Geschichte

Erste gemeinsame Sitzung des deutschen und französischen Parlaments

Bundeskanzler Gerhard Schröder wendet sich von einem Rednerpult rund 900 Mitgliedern der französischen Nationalversammlung und des Deutschen Bundestages zu, die zum ersten Mal zu einer gemeinsamen Sitzung zusammen gekommen sind.

Bundeskanzler Gerhard Schröder während seiner Rede zu den Feiern zum 40. Jahrestag des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages am 22. Januar 2003 im Schloss von Versailles. Dahinter hören Bundestagspräsident Wolfgang Thierse (links) und der Präsident der Nationalversammlung, Jean-Louis Debre (rechts), zu. (© picture-alliance / dpa | epa afp Bureau)

Vor 20 Jahren, am 22. Januar 2003, halten die Abgeordneten des Deutschen Bundestages und der französischen Nationalversammlung (Assemblée nationale) zum ersten Mal eine gemeinsame Parlamentssitzung ab. Im Schloss von Versailles feiern beide Nationen mit der gemeinsamen außerordentlichen Sitzung beider Parlamente den 40. Jahrestag der Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages – Élysée-Vertrages.

Die Sitzung wird von den Parlamentspräsidenten Jean-Louis Debré und Dr. h. c. Wolfgang Thierse geleitet. Anwesend sind auch Bundeskanzler Gerhard Schröder (SPD), der französische Staatspräsident Jacques Chirac (1932 bis 2019, RPR/UMP) und Premierminister Jean-Pierre Raffarin (UMP). Die Präsidenten des Bundestags und der Nationalversammlung waren bereits am Morgen zu einer Arbeitssitzung zusammengekommen.

Gemeinsame Erklärung 

Nach Reden der Parlamentspräsidenten, des Bundeskanzlers und des Staatspräsidenten verabschieden Assemblée nationale und Bundestag in Versailles eine gemeinsame Erklärung zur Intensivierung der gemeinsamen Gesetzgebungsarbeit.

Unter anderem beschließen die Abgeordneten regelmäßige gemeinsame Präsidiumssitzungen, eine Kooperation der Ausschüsse sowie den Austausch von Beamten. Der 22. Januar wird zum „deutsch-französischen Tag“ proklamiert.

Deutsch-französischer Ministerrat

Auch Bundeskanzler Gerhard Schröder und Staatspräsident Jacques Chirac unterzeichnen aus Anlass der 40-Jahr-Feier der Unterzeichnung des Élysée-Vertrages eine Erklärung die Beziehungen in Politik, Wirtschaft und Gesellschaft weiter zu intensivieren. Unter anderem werden halbjährlich tagende Ministerräte eingerichtet.

Das erste Treffen des Deutsch-Französischen Ministerrates findet bereits am 22. Januar 2003 im Élysée-Palast statt. Seither kommen die Kabinette beider Staaten halbjährlich zu einer gemeinsamen Sitzung in Paris oder Berlin zusammen. Erstmals wird auch die Ernennung eines Beauftragten für die deutsch-französische Zusammenarbeit in beiden Ländern vereinbart.

Zweite Gemeinsame Sitzung zum 50 Jahrestag

Zehn Jahre später, am 22. Januar 2013, ist das Reichstagsgebäude in Berlin anlässlich des 50. Jahrestages Schauplatz der Begegnung beider Parlamente und Regierungen. Auch dieses Mal verabschieden die Parlamente eine gemeinsame Erklärung (17/12100). 

Bundestagspräsident Prof. Dr. Norbert Lammert und sein französischer Amtskollege Claude Bartolone leiten die Sitzung gemeinsam. An die Reden des französischen Staatspräsidenten François Hollande (PS) und der Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) schließt sich eine einstündige Aussprache der Parlamentarier an, die mit der Verabschiedung einer Erklärung beider Parlamente endet.

Élysée-Vertrag

Vor 60 Jahren, am 22. Januar 1963 unterzeichneten Staatspräsident Charles de Gaulle (1890-1970, UNR) und Bundeskanzler Dr. Konrad Adenauer (1876-1967, CDU) im Pariser Élysée-Palast den Vertrag über die deutsch-französische Zusammenarbeit – kurz Élysée-Vertrag.

Mit dem Vertrag wurde die Aussöhnung besiegelt und der Grundstein für die Freundschaft zwischen Deutschland und Frankreich gelegt – und damit für den dauerhaften Frieden in Europa. Hintergrund des Abkommens war die Erkenntnis auf beiden Seiten, dass nur durch eine verstärkte Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern ein vereintes und damit friedliches Europa zu erreichen sei.

Meilenstein in der Verständigungspolitik

Nach schrecklichen Kriegen und einer unversöhnlichen Konkurrenz, die mit dem Begriff der „Erbfeindschaft“ ihren schärfsten Ausdruck fand, bildete der Élysée-Vertrag einen Meilenstein in der deutsch-französischen Verständigungspolitik nach dem Zweiten Weltkrieg.

