Bundestag überweist Gesetz zur Tierhaltungskennzeichnung
Auf heftige Kritik ist am Donnerstag, 15. Dezember 2022, die Gesetzesinitiative für eine verpflichtende Tierhaltungskennzeichnung gestoßen. Mit dem Gesetzentwurf „zur Kennzeichnung von Lebensmitteln mit der Haltungsform der Tiere, von denen sie gewonnen wurden“ (20/4822) stellte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir (Bündnis 90/Die Grünen) den Dreh- und Angelpunkt für die Agrarpolitik der Bundesregierung vor. Die Kritiker bemängelten, der Entwurf nehme weder Bezug auf die aktuelle Krise der Landwirte, noch nehme er die Verbraucher mit oder bringe Tierschutzaspekte in das bestehende System der Nutztierhaltung. Der Entwurf wurde nach der Debatte zur weiteren Beratung in den Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft überwiesen.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Nach jahrelangen Debatten hat das Bundeskabinett im Oktober den Entwurf aus dem BMEL auf den Weg gebracht, wonach ein verpflichtendes Kennzeichen für die Schweinehaltung ab 2023 starten soll – vorerst allerdings nur bezogen auf frisches, unverarbeitetes Schweinefleisch. Schrittweise sollen weitere Bereiche wie Gastronomie und Außer-Haus-Verpflegung sowie Tierarten wie Rinder und Geflügel dazukommen.
Vorgesehen ist ein Modell mit fünf Haltungskategorien während der Mast: Stall, Stall und Platz, Frischluftstall, Auslauf/Freiland sowie Bio. In der Stufe „Stall und Platz“ stehen Schweinen mindestens 20 Prozent mehr Platz im Vergleich zu den gesetzlichen Mindeststandards zur Verfügung. So seien „die Buchten durch verschiedene Elemente strukturiert“, heißt es in dem Gesetzentwurf. Dies könnten „zum Beispiel Trennwände, unterschiedliche Ebenen, verschiedene Temperatur- oder Lichtbereiche sein“.
Verschiedene Haltungskategorien
Im Frischluftstall werde den Schweinen innerhalb des Stalls ein dauerhafter Kontakt zum Außenklima ermöglicht. Dies werde erreicht, indem mindestens eine Seite des Stalls offen sei, so dass die Tiere Umwelteindrücke wie Sonne, Wind und Regen wahrnehmen könnten. In der Stufe „Auslauf/Freiland“ steht den Schweinen ganztägig, „mindestens jedoch acht Stunden pro Tag, ein Auslauf zur Verfügung, bzw. sie werden in diesem Zeitraum im Freien ohne festes Stallgebäude gehalten“. „Bio“ entspreche den Anforderungen der Tierhaltung laut EU-Ökoverordnung, was bedeute, dass die Schweine „eine noch größere Auslauffläche und noch mehr Platz im Stall haben“. Fleisch aus dem Ausland soll auf freiwilliger Basis gekennzeichnet werden können.
Bereits die Vorgänger Cem Özdemirs im Bundeslandwirtschaftsministerium, Christian Schmidt (CSU) und Julia Klöckner (CDU), hatten Vorschläge für ein staatliches Tierwohllabel gemacht. Doch weder die Ideen des Wissenschaftlichen Beirates des Bundeslandwirtschaftsministeriums von 2015 noch die Ergebnisse der Borchert-Kommission von 2020 wurden umgesetzt.
Agrarminister: Wir müssen jetzt endlich loslegen
„Wir müssen jetzt endlich loslegen. Die Zeit ist jetzt“, sagte Minister Özdemir. Er baue nun vor allem auf die Verbraucher. „80 Prozent der Endverbraucher geben – gefragt nach den Kriterien bei der Lebensmittelauswahl – an, dass sie darauf achten, wie das Tier gehalten wurde, von dem das Lebensmittel stammt. Auf die Frage, welche Angaben ihnen auf Lebensmittelverpackungen wichtig sind, geben 89 Prozent an, dass ihnen Angaben zu den Haltungsbedingungen der Tiere bei Produkten tierischen Ursprungs wichtig oder sehr wichtig sind“, erklärte der Agrarminister.
„Der Umbau der Tierhaltung ist ein Marathon“, sagte Özdemir weiter und verwies auf die Eierkennzeichnung vor 20 Jahren, die seine grüne Vorgängerin im Amt, Renate Künast, angeschoben hatte. „Jetzt ist es Zeit für den nächsten großen Schritt“, sonst gebe es künftig nur noch Fleisch aus dem Ausland. Dort würden Tiere jedoch nicht besser gehalten. Sein schrittweises Vorgehen sei auch den Erfahrungen der letzten 16 Jahre geschuldet, so Özdemir, „alles auf einmal“ habe beim Umbau der Tierhaltung nicht umgesetzt werden können.
Union: Regierung ignoriert Vorbehalte
Die Opposition läuft Sturm gegen den Entwurf. „Für das Gesetz gibt es die Schulnote fünf“, sagte Albert Stegemann (CDU/CSU). Der Gesetzentwurf bringe weniger Tierwohl und mehr Bürokratie. Trotz massiver Einwände aller landwirtschaftlichen Akteure – von Landwirten über Verbände, Handel und Tierschutz – denke die Bundesregierung gar nicht daran, auf diese Vorbehalte einzugehen.
Vor allem an der Benachteiligung inländischer Erzeuger gegenüber günstiger Ware aus dem Ausland wolle Cem Özdemir nichts ändern und verweise „gebetsmühlenartig“ auf einen etwaigen Vorschlag der EU-Kommission zu einer möglichen EU-weiten Herkunftskennzeichnung. Anstatt die Ergebnisse der Borchert-Kommission umzusetzen, würden immer neue Runden gedreht. Stegemann forderte „ein Nacharbeiten des Gesetzes“.
