf der Koalition könne die Erwartung, die Größe des Parlaments einzuhalten, sicher erfüllt werden. Stellt eine Partei in einem Bundesland in mehr Wahlkreisen die „stimmenstärkste Person“, als ihr nach dem Zweitstimmenergebnis zustehen, seien die Bewerber mit den relativ schlechtesten Erststimmenergebnissen „nicht gewählt“.
Daher gehe es eben nicht darum, „jemandem, der schon gewählt ist, etwas wegzunehmen“. Auch sei es völlig normal, dass an eine Wahl mehr als eine Bedingung geknüpft werde. So müsse man in den meisten Bundesländern bei einer Bürgermeisterwahl mehr Stimmen als die Mitbewerber erzielen und zugleich mehr als 50 Prozent der Stimmen.
Linke: Operation an der Hauptschlagader der Demokratie
Susanne Hennig-Wellsow (Die Linke) unterstrich, dass man über nichts weniger debattiere als über eine „Operation an der Hauptschlagader der Demokratie“. Dabei würde der Vorschlag der Union zum „Fortbestehen“ von deren „einseitiger Bevorzugung“ führen. Dem könne nicht zugestimmt werden, wobei sie noch gar nicht über die Absicht spreche, „möglicherweise faktisch die Grundmandatsklausel zu kippen“.
Dagegen sei zu begrüßen, dass die Ampelkoalition nun einen Vorschlag unterbreitet habe, der die Wahlgrundsätze Verfassungsmäßigkeit und Gerechtigkeit der Regelungen vereinen möchte. Für sie gehe dieser Vorschlag „in eine richtige Richtung“. (sto/27.01.2023)