Zeit:
Mittwoch, 15. März 2023,
11 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3.101
Mit dem Gesetzentwurf zum Neustart der Digitalisierung der Energiewende (20/5549) planen die Ampelfraktionen den Einbau intelligenter Strommessgeräte schneller voranzubringen. Die intelligenten Systeme sollen dabei helfen, Energie effizient und kostengünstig zu nutzen sowie das Stromnetz zu entlasten. Der Einbau sogenannter Smart-Meter soll unbürokratisch und schneller möglich sein. Parallele Änderungen im Energiewirtschaftsgesetz (EnWG) sollen zudem das Angebot von dynamischen Stromtarifen ausweiten.
Am Mittwoch, 15. März 2023, hat sich der Ausschuss für Klimaschutz und Energie in einer öffentlichen Anhörung mit dem Gesetzentwurf von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP befasst. Allgemeiner Tenor: Im Prinzip richtig, aber an der einen und anderen Stelle sehen die Sachverständigen doch Anlass für Nachbesserungen.
Handlungsbedarf beim Eichrecht
Strom werde der zentrale Energieträger der Zukunft sein, bis 2045 werde sich der Strombedarf verdoppeln. Mit dem vorliegenden Gesetzentwurf werde der Dringlichkeit einer beschleunigten Digitalisierung der Stromnetze auf Verteilnetzebene Rechnung getragen und die Grundlage für den massentauglichen Rollout intelligenter Messsysteme als einem wichtigen Baustein für eine zukunftsfähige Netzinfrastruktur gelegt, stellte Mark Becker–von Bredow, Bereichsleiter Elektrifizierung und Klima bei ZVEI eingangs fest. Die Kosten für die moderne Messeinrichtung beim Endkunden zukünftig auf höchstens 20 Euro zu begrenzen, stärke die Akzeptanz bei den Endverbrauchern. Handlungsbedarf sehe er unter anderem beim Eichrecht, da brauche es Änderungen, die einen agilen Rollout und die schnelle Umsetzung von Software-Updates unterstützen.
Derzeit würden für Software-Updates der Smart Meter Gateways (SMGW) zusätzliche Freigaben durch die jeweils verantwortlichen Landeseichbehörden erforderlich. Hier wäre noch einmal zu prüfen, ob zur Beschleunigung solcher Updates bei bereits installierten Smart Meter Gateways analog zu Neugeräten die ohnehin vorhandenen Zertifikate der BSI und Baumusterprüfbescheinigungen der PTB ausreichend seien, sagte Becker-von Bredow.
„Gute Ansätze aber unnötige Kosten“
„Gute Ansätze“ bescheinigte Tobias Boegelein, Softwareentwickler bei Bits & Bäume dem Gesetzentwurf. Diese würden jedoch nicht konsequent zu Ende gedacht. So entstünden unnötige Kosten und Elektroschrott bei der Installation der Smartmeter Gateways. Diese sollen die Konsumenten dazu bewegen, Strom aus den Netzen abzunehmen, wenn dieser aus erneuerbarer Energie und damit günstig verfügbar sei. Die dafür vorgesehenen dynamischen Tarife aber sollen sich nach dem bundesweit gehandelten Börsenstrompreis richten – das sei sozial ungerecht, denn schon jetzt verbrauchten finanziell starke Haushalte sehr viel mehr Strom und würden somit auch am meisten profitieren, so Boegelein.
Sinnvoller sei es zudem, eine Regelung voranzutreiben, die es ermöglicht, Tarife regional zu gestalten, sodass Anreize geschaffen würden, den vor Ort nachhaltig produzierten Strom direkt zu verbrauchen oder zu speichern. Kritisch sieht Boegelein auch den Umstand, dass die geplante Nutzungsaufzeichnung von Privathaushalten in Viertelstundenabschnitten detaillierte Schlüsse zu Personen und Lebensstilen zulasse – das sei nicht nötig und somit völlig unverhältnismäßig.
