Zeit:
Montag, 20. Juni 2022,
15
bis 16.30 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3.101
Die unterjährige Liquidität der gesetzlichen Rentenversicherung muss künftig besser gesichert werden. In dieser Einschätzung herrschte Einigkeit unter den zu einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales am Montag, 20. Juni 2022, geladenen Sachverständigen. Unterschiedliche Ansichten gab es jedoch bei der Frage, ob es dazu eine Anhebung der Mindestrücklage in der gesetzlichen Rentenversicherung von 0,2 auf 0,4 Monatsausgaben ab Januar 2023 braucht, wie es die Fraktion Die Linke in einem Gesetzentwurf (20/398) fordert, oder ob der Vorschlag der Rentenkommission aus der vergangenen Legislaturperiode, die Mindestrücklage auf 0,3 Monatsausgaben zu erhöhen, der richtige Weg ist.
Anhebung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung
Holger Viebrok von der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV) betonte, die Renten seien dank Bundesmitteln und der Bundesgarantie auch bei Liquiditätsproblemen der DRV gesichert. Eine regelhafte Inanspruchnahme solcher liquiditätssichernden Maßnahmen würde aber das Vertrauen in die langfristige Funktionsfähigkeit und die Stabilität der Rentenversicherung erheblich beschädigen, warnte er. Laut Viebrok wäre die aus seiner Sicht zu begrüßende Anhebung der Mindestrücklage auf 0,4 Monatsausgaben in einem einzelnen Jahr mit einer Anhebung des Beitragssatzes zur Rentenversicherung um etwa 0,3 Prozentpunkte verbunden.
Alexander Gunkel von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA) plädierte dafür, den Vorschlag der Rentenkommission „Verlässlicher Generationenvertrag“ umzusetzen. „Erstens sollte die Mindestrücklage auf 0,3 Monatsausgaben erhöht werden und zweitens sollten die unterjährigen Zahlungen des Bundes an die gesetzliche Rentenversicherung künftig grundsätzlich bereits bis zum November eines Jahres geleistet werden“, sagte er. Der Vorschlag der Rentenkommission sichere die unterjährige Liquidität deutlich besser als die im Gesetzentwurf vorgesehene Anhebung der Mindestrücklage auf 0,4 Monatsausgaben und belaste die Beitrags- und Steuerzahlenden zudem nur halb so hoch.
Einsatz von Steuermitteln, statt Anhebung des Beitragssatzes
0,4 Monatsausgaben seien das sinnvolle Mindestmaß, auf die die Rücklage angehoben werden sollte, befand Ingo Schäfer vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB). Er erinnerte daran, dass die Rücklage einst bei 1,0 Monatsausgaben gelegen habe, ehe sie aus politischen Gründen mit dem Ziel der Beitragssatzstabilität immer weiter abgesenkt worden sei. Finanzierbar sei die Anhebung durch eine Beitragssatzerhöhung, aber auch über die gesparten Bundesmittel infolge des Rentenanpassungsgesetzes und die Einsparungen des Bundes angesichts der für 2023 erwarteten Beitragssatzsenkung, so der DGB-Vertreter.
Aus Sicht des Sozialverbandes Deutschland (SoVD) sind sogar 0,5 Monatsausgaben denkbar, sagte SoVD-Vertreterin Henriette Wunderlich. Eine derartige Anhebung der Mindestrücklage könne das Vertrauen der Bevölkerung in die gesetzliche Rentenversicherung in besonderer Weise stärken, weil auch in Zukunft mit weiteren krisenbedingten Belastungen des Arbeitsmarktes gerechnet werden müsse. Auch Wunderlich sprach sich dafür aus, die für eine Anhebung auf 0,4 Monatsausgaben einmalig benötigten fünf Milliarden Euro nicht aus Rentenbeiträgen, sondern aus Steuermitteln durch den Bund aufzubringen.
Für und Wider zur Anhebung der Mindestrücklage
Als geeigneten Kompromiss bezeichnete Jochen Pimpertz vom Institut der deutschen Wirtschaft den Vorschlag der Rentenkommission. Die Anhebung auf 0,3 Monatsausgaben führe zu einem Finanzbedarf von 2,5 Milliarden Euro, der einmalig aufzubringen sei. Eine höhere Anhebung würde seiner Ansicht nach nicht nur die Beitragszahler stärker belasten. Sie würde auch mehr als nur den saisonal bedingten Einnahmeschwankungen vorbeugen und die Bundesgarantie zu Ungunsten der Beitragszahler entlasten, befand Pimpertz.
Magnus Brosig von der Arbeitnehmerkammer Bremen begrüßte den Vorschlag, die Mindestrücklage zeitnah merklich anzuheben. Er sprach sich dafür aus, die notwendigen Korrekturen bereits jetzt – in Zeiten noch umfangreicher Rücklagen – vorzunehmen, „um dem problematischen Eindruck eines späteren rentenpolitischen Aktionismus zur Korrektur akuter Problemlagen vorzubeugen“.
Der Wirtschaftswissenschaftler Christian Hagist verwies indes auf eine derzeit gut ausgestattete Rücklage bei der DRV. Mit Liquiditätsengpässen sei „wenn überhaupt“ erst um das Jahr 2025 zu rechnen. Es stelle sich daher die Frage, ob zum jetzigen Zeitpunkt unbedingt politischer Handlungsbedarf besteht, „oder ob das in einem Gesamtpaket mit anderen Anpassungen der Altersvorsorgepolitik verhandelt werden kann“.
Gesetzentwurf der Linken
Die Linksfraktion fordert eine Anhebung der Mindestrücklage in der gesetzlichen Rentenversicherung von 0,2 auf 0,4 Monatsausgaben ab Januar 2023. Die aktuelle Untergrenze der Nachhaltigkeitsrücklage sei zu niedrig angesetzt und werde in der Zukunft regelmäßig dazu führen, dass unterjährig besondere Maßnahmen zur Liquiditätssicherung der Rentenversicherung ergriffen werden müssten, heißt es in ihrem Gesetzentwurf.
Mit der Anhebung der Untergrenze werde garantiert, dass die gesetzliche Rentenversicherung unterjährige Schwankungen der Einnahmen und Ausgaben sowie konjunkturelle Einbrüche sicher mit eigenen Mitteln ausgleichen könne. Alternativ könne die Mindestrücklage auf 0,3 Monatsausgaben angehoben werden, entsprechend der Empfehlung der sogenannten Rentenkommission. (hau/pk/20.05.2022)