Zeit:
Mittwoch, 12. Oktober 2022,
11
bis 13 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E.800
Viel Kritik an der Absicht der Bundesregierung, die Müllverbrennung in die CO2-Bepreisung einzubeziehen, gab es in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Klimaschutz und Energie am Mittwoch, 12. Oktober 2022. Zur Begutachtung stand der Entwurf eines Zweiten Gesetzes zur Änderung des Brennstoffemissionshandelsgesetzes (20/3438). Eine Rolle spielte in der Anhörung auch die erklärte Absicht der Koalitionsparteien, die im nächsten Jahr und in den Folgejahren vorgesehene Preiserhöhung für Emissionszertifikate im schon bestehenden Handelssystem um jeweils ein Jahr zu verschieben.
Zweifel am richtigen Zeitpunkt
Die klare Mehrheit der Sachverständigen bezweifelte, dass jetzt der richtige Zeitpunkt für eine Verteuerung der Müllverbrennung sei, welche höhere Müllgebühren nach sich zu ziehen drohe.
„Es ist in der jetzigen Situation angesichts der Inflation und der steigenden Energiepreise dringend notwendig, zusätzliche Belastungen der Bürgerinnen und Bürger sowie der Unternehmen zu verhindern“, erklärte etwa Dr. Christine Wilcken vom Deutschen Städtetag, die auch für den Verband Kommunaler Spitzenverbände sprach. Dies stehe auch im Widerspruch zu der geplanten Verschiebung der CO2-Preiserhöhung.
Belastung von Geringverdienern
Dr. Holger Thärichen, Geschäftsführer Abfallwirtschaft und Stadtsauberkeit beim Verband kommunaler Unternehmen e. V. (VKU), verwies darauf, dass die Müllgebühren bei Geringverdienern einen besonders großen Anteil am verfügbaren Einkommen haben und sie deshalb von einer Erhöhung überproportional belastet würden.
Dazu komme, dass Mieter den höheren Gebühren kaum ausweichen könnten, weil diese über die Nebenkostenabrechnung nach Quadratmetern umgelegt würden. Eigenheimbesitzer dagegen könnten durch vermehrte Mülltrennung Restmüllgebühren sparen. Aus diesem Grund fänden sich auch bei Mehrfamilienhäusern 30 Prozent mehr Wertstoffe im Restmüll als bei Einfamilienhäusern.
Zweifel an Lenkungswirkung
Unter anderem aus diesem Grund äußerten mehrere Sachverständige Zweifel, ob im Fall der Müllverbrennung die CO2-Bepreisung wesentlich zu deren Ziel, nämlich den CO2-Ausstoß zu reduzieren, beitragen könnte. Zu diesem Ziel bekannten sich ausnahmslos alle Sachverständigen.
Allerdings erklärte Peter Kurth, Geschäftsführender Präsident des Bundesverbands der Deutschen Entsorgungs-, Wasser- und Kreislaufwirtschaft (BDE), rundheraus: „Preise haben keine Auswirkung auf die Menge, die verbrannt wird.“ Allenfalls würde noch mehr Müll ins Ausland verbracht und dort verbrannt.
Zwei Experten widersprechen
Zwar bezeichnete auch Dr. Felix Matthes, Forschungskoordinator im Bereich Energie- und Klimapolitik beim Öko-Institut, in Anbetracht der derzeitigen Brennstoffpreise die unmittelbare Wirkung einer CO2-Bepreisung in der Müllverbrennung als gering. Ausschlaggebend sei aber die „Ankündigungswirkung“. Wenn also die Marktakteure glaubten, dass etwas von Jahr zu Jahr teurer wird, würden sie Strategien suchen, diese künftigen Kosten zu vermeiden. „Was Emissionen lenkt, sind Preiserwartungen für die Zukunft, nicht aktuelle Preise“, stellte Matthes fest.
Besonders vehement plädierte Dr. Jens Thieme, Geschäftsführer des Recycling-Unternehmens ALBA Supply Chain Management, für den vorgelegten Gesetzentwurf. „Wir glauben sehr stark an die Lenkungswirkung“, erklärte er. „Wenn der Preis am Ende der Kette“, also bei der Entsorgung, „erhöht wird, wird er an die Erzeuger durchgereicht“, es werde also mehr Müll vermieden und mehr vorsortiert. Thieme bezweifelte auch, dass es zu wesentlich mehr Müllexporten käme, denn die Verbrennungsanlagen im nahen Ausland seien bereits stark ausgelastet.
Anteil von Müll am Kohlendioxid-Ausstoß
Nach den Ausführungen von Dr. Roman Maletz vom Institut für Abfall- und Kreislaufwirtschaft der Technischen Universität Dresden kann die Einbeziehung der Müllverbrennung in den Emissionshandel einen „geringen, aber messbaren Beitrag“ zum Klimaschutz leisten. Von rund 800 Millionen Tonnen CO2, die in Deutschland freigesetzt würden, entfielen neun Millionen auf die Abfallwirtschaft, und davon wiederum die Hälfte auf die Verbrennung. Von den Siedlungsabfällen wären 20 bis 30 Prozent verwertbar, müssten also bei einer besseren Mülltrennung nicht verbrannt werden. Wie viel davon tatsächlich der Verbrennung entzogen werden könne, sei allerdings noch von vielen anderen Faktoren abhängig. Deshalb sei die Lenkungswirkung einer CO2-Bepreisung in diesem Fall gering.