„Marktbedingungen nicht berücksichtigt“
Was soll das Gesetz bewirken, fragte sich Alwin Burgholte, Professor an der Jade Hochschule Wilhelmshaven – und zitierte: „Das Gesetz ist erforderlich, um die für die Energiewende notwendige Digitalisierung des Energiesystems zu beschleunigen, zu entbürokratisieren und die Rechtssicherheit beim Smart-Meter-Rollout zu stärken“. Das bedeute, so Burgholte, es gelte „ausschließlich die politischen Interessen zur Umsetzung der Energiewende zu befriedigen und dieses in einer nicht zu realisierenden kurzen Übergangsfrist“. Technische Fakten und Marktbedingungen würden nicht berücksichtigt. Das sei auch der Grund, warum viele Betriebe nicht mehr in Deutschland investierten, sondern ins Ausland abwandern.
Burgholte wies darauf hin, dass es immer wieder sogenannte Dunkelflauten gebe, Zeiten also, in denen zu wenig Wind und Sonne verfügbar sei. Derzeit könnten in diesen Zeiten nur konventionelle Kraftwerke und Importe die Stromversorgung sichern. Die erforderlichen großen Speicher im Gigawattstundenbereich (GWh) für Wind- und Solarleistung seien nicht verfügbar und auch für die nächsten zehn Jahre nicht absehbar.
Idee aus dem Jahre 2007
Eine Beschleunigung der Digitalisierung im Energiesektor sei aus seiner Sicht dringend nötig, sagte hingegen Felix Dembski, Vice President Regulatory der sonnen GmbH. Die Idee stamme aus dem Jahr 2007, damals hieß die Kanzlerin Merkel und der Wirtschaftsminister Glos. Seitdem sei in der Theorie viel, in der Praxis wenig passiert.
Der vorliegende Gesetzentwurf räume eine Reihe von Stolpersteinen aus dem Weg. Allein die drohende Pflicht, nahezu sämtliche digitale Kommunikation über das SMGW abwickeln zu müssen, bereite ihm Sorgen, der Zwang, zukünftig nahezu jeden Datenaustausch mit Anlagen über das Smart Meter Gateway abwickeln zu müssen. Das SMGW sei technisch gar nicht darauf vorbereitet, eine solche kaum abzuschätzende Menge an Daten zu übermitteln.
Kritik an „deutschem Sonderweg“
Thomas Seltmann, Referent Solartechnik & Speicher beim Bundesverband Solarwirtschaft (BSW) sprach von einem „Sonderweg“, den Deutschland mit dem Ansatz eingeschlagen habe, die Übertragung von Messdaten mit der Steuerung eines dezentralen Stromsystems verpflichtend über ein vom Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) zertifiziertes intelligentes Messsystem zu koppeln.
Diesen Weg halte der BSW für nicht sinnvoll. „Nach unserem Wissen wurde dies bislang nicht erprobt“, so Seltmann. Auch scheinen ihm die 900 grundzuständigen Messstellenbetreiber weder organisatorisch noch fachlich dafür aufgestellt, einen Großteil der digitalen Kommunikation aller Erneuerbare-Energie-Anlagen im Land abzuwickeln.
Verbraucherzentrale begrüßt Preisdeckel
Die Digitalisierung stelle neben der Energieeffizienz und dem Ausbau der erneuerbaren Energien einen Eckpfeiler der Energiewende dar, sagte Dr. Thomas Engelke; Leiter Team Energie und Bauen der Verbraucherzentrale Bundesverband (vzbv). Die Nutzung von SMGW biete die Möglichkeit, Stromnetze besser zu nutzen, Stromerzeugung und -verbrauch besser zu koordinieren und den Energieverbrauch sowie die Kosten für die Verbraucher zu senken. Gleichzeitig fallen bisher für die privaten Haushalte Kosten für den Betrieb der Smart Meter zwischen 23 Euro und 100 Euro jährlich sowie gegebenenfalls für den Austausch von Zählerschränken an. Diese Kosten konnten bisher in der Regel nicht eingespart werden – sie rechneten sich nicht. Engelke begrüßte deshalb, dass die Bundesregierung nun plane die Kosten gerechter zu verteilen. Der vzbv fordert, die Preisobergrenzen frühestens im Jahr 2027 zu erhöhen und dies um maximal zwei Prozent pro Jahr, und die bei den Netzbetreibern anfallenden Kosten sollten aus Steuergeldern finanziert und nicht auf die Netzentgelte umgelegt werden.
