Fachkräftestrategie der Regierung stößt auf geteiltes Echo
Der Bundestag hat sich am Freitag, 20. Januar 2023, erstmals mit der Fachkräftestrategie der Bundesregierung beschäftigt, die von ihr als Unterrichtung (20/3990) vorgelegt wurde. Im Anschluss an die Debatte wurde sie zusammen mit einem Antrag mit dem Titel „Technisierung statt Zuwanderung – Für einen Arbeitsmarkt der Zukunft“ (20/5225) der AfD-Fraktion für einen modernen Arbeitsmarkt zur federführenden Beratung an den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen. Während die Bundesregierung betonte, nicht nur auf Zuwanderung zu setzen, sondern sich auch auf die Hebung inländischen Arbeitskräftepotenzials zu konzentrieren, kritisierten Unionsfraktion und AfD-Fraktion die Strategie der Bundesregierung als verfehlt und chaotisch, während Die Linke vor allem verlangte, auch die Arbeitsbedingungen zu verbessern.
Regierung will die inländischen Potenziale nutzen
Bundesarbeits- und sozialminister Hubertus Heil (SPD) sagte: „Das Wichtigste ist, dass wir die inländischen Potenziale nutzen.“ Er verwies auf die hohe Zahl von Menschen, die ohne Abschluss die Schule verlassen und die auch mit Ende 20 noch keine abgeschlossene Berufsausbildung haben. „Da müssen wir ran. Wenn wir nicht alle Register ziehen, wird der Fachkräftemangel zur dauerhaften Wachstumsbremse für Deutschland“, warnte Heil. Wenn alle inländischen Register gezogen seien, wozu auch mehr Weiterbildung und Frauenerwerbstätigkeit gehörten, dann brauche das Land zusätzlich qualifizierte, unbürokratische Zuwanderung.
Michael Kellner (Bündnis 90/Die Grünen), Parlamentarischer Staatssekretär im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz, stellte für die Bundesregierung klar, dass sich dafür auch der Blick auf zugewanderte Menschen ändern müsse. Denn es gebe zu viele Fachkräfte, die Deutschland wieder verlassen. Es müsse klar sein, dass sie willkommen seien, so Kellner.
CDU/CSU: Wir haben eine Fach- und Arbeitskräftekrise
Marc Biadacz (CDU/CSU) zitierte einen Bäcker aus seinem Wahlkreis in Baden-Württemberg, der Schwierigkeiten hat, seine Produkte zu verkaufen, weil er kein Personal habe. „Es klingt immer so akademisch, wenn wir von Fachkräftemangel reden, aber wir haben eine Fach- und Arbeitskräftekrise, die unsere Wirtschaft und Gesellschaft lähmt.“ Die Strategie der Bundesregierung sei aber von einem Durcheinander an Maßnahmen geprägt, die das Problem nicht lösten.
Seine Fraktion fordere deshalb eine zentrale Einwanderungsbehörde, um die Zuwanderung zu erleichtern, denn wenn Verfahren der Berufsanerkennung, wie derzeit, mehrere Monate dauern, dann schrecke das die Menschen ab, da brauche man dann auch kein Punktesystem und keine Chancenkarte, kritisierte Biadacz.
AfD: Einheimische Fachkräfte in Deutschland halten
René Springer (AfD) kritisierte die Bundesregierung dafür, dass sie die „Flucht von Einheimischen“ ins Ausland in ihrer Fachkräftestrategie mit keinem Wort erwähne. Stattdessen konzentriere sie sich fälschlicherweise darauf, mehr Zuwanderer nach Deutschland zu holen.
Die Innovationskraft Deutschlands habe die Regierung dagegen nicht auf dem Schirm, so Springer. Dabei sei es die politische Verantwortung der Bundesregierung, einheimische Fachkräfte hier zu halten. „Begraben Sie Ihre Fachkräftestrategie“, forderte er.
FDP will an mehr Stellschrauben drehen
Lukas Köhler (FDP) betonte, es mache keinen Sinn, nur an einer Stellschraube zu drehen, weshalb mehr Frauenerwerbstätigkeit, Weiterbildung und Zuwanderung auch zusammen gedacht werden müssten.
Wer Zuwanderung ablehne, müsse den Wählern auch ehrlicherweise sagen, dass dann eben an der Renten-Schraube gedreht und länger gearbeitet werden müsse.
Linke fordert Eindämmung prekärer Beschäftigung
Susanne Ferschl (Die Linke) sagte: „Jahrelang galt die Devise, Arbeit muss so billig wie möglich sein. Das Ergebnis ist ein in weiten Teilen hausgemachter Fachkräftemangel.“ Deshalb müsse die Bundesregierung auch ein Programm für gute Arbeit auflegen, wozu das Eindämmen prekärer Beschäftigung genauso gehöre wie mehr Tarifbindung und weniger Leiharbeit.