Sein Fraktionskollege Max Straubinger (CDU/CSU) sprach davon, dass die deutschen Tierhalter „Schiffsbruch“ erleiden würden. Mit dem in dieser Form vorliegenden Entwurf werde es zu massiven Schließungen landwirtschaftlicher Betriebe kommen.
AfD sieht Bestand deutscher Schweinehalter bedroht
Auch Stephan Protschka (AfD) sieht den Bestand deutscher Schweinehalter bedroht. Das geplante Tierkennzeichen habe weder für die Verbraucher noch für die Tiere Vorteile, so der Abgeordnete. Lediglich die Mast der Tiere werde bewertet, die Herkunft und die Aufzucht bleibe im Dunkeln.
Das Gesetz komme zudem „zum denkbar ungünstigsten Zeitpunkt“, weil sich die Lebensmittelpreise durch steigende Energiekosten und zweistellige Inflationsraten aktuell immer weiter verteuerten. Obwohl der Gesetzentwurf „von allen Seiten nur Missmut erntet, ignoriert der Minister jede Kritik“, sagte Protschka.
Linke: Entwurf geht nicht weit genug
Auch Ina Latendorf (Die Linke) bemängelte „Lücken im Entwurf“, doch sie begrüßte den Vorstoß der Regierung, die Tierhaltung umzubauen. Eine staatliche Kennzeichnung müsse aber alle Tierarten und auch die komplette Lebensphase der Tiere beinhalten. Die Verbraucher müssten im Laden auf einen Blick sehen können, woher das Fleisch stamme, wie das Tier gehalten wurde und wo es verarbeitet wurde.
Die Forderungen der Borchert-Kommission seien „viel weitreichender gewesen als das, was nun vorliegt“, sagte Latendorf. Zudem sehe sie die Gefahr, dass beim Umbau der Ställe die Kosten bei den Bundesländern blieben.
FDP wirbt für Klarheit beim Umbau der Tierställe
Um von Anfang an Klarheit beim Umbau der Tierställe zu bekommen, fordert Carina Konrad (FDP), dass alle notwendigen Änderungen im Bau- und Immissionsschutzrecht parallel zu den Beratungen zum Tierwohlkennzeichen laufen müssten. „Die Zeit der Verantwortungsschiebereien muss ein Ende haben“, so die Liberale.
Neben dem Tierwohl stehe schließlich auch die Zukunftsfähigkeit der landwirtschaftlichen Betriebe in diesem Land auf dem Spiel. „Hier ist neben dem Bundeslandwirtschaftsministerium vor allem das Bundesbauministerium in der Bringschuld“, erklärte Konrad. Es sei zwar zu begrüßen, dass die Bundesbauministerin bereits signalisiert habe, die Anliegen der Landwirte zu berücksichtigen, doch nun gehe es darum, „Worten Taten folgen zu lassen“.
SPD: Tierhaltung wird transparenter
Susanne Mittag (SPD) unterstützte den Entwurf von Minister Özdemir und betonte, dass das Gesetz zur Tierhaltungskennzeichnung lediglich eins von insgesamt neun Vorhaben zum Umbau der Tierhaltung sei. Innerhalb der nächsten Monate würden weitere Pläne vorgestellt. Jeder Landwirt könne nun entscheiden, ob er sich an dem System beteiligen wolle.
Die Tierhaltung werde durch einheitliche staatliche Vorgaben „besser kontrollierbar und transparenter“, sagte Mittag. Die aktuell „bestehende Bilder- und Labelflut im Handel“ verunsichere die Verbraucherinnen und Verbraucher mehr, als dass sie informiere, so die Sozialdemokratin.
Grüne: Erste Schritt für ein neues System
Für Renate Künast (Bündnis 90/Die Grünen) geht es „um die Zukunft der Tierhaltung“. Mit der staatlichen Tierhaltungskennzeichnung werde „der erste Schritt für ein neues System gemacht“, sagte die frühere Agrarministerin, die am Donnerstag ihren 67. Geburtstag beging. Das Gesetz müsse nun erst einmal durch die Notifizierung der Europäischen Union in Brüssel, „sonst kann es nicht gemacht werden“, so die Grünenabgeordnete. Das sei die erste große Hürde, die genommen werden müsse, danach gehe es dann durch die parlamentarische Beratung.
Anschließend werde „Verordnung für Verordnung kommen“. Als nächster Schritt stehe die Ausweitung der Kennzeichnungspflicht für Fleisch im Handel, in der Gastronomie und in der Außer-Haus-Verpflegung an. Die Frage sei: „Wie schaffen wir jetzt den ersten Schritt umzusetzen, damit wir wirklich in dieser Legislaturperiode durch alle Bereiche durchkommen?“, so Künast. Ihrer Meinung nach seien Tempo und Entschlossenheit gefragt, und in Richtung der von CDU/CSU geführten Vorgängerregierung stellte sie fest: „16 Jahre immer nur Vorspiel sind nicht genug, es muss auch mal zum Äußersten kommen.“
Antrag der AfD-Fraktion
Ebenfalls erstmals beraten wurde auch ein Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel „Eine transparente Herkunftskennzeichnung als Voraussetzung für eine freie und mündige Kaufentscheidung“ (20/4889). Die Vorlage wurde im Anschluss der Aussprache an den federführenden Ausschuss für Ernährung und Landwirtschaft überwiesen.
Darin fordert die Fraktion eine Herkunftskennzeichnung für „Lebensmittel in Fertigpackungen“. Mit dem geplanten Label sollen Verbraucher im Supermarkt sofort erkennen, woher das Fleisch stammt und wie die Tiere gehalten wurden. (nki/hau/15.12.2022)