Parlament

Zupke: Aufarbeitung von Zwangsarbeit in DDR-Haft ist gesamtdeutsche Aufgabe

Birgit Krüger wiegt nur noch 52 Kilo, als sie im Mai 1979 ins DDR-Frauengefängnis Hoheneck gebracht wird. Sieben Monate saß sie da bereits in Untersuchungshaft. „Staatsfeindliche Hetzte, Staatsverleumdung, staatsfeindliche Verbindungsaufnahme und Beeinträchtigung der staatlichen Behörden in ihrer Tätigkeit“, lautet das Vergehen. Zwei Jahre und drei Monate das Strafmaß. In Hoheneck wird die junge Frau zur Arbeit gezwungen, muss für den Volkseigenen Betrieb Elmo Gehäuse für Waschmaschinen-Motoren bearbeiten. Noch heute erinnert sie sich an die Dämpfe, den Schmutz, die Hitze. „Die Zustände in diesem Keller waren katastrophal.“

So erzählt sie es an diesem Donnerstag, 24. November 2022, im Bundestag. Während des Fachgesprächs „Aufarbeitung der Zwangsarbeit politischer Häftlinge in der DDR“, zu dem die SED-Opferbeauftragte Evelyn Zupke und die Union der Opferverbände Kommunistischer Gewaltherrschaft (UOKG) eingeladen haben, schildert sie ihre Geschichte. Geboren 1945 wächst Krüger im Burgenlandkreis auf. Sie macht die mittlere Reife, wird Chemielaborantin. Mit Anfang Zwanzig lernt sie ihren späteren Ehemann kennen, einen Berliner, zieht mit ihm nach Ost-Berlin. Die beiden wollen raus aus der DDR. 1976 stellen sie ihren ersten Ausreiseantrag. Ohne Erfolg. Noch drei Mal versuchen sie es, sie schreiben an die Vereinten Nationen, bitten die Gesellschaft für Menschenrechte um Unterstützung. Dann werden sie verhaftet.

Zwangsarbeit als Strafe für oppositionelles Verhalten

Krüger ist einer von rund 250.000 politischen Häftlingen, die es von 1945 bis 1989 in der Sowjetischen Besatzungszone und der SED-Diktatur gegeben hat. Die allermeisten mussten wie sie Zwangsarbeit leisten. 

„Zwangsarbeit war ein wesentlicher Bestandteil des Strafsystems in der DDR zur Erziehung und Bestrafung politischer Gefangener“, sagt Psychologin Stefanie Knorr von der Beratungsstelle „Gegenwind“ für politisch Traumatisierte der SED-Diktatur. Ziel sei es gewesen, die Widerstandsfähigkeit der Inhaftierten zu brechen. „Sie sollten für ihr oppositionelles Verhalten bestraft werden.“

Knastware für Westfirmen

In der Haft produzierten die Gefangenen laut Historiker Dr. Tobias Wunschik von der Humboldt-Universität zu Berlin nicht nur Waren für die DDR, sondern auch für westdeutsche Firmen. Von Fotoapparaten für Quelle bis Strumpfhosen für Aldi. „Insgesamt hatten diese Knastwaren in den 80er Jahren ein Volumen von mindestens 200, wahrscheinlich 600 Millionen D-Mark jährlich.“ Dabei widersprach die Haftarbeit in der DDR klar dem Völkerrecht, urteilt der Historiker.

Es gehe jedoch nicht darum, einzelne Firmen an den Pranger zu stellen, sagt Wunschik. Auch Zupke betont: Heutige Unternehmensleitungen seien nicht verantwortlich für das, was in ihren Firmen damals passiert sei. „Aber sie tragen Verantwortung dafür, wie die Unternehmen heute mit diesem dunklen Kapitel umgehen.“ Und da gebe es noch einiges zu tun, meint Dieter Dombrowski. Der UOKG-Vorsitzende war selbst im DDR-Gefängnis Cottbus inhaftiert. Die Firma Otto etwa, die wie Dombrowski überzeugt ist, jene Kameras vertrieb, deren Gehäuse er in Haft baute, weise bis heute jegliche moralische Verantwortung von sich.

„Wir waren einfach nur Material“

Die SED-Opferbeauftragte Evelyn Zupke (rechts) unterhält sich mit Birgit Krüger (links) und Frank Herrmann (rechts).

Birgit Krüger (links) und Frank Herrmann schildern der SED-Opferbeauftragten Evelyn Zupke ihre Erfahrungen als politische Häftlinge in DDR-Gefängnissen. (© DBT/photothek/Joerg Carstensen)

Für die politischen Häftlinge gehörten Gewaltandrohungen, Schikanen und Demütigungen zum Alltag. Wer die Normen nicht erfüllt habe, sei bestraft worden, sagt Psychologin Knorr. „Es werden teilweise drastische Foltermethoden beschrieben“, schildert sie mit Verweis auf Zeitzeugenberichte. Es sind Erlebnisse, wie die von Frank Herrmann. Verhaftet, als er mit Freunden aus der DDR fliehen wollte. „Zwanzig Monate Freiheitsentzug“, sagt er, legt die Brille ab und wischt sich über die Augen. 

Herrmann ist damals 23 Jahre alt. In der Haft muss er in der Galvanik arbeiten, einem chemischen Verfahren zur Metallveredelung. Eine Schulung gibt es nicht, erzählt er. Ebenso wenig Schutzhandschuhe oder Brillen. „Wir waren einfach nur Material, Menschen-Material.“ Als ihm bei einem Arbeitsunfall Chemie ins Auge spritzt, habe er beinahe sein Augenlicht verloren, erinnert er sich. „Aber Unfälle wurden totgeschwiegen.“ 

Zupke: Aufarbeitung ist gesamtdeutsche Aufgabe

Viele litten bis heute an den Folgen der Zwangsarbeit, sagt die SED-Opferbeauftragte Zupke. Auch Frank Herrmann hat noch lange mit der psychischen Belastung während der Haft zu kämpfen. Er stellt einen Antrag auf Anerkennung verfolgungsbedingter Gesundheitsschäden. Drei Jahre dauert das Verfahren, viel „Papierkram“, wie er sagt. 

Das müsse einfacher werden, fordert Zupke. An die Abgeordneten appelliert sie, sich für die Aufarbeitung und die Anerkennung der Folgeschäden einzusetzen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema sei schließlich keine Frage Ostdeutschlands, sondern eine gesamtdeutsche Aufgabe. (irs/25.11.2022)