Vor 100 Jahren: Reichstag verabschiedet Gesetz zum Schutz der Republik
Vor 100 Jahren, am Dienstag, 18. Juli 1922, hat der Reichstag ein „Gesetz zum Schutze der Republik“ verabschiedet. Es enthielt Strafverschärfungen für Verbrechen gegen den Staat und die Mitglieder der republikanischen Regierungen des Reichs oder eines Landes. Durch das neue Gesetz konnten republikfeindliche Versammlungen, Aufzüge, Kundgebungen und Schriften verboten, Vereine und Vereinigungen verboten und aufgelöst werden. Das Gesetz enthielt außerdem den Beschluss zur Einrichtung eines Sonderstrafgerichts: Staatsgerichtshof zum Schutze der Republik.
Rechtsradikale Anschlagsserie auf Vertreter der Republik
Entstanden war das „Gesetz zum Schutze der Republik“ in der Folge einer Reihe politischer Attentate auf linke, liberale und katholische Politiker. Zahlreiche Anhänger und Vertreter der Republik waren bereits Opfer dieser rechtsradikalen Anschlagsserie geworden – wie der frühere Reichsminister der Finanzen Matthias Erzberger (1875-1921, Zentrumspartei) am 26. Januar 1920 und am 26. August 1921 oder der SPD-Reichstagsabgeordnete Philipp Scheidemann (1865-1939) am 4. Juni 1922.
Einen weiteren politischen Höhepunkt erreichte die Anschlagsserie am 24. Juni 1922 mit der Ermordung des Reichsaußenministers Dr. Walther Rathenau (1867-1922, DDP) durch Mitglieder der rechtsradikalen Organisation Consul (OC).
Gefahr für die Republik
Die Nachricht vom Tod des deutschen Außenministers rief landesweit Trauer und Empörung hervor. In zahlreichen deutschen Städten fanden Protestkundgebungen gegen den rechten Terror statt. Am Tag der Trauerfeier, dem 27. Juni, kam es zu einem landesweiten Proteststreik. Als der Reichskanzler Joseph Wirth (1879-1956) von der Zentrumspartei die Abgeordneten eine halbe Stunde nach dem Mord informierte, richteten sich die Entrüstung und der Protest der parlamentarischen Mehrheit gegen die Vertreter der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP).
Die Vertreter der republikfeindlichen Rechten wurden mit den Rufen „Heraus mit den Mördern!“, „Handschellen für die Mörder!“, „Ins Zuchthaus!“, „Mit Mördern setzen wir uns nicht hierher.“ empfangen. Mehrfach appellierte der Reichstagspräsident Paul Löbe (1875-1967, SPD) an die aufgebrachten Parlamentarier, die Würde des Hauses zu wahren.
Verordnungen zum Schutz der Republik
Bereits am nächsten Tag erließ die Reichsregierung als Reaktion auf den Mord zwei Verordnungen zum Schutz der Republik, die sich gegen antirepublikanische Druckerzeugnisse, Versammlungen und Vereinigungen richteten. Sie beinhalteten auch die Errichtung eines „Staatsgerichtshofs zum Schutz der Republik“.
In der anschließenden Debatte um die Verordnungen am 25. Juni machte der Reichskanzler die hemmungslose Hetze der nationalistischen Presse unmittelbar für den Mord an Rathenau verantwortlich und schloss mit dem berühmt gewordenen Ausspruch: „Da steht der Feind — und darüber ist kein Zweifel, dieser Feind steht rechts.“
Bayerischer Widerstand gegen Gesetzesvorhaben
Die Verordnungen sollten möglichst schnell in Gesetzesform gebracht und von Reichsrat und Reichstag verabschiedet werden. Widerstand gegen die Gesetzesbemühungen gab es dabei sowohl im Reichstag als auch im Reichsrat. Vor allem die Beschneidung von Landesrechten und die Einführung eines neuen Gerichtshofes, der als Sondergericht neben dem Reichsgericht fungieren sollte, lösten Kritik aus. Die Vertreter Bayerns kritisierten das Gesetz als unnötig. Besonders störte sie, dass es sich nur gegen Aggression von rechts richtete und Rechte der Länder beschnitt.