Dr. Ernesto Garnier, CEO und Gründer von Einhunder Energie begrüßt die Gesetzesinitiative. Ausgehend von dem Umstand, dass die Versorgung von Wohn- und Gewerbequartieren mit Photovoltaikanlagen (PV) weit hinter den Erwartungen zurückliege – anstelle von bis zu 3 Gigawatt Zubau bei PV-Mieterstrom, die seit Gesetzesänderung 2017 förderfähig gewesen wären, seien es Stand Mitte Februar 2023 gerade einmal 116 Megawatt – stellte Garnier sich die Frage: Was ist zu tun, um die städtischen Dachflächen für mehrere Gigawatt PV zu nutzen und so auch die lokale Belastung des Verteilnetzes durch Wärmepumpen und Ladesäulen abzufedern? Seine Antwort: Es braucht eine deutliche Vereinfachung, die sich aufwands- und kostensenkend auswirkt. Und die mit Strommarkt, Verteilnetz sowie Messstellenbetrieb intelligent zusammenspielt. Dazu schlage er zwei Ergänzungen des GNDEW vor, die eine erhebliche Beschleunigung des PV- und Wärmepumpen-Rollouts in Quartieren mittels Digitalisierung ermöglichen würden – ohne systemische Mehrkosten oder Subventionen: Mit dem virtuellen Summenzähler überflüssige Messtechnik einsparen und mit der Eingrenzung der Anlagenzusammenfassung Steuertechnik einsparen.
Messstellenbetreiber fürchten Mehrkosten
Kritische Töne kamen auch von Seiten der Messstellenbetreiber. Oliver Pfeifer, Grundsätze und Strategie Messstellenbetrieb Netze BW bereiten vor allem die Kosten Sorgen. Die bislang ungeregelte Erstattung der von den Netzbetreibern zu übernehmenden Kosten für die intelligenten Messsysteme und die fehlende Auskömmlichkeit der gesetzlich geregelten Preisobergrenzen für den Messstellenbetrieb mache zentrale Anpassungen am Gesetzentwurf notwendig. Pfeifer nannte die Ermöglichung eines zielgerichteten Rollouts durch Priorisierung auf Pflicht-Einbaufälle, da hier der Systemnutzen am größten sei, die konsequente Umsetzung von Vereinfachungen etwa durch Anpassungen im Eichrecht, die Aufnahme einer Verordnungsermächtigung für die Bundesnetzagentur zur unmittelbaren Berücksichtigung der zusätzlichen neuen Kosten in den Erlösobergrenzen der Netzbetreiber und die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit bei den Messstellenbetreibern.
Dem schloss sich Friedrich Rojahn, Geschäftsführer der Solandeo GmbH an. Er machte drei Verbesserungsvorschläge. Erstens: Preisobergrenzen (POG) müssten realitätsnah sein, auf Basis von aktuellen, realistischen Kostenanalysen. Momentan sollen aber im Wesentlichen POG Anwendung finden, die auf einer Studie aus 2013 (aktualisiert 2014) basieren. Zweitens: Im Entwurf des GNDEW würden die verpflichtenden Zusatzleistungen des Messstellenbetreibers erheblich ausgeweitet – darunter die Steuerung von dezentralen Anlagen. Dies stelle eine wesentliche, zusätzliche Dienstleistung insbesondere für den Netzbetreiber dar. Diese Kosten für netzdienliche Zusatzleistungen würden jedoch nicht vom Netzbetreiber getragen beziehungsweise über die Netzentgelte umgelegt. Drittens: Noch wichtiger als eine Preisregulierung im Messwesen wäre es, dafür zu sorgen, dass Messstellenbetreiber auf eine breite Auswahl von Technologielieferanten zurückgreifen können. Angesichts von nur vier zertifizierten Herstellern von Smart Meter Gateways und einer vergleichbar kleinen Anzahl von Softwareanbietern für die Gateway Administration (GWA) sei das seit Jahren nicht der Fall.
Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit
Sehr ähnlich ließen sich Marco Sauer, Head of Regulatory Affairs & Business Development der Theben AG und Rainer Stock, Bereichsleiter Netzwirtschaft, Verband Kommunaler Unternehmen (VKU) ein. Sauer nannte als wichtigste Anpassungen am GNDEW „die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit für den Messstellenbetreiber“ (die heute geltenden Preisobergrenzen sollten schnell überprüft und justiert werden – nicht erst 2024, sondern noch 2023); und „die Sicherstellung der Wirtschaftlichkeit für den Verteilnetzbetreiber“. Das GNDEW verweise allgemein auf die Anreizregulierung, wodurch dem Grunde nach die Kosten in die Erlösobergrenzen der Verteilnetzbetreiber im Rahmen der Anreizregulierung eingingen. Dort unterlägen sie aber den Erlösvorgaben, würden also nur mit Zeitversatz und nur unvollständig refinanziert, obwohl der Verteilnetzbetreiber keinen Einfluss auf diese Kosten habe.
Rainer Stock vom VKU kritisierte eben diese Punkte als problematisch, „die aus dem eigentlichen Gesetzgebungsverfahren ausgeklammert wurden“: Zwar ermögliche das GNDEW zum Beispiel alle vier Jahre eine Anpassung der Preisobergrenzen (POG) durch das Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz (BMWK), nehme jedoch selbst keine Anpassung an ihnen vor. Genauso werde auch eine Anerkennung der durch die Aufteilung der POG für die Netzbetreiber entstehenden Kosten nicht geregelt, sondern der Bundesnetzagentur überlassen und damit in Umfang und Zeitpunkt offengelassen. Gleiches gelte auch für weiterhin offene eichrechtliche Fragen bezüglich des Umgangs mit Softwareaktualisierungen von Smart Meter Gateways, die mit den Landeseichämtern geklärt werden müssten.
Gesetzentwurf der Koalition
Die intelligenten Systeme sollen dabei helfen, Energie effizient und kostengünstig zu nutzen sowie das Stromnetz zu entlasten und seien somit ein wichtiger Baustein der Energiewende, machen die Koalitionsfraktionen deutlich. Der Einbau intelligenter Strommesssysteme – sogenannter Smart-Meter – solle künftig unbürokratisch und schneller möglich sein. Er soll den Angaben zufolge künftig keiner Freigabe mehr durch das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) bedürfen, da die Hersteller am Markt mittlerweile die notwendigen hohen Anforderungen an den Datenschutz und die Datensicherheit erfüllen würden. Die bestehenden Auflagen würden mit dem Gesetz ausgebaut mit präzisen Vorgaben zu Speicherungen, Löschungen und Anonymisierung.
Der Gesetzentwurf sieht einen Rolloutfahrplan mit verbindlichen Zielen bis zum Jahr 2030 vor. Die Messstellenbetreiber werden per Gesetz beauftragt, die angeschlossenen Verbrauchsstellen schrittweise mit Smart-Metern auszustatten. Ab 2025 soll der Einbau von intelligenten Messsystemen verpflichtend für Haushalte mit einem Jahresstromverbrauch von über 6.000 Kilowattstunden oder einer Photovoltaik-Anlage mit mehr als sieben Kilowatt installierter Leistung sein. Bis 2030 sollen alle diese Abnehmer entsprechend mit Smart-Metern ausgestattet sein. Auch Haushalte, die weniger Strom verbrauchen, sollen dem Entwurf zufolge das Recht auf Einbau eines intelligenten Stromzählers erhalten. (mis/hau/15.03.2023)