Dem Abkommen gingen eine Reihe wichtiger Annährungsschritte zwischen den beiden Nachbarländern voraus, wie der Schuman-Plan 1950, der in die Gründung der Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl im Jahr 1951 mündete sowie die Saarverträge, die 1956 zu einer einvernehmlichen Lösung über den Verbleib des Saarlandes in der Bundesrepublik führte.

„Ein geschichtliches Ereignis“

De Gaulle und Adenauer versicherten sich in dem heute auch als Jahrhundertvertrag gewerteten Abkommen ihrer gegenseitigen Überzeugung, „dass die Versöhnung zwischen dem deutschen und dem französischem Volk, die eine Jahrhunderte alte Rivalität beendet, ein geschichtliches Ereignis darstellt“.

Damit wurde der grundlegenden Erkenntnis Rechnung getragen, dass die Verstärkung der Zusammenarbeit zwischen den beiden Ländern ein unerlässlicher Schritt auf dem Weg zu einem vereinten Europa sei.

Verbindlicher Konsultationsmechanismus

Das Rückgrat des Vertrages bilden drei Kernbereiche: Festgelegt wurde ein verbindlicher Konsultationsmechanismus, der auf höchster Ebene zwischen Präsident und Kanzler wie auch auf der Ebene der Minister und leitenden Ministerialbeamten gilt. Darüber hinaus schrieben beide Länder fest, dass die Außen-, Europa- und Verteidigungspolitik koordiniert und abgesprochen werden soll. Zentral war von Anfang an die Abstimmung der Positionen in der Europapolitik. Immer wieder gingen von Deutschland und Frankreich gemeinsame Initiativen zur Europäischen Integration aus. Das deutsch-französische Tandem wurde zum Motor der EU.

Weiter wurde beschlossen, sich der Erziehungs- und Jugendfrage zu widmen, die eine Brücke für die Zukunft zwischen beiden Ländern schlagen sollte. Ein konkretes Ergebnis dieses Beschlusses war die Schaffung des Deutsch-Französischen Jugendwerks im Juli 1963. Außerdem wurden im Rahmen der Partnerschaft gemeinsame Institutionen gegründet – der Wirtschafts-, Umwelt- und der Sicherheitsrat. Städte und Vereine dies- und jenseits des Rheins gründeten Partnerschaften. Später entstanden Hochschul-Kooperationen und deutsch-französische Gemeinschaftsunternehmen – wie der Fernsehsender Arte oder der Flugzeugbauer Airbus.

Getriebe im deutsch-französischen Motor

Der Élysée-Vertrag wird im Rückblick auch als „Getriebe“ im häufig zitierten „deutsch-französischen Motor“ bezeichnet. Nach Charles de Gaulle und Konrad Adenauer waren es Staatspräsident Valéry Giscard d'Estaing (1926-2020, UDF) und Bundeskanzler Helmut Schmidt (1918-2015, SPD), die in den siebziger Jahren mit mehreren Initiativen wie der Einrichtung des „Europäischen Rates“ und des „Europäischen Währungssystems“ zur Weiterentwicklung der europäischen Einigung beitrugen.

Bundeskanzler Dr. Helmut Kohl (1930-2017, CDU) und Staatspräsident François Mitterrand (1916-1996, PS) erweiterten den Vertrag, 25 Jahre nach dem geschichtsträchtigen Tag in Paris, im Jahr 1988 um zwei Zusatzprotokolle, die einen gemeinsamen „Finanz- und Wirtschaftsrat“ einen „Umweltrat“ und einen bilateralen „Verteidigungs- und Sicherheitsrat“ initiierten (11/3258).

Aachener Vertrag

Als Fortschreibung des Élysée-Vertrages gilt der Aachener Vertrag (19/10051), den Bundeskanzlerin Angela Merkel und Staatspräsident Emmanuel Macron (LREM) am 22. Januar 2019 (zum 56. Jahrestag des Élysée-Vertrages) unterzeichnet haben und der Bundestag am 26. September 2019 ratifiziert hat.

Darin vereinbaren beide Länder unter anderem den Ausbau von Austauschprogrammen für Bürger beider Länder, Zusammenarbeit im Klimaschutz, eine stärkere wirtschaftliche Integration und eine noch engere Zusammenarbeit in der Außen- und Sicherheitspolitik.

Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung

Am 11. März 2019 in Paris und am 20. März 2019 in Berlin verabschieden der Deutsche Bundestag und die französische Assemblée nationale in getrennten Sitzungen mit großer Mehrheit das Deutsch-Französische Parlamentsabkommen (19/8540).

Von besonderer Bedeutung ist die Gründung einer Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. Die Versammlung tagt mindestens zweimal im Jahr öffentlich, in der Regel abwechselnd in Deutschland und Frankreich, unter Leitung der beiden Parlamentspräsidenten. Grundlage war eine gemeinsame Resolution zur Stärkung der deutsch-französischen Beziehungen anlässlich des 55. Jahrestag des deutsch-französischen Freundschaftsvertrages am 22. Januar 2018. (klz/13.01.2023)

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