Jährlich würden 100.000 Jugendliche keinen Ausbildungsplatz bekommen, deshalb brauche es endlich eine Ausbildungsplatzgarantie und eine Umlage für Betriebe, die nicht ausbilden, forderte Ferschl.
SPD für Erleichterungen bei der Berufsanerkennung
Hakan Demir (SPD) rechnete vor, dass, selbst wenn jetzt alle Schüler einen Abschluss machen und alle Arbeitslosen mit neuen Jobs versorgt seien, trotzdem noch sieben Millionen Menschen bis 2037 auf dem Arbeitsmarkt fehlen würden.
Er verwies deshalb auf die geplanten Erleichterungen bei der Berufsanerkennung von Zuwanderern und auf Änderungen an der sogenannten Westbalkan-Regelung, die das Kontingent der Zuwanderung aus diesem Gebiet bisher auf 25.000 Menschen pro Jahr begrenzt. Dies wolle man erhöhen, kündigte er an.
Unterrichtung der Bundesregierung
Der anstehende langfristige Strukturwandel werde nur mit „ausreichend vielen geschickten Händen und klugen Köpfen“ erfolgreich zu bewältigen sein, heißt es in der Unterrichtung. Die gute Fachkräftebasis in Deutschland zu sichern und zu erweitern, sei daher entscheidend für die Innovations- und Leistungsfähigkeit auf dem Weg zu einer sozial-ökologischen Marktwirtschaft.
Sie sei ebenso essentiell, um flexibel auf neue Herausforderungen und vorausschauend auf absehbare Veränderungen am Arbeitsmarkt reagieren zu können. „Fachkräftesicherung trägt somit auch dazu bei, unsere sozialen Sicherungssysteme zukunftsfest zu machen“, schreibt die Bundesregierung. Sie sei eine „prioritäre Aufgabe der Arbeitsmarkt- und Bildungspolitik“.
Ausblick auf den Fachkräftebedarf bis 2026
In der Strategie werden nicht nur die Ursachen des Fachkräftemangels und die Auswirkungen der Corona-Pandemie und des Ukraine-Krieges erläutert. Die Regierung gibt auch einen Ausblick auf den Fachkräftebedarf bis 2026. In diesem Kapitel schreibt sie unter anderem: „Vergleicht man alle Arbeitsplätze, die voraussichtlich bis 2026 erstmalig oder neu zu besetzen sind, mit allen Arbeitskräften, die voraussichtlich dem Arbeitsmarkt neu zutreten oder den Arbeitsplatz wechseln, so zeigt sich, dass nach aktuellen Ergebnissen des Fachkräftemonitorings etwa 240.000 Arbeitsplätze mehr neu zu besetzen sind, als Arbeitskräfte verfügbar sein werden. Das damit einhergehende Fachkräfteparadox, also die zunehmende Gleichzeitigkeit von Fachkräftemangel in einigen Branchen und Regionen und der Arbeitsplatzabbau in anderen Branchen und Regionen, wird in Zukunft weiter zunehmen.“
Als prioritäre Handlungsfelder nennt die Regierung eine zeitgemäße Ausbildung, gezielte Weiterbildung, Hebung der Arbeitspotenziale, Verbesserung der Arbeitsqualität und eine moderne Einwanderungspolitik mit einer Reduzierung der Abwanderung.
Antrag der AfD
„Migranten haben die Fachkräftelücke in der Vergangenheit nicht geschlossen und werden sie auch in Zukunft nicht schließen. Statt verzweifelt an überkommenen Konzepten festzuhalten, muss die Arbeitsmarktpolitik komplett neu aufgestellt werden“, heißt es im Antrag der AfD. Langfristig sei eine aktivierende Familienpolitik erforderlich, die eine ausgeglichene Geburtenbilanz zum Ziel habe. Für den Übergang sei zur Schließung der Arbeitskräftelücke in Deutschland eine „Zwei-Standbeine-Strategie erfolgversprechend: Vermehrte Nutzung des eigenen Arbeitskräftepotentials auf der einen Seite, verstärkte Technisierung auf der anderen Seite.“
Die Fraktion fordert von der Bundesregierung unter anderem, die Steuerlast für Erwerbstätige spürbar zu senken, die „unkontrollierte Massenmigration und dem daraus resultierenden Lohndumping ein Ende zu bereiten“ sowie ein am tatsächlichen Bedarf ausgerichtetes Einwanderungsrecht zu schaffen. Ferner verlangen die Abgeordneten, ältere Beschäftigte mit steuerlichen Anreizen für Arbeitnehmer und Unternehmen - freiwillig - länger auf dem Arbeitsmarkt zu halten. Menschen müssten zudem für eine frühere Berufsausbildung und einen frühen Berufseintritt motiviert werden, sodass sich automatisch die Lebensarbeitszeit erhöht, was wiederum positive Auswirkungen auf den Arbeitsmarkt und die Finanzierung der Sozialversicherungen hätte, heißt es in dem Antrag. (che/hau/20.01.2023)