Daten über die CO2-Emissionen der verschiedenen Arten von Verbrennungsanlagen „stehen derzeit nicht belastbar zur Verfügung“, stellte Dr. Martin Pohl von der Enverum Ingenieurgesellschaft für Energie- und Umweltverfahrenstechnik mbH fest und zog damit in Zweifel, ob eine gerechte CO2-Bepreisung in diesem Fall überhaupt umsetzbar sei. Ein Forschungsprojekt des Umweltbundesamtes, mit dem diese Daten ermittelt werden sollen, werde erst Ende 2024 abgeschlossen sein.
In diesem Zusammenhang verwies Dr. Torsten Mertins, Referent für Umwelt, Energie, Bauen und Kreislaufwirtschaft beim Deutschen Landkreistag, darauf, dass die beabsichtigte CO2-Bepreisung der Müllverbrennung „systemfremd“ sei. Denn diese setze bei allen anderen Brennstoffen „systematisch beim In-Verkehr-Bringen an“ und nicht erst bei der Verbrennung. Eine Folge ihrer Einführung werde deshalb eine „massive Bürokratie für die Anlagenbetreiber“ sein.
Mehrheit für Warten auf Europa
Eine deutliche Mehrheit der Sachverständigen plädierte dafür, die Einführung des Gesetzes um mindestens zwei Jahre zu verschieben und im Fall, dass es bis dahin eine europäische Lösung gibt, diese zu übernehmen.
Peter Kurth vom Entsorgerverband BDE verwies darauf, dass sich das Europäische Parlament für eine Einbeziehung der Müllverbrennung in den europäischen Emissionshandel ab 2026 ausgesprochen habe. Der EU-Ministerrat habe demgegenüber für eine Einführung 2031 plädiert. Ganz aktuell liefen derzeit die Trilog-Verhandlungen von Parlament, Rat und Kommission, um hier eine Einigung zu finden. Einen „frühen nationalen Sonderweg“ nannte Kurth deshalb „nicht zielführend“. Der Bundestag solle „einer europäischen Regelung den Vorrang geben“.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Um die nationalen Klimaschutzziele Deutschlands zu erreichen, ist am 19. Dezember 2019 als Teil des Klimapaketes der damaligen Bundesregierung das Gesetz über einen nationalen Zertifikatenhandel für Brennstoffemissionen verkündet worden – zunächst für die Sektoren Wärme und Verkehr. Mit dem jetzt vorgelegten Gesetzentwurf sollen nunmehr auch ab 2023 die Brennstoffe Kohle und Abfälle in das Gesetz aufgenommen werden. Die Aufhebung der bisherigen Brennstoffbeschränkung sichere eine umfassende CO2-Bepreisung aller fossilen Brennstoffemissionen durch das Brennstoffemissionshandelsgesetze (BEHG).
Diese CO2-Bepreisung sei als Querschnittsinstrument erforderlich, da sämtliche fossilen Brennstoffemissionen Bestandteil des nationalen Emissionsbudgets sind, das nach den Vorgaben der EU-Klimaschutzverordnung einem jährlich vorgegebenen Reduktionspfad folgen muss, heißt es im Entwurf.
Bepreisung fossiler Brennstoffemissionen
Die Bepreisung der fossilen Brennstoffemissionen wird laut Entwurf zu einem Anstieg der Kosten der Abfallverbrennung führen. Gleichzeitig erhöhten sich mit einem steigenden CO2-Preisniveau für die preissetzenden Kraftwerke im EU-Emissionshandel auch die Marktpreise von Abfallverbrennungsanlagen, die im unteren einstelligen Prozentbereich produzieren.
In seiner Stellungnahme zum Gesetzentwurf fordert der Bundesrat, solche Anlagen auszunehmen, deren Hauptzweck die Verbrennung gefährlicher Abfälle ist. Die Sonderabfallverbrennung diene im Hauptergebnis der Vernichtung des Schadstoffpotenzials in den gefährlichen Abfällen; ein Brennstoffcharakter sei nicht vorhanden und trete gegenüber diesem Hauptzweck völlig zurück.
Regierung gegen Ausnahmen bei der CO2-Bepreisung
Die Bundesregierung hat sich das Ziel gesetzt, jede emittierte Tonne CO2 zu bepreisen. Deshalb sollen sämtliche fossilen Brennstoffemissionen mit einem CO2-Preis versehen werden. Das gilt bereits für die Sektoren Wärme und Verkehr. Ab 2023 soll es auch für die Brennstoffe Kohle und Abfälle gelten. In seiner Stellungnahme forderte der Bundesrat, solche Anlagen auszunehmen, deren Hauptzweck die Verbrennung gefährlicher Abfälle ist. Das lehnt die Bundesregierung ab.
In ihrer als Unterrichtung vorgelegten Gegenäußerung (20/3819) heißt es zur Begründung: „Emissionen aus Sonderabfallverbrennungsanlagen sind Bestandteil des nationalen Emissionsbudgets, welches zur Erfüllung der nationalen Klimaschutzverpflichtungen unter der europäischen Klimaschutzverordnung zu verringern ist.“ Das Brennstoffemissionshandelsgesetz (BEHG) sei ein zentrales Instrument zur Erreichung dieses Ziels. Und: „Kohlendioxidemissionen aus Sonderabfallverbrennungsanlagen belasten das deutsche Emissionsbudget genauso wie Emissionen aus anderen Abfallverbrennungsanlagen, nicht erbrachte Minderungen in diesem Bereich müsste die Bundesrepublik Deutschland demzufolge durch Zukauf entsprechender Mengen an Emissionszuweisungen aus anderen Mitgliedstaaten ausgleichen.“ Daher sei es folgerichtig, dass sämtliche Abfallverbrennungsanlagen, einschließlich der Sonderabfallverbrennung, in die CO2-Bepreisung einbezogen würden. (pst/12.10.2022)