Die Ermordung Rathenaus werde von der Linken, die schon sprungbereit gewesen sei, zur Eroberung politischer Macht ausgenützt. Es handle sich schließlich überhaupt nicht um einen Angriff gegen die Republik, sondern um das Ergebnis ultranationalistischer Agitation. Die Leute, die hinter dem Morde stehen, hätten Rathenau nur als einen politisch gefährlichen Gegner beseitigen wollen. Die Reichsregierung komme den Wünschen der Linken rückhaltlos entgegen, kritisierte der bayerische Ministerpräsident Hugo Graf von Lerchenfeld-Köfering (1871-1944, BVP) in einer Besprechung der Reichsregierung mit den Ministerpräsidenten der Länder am 29. Juni 1922. Er sei der Auffassung, dass die Erregung der Gewerkschaften, die ausgelöst sei durch die Bluttat, ausgenutzt werde zu einer politischen Aktion mit dem Ziel, den Wagen der Regierung nach links zu schieben und so die Kluft zwischen den Parteien innerhalb Deutschlands zu erweitern.
Größere Machtmittel im Kampf gegen rechts gefordert
Vizekanzler Gustav Bauer (1870-1944, SPD) hingegen betonte die Notwendigkeit eines entsprechenden Gesetzes zum Schutze der Republik: Die Reichsregierung habe bisher immer nur gegen links gekämpft. Der Erfolg sei, dass die kommunistische Bewegung nunmehr im Schwinden sei. Sie könne jedoch jederzeit bei großen Volkserregungen, wie den augenblicklichen, wieder aufflackern und gewinnen.
Die Regierung sei im Kampf gegen links und gegen rechts in einer durchaus verschiedenen Lage. Im Kampf gegen links werde sie von weiten Kreisen und von dem gesamten Staatsapparat unterstützt, die ihr im Kampf gegen rechts nicht ohne weiteres die volle Unterstützung gewährten. Daher müssten der Regierung zum Kampf gegen rechts größere Machtmittel an die Hand gegeben werden. Eine Verordnung genüge keinesfalls. Nach einigen Änderungen – unter anderem wurde die einseitige Ausrichtung gegen rechts aufgehoben – nahm der Reichsrat den Gesetzentwurf am 3. Juli, mit 48 gegen zehn Stimmen an.
Zustimmung bei SPD, DDP, Zentrum, USPD, DVP
Am 18. Juli 1922 stimmte nach einer hitzigen Debatte, die sich vor allem am Redebeitrag des Vertreters der Deutschnationalen Volkspartei (DNVP), Wilhelm Bazille (1874-1934), entzündete, auch der Reichstag mit 303 zu 102 Stimmen bei vier Enthaltungen für das Gesetz und erreichte damit die für Teile des Gesetzes nötige Zweidrittelmehrheit.
Die Vertreter der Regierungskoalition bestehend aus SPD, Deutscher Demokratischer Partei (DDP) und Zentrum sowie die Mitglieder der Unabhängigen Sozialdemokratischen Partei Deutschlands (USPD) stimmten geschlossen für das Gesetz. Auch die Vertreter der Deutschen Volkspartei (DVP) hatten sich in der Mehrheit für den Gesetzentwurf ausgesprochen.
Schutz der Republik politisch notwendig
Für die USPD verteidigte der Gewerkschafter Alfred Henke (1868-1946) die Zustimmung zum Republikschutzgesetz: „Wir wissen sehr gut, dass die bürgerlichen Parteien, die heute den Kampf zum Schutze der Republik mit uns zusammen führen müssen, aus ihren materiellen Interessen heraus, später wieder, wenn die Stunde kommt, ihre Front gegen das Proletariat wenden werden. Aber heute liegen doch die Dinge so, dass für das Proletariat in dieser Stunde auch einige Kräfte des Bürgertums mobil gemacht werden mussten und mobil gemacht werden konnten zum Schutze der Republik.“ Im Augenblick erscheine es jedoch nicht politisch klug, die Republik ohne Schutz zu lassen. Schließlich sei der beste Beweis, dass dieses Gesetz, bei aller berechtigten Kritik, eine Verbesserung der bestehenden Rechtsverhältnisse darstelle, in dem Widerstand der Rechtsparteien zu erblicken.
Dr. Gustav Stresemann (1878–1929) kritisierte die mit dem Gesetz verbundene Einschränkung der Pressefreiheit, warb aber für die Deutsche Volkspartei (DVP) darum, „den Blick in die Zukunft zu richten, auf eine Gemeinschaft aller derjenigen, die sich zusammentun müssen, um uns vor dem Abgrund zu retten, vor dem wir stehen; außenpolitisch, wenn es uns nicht gelingt, gegenüber unerhörten Forderungen zusammenzustehen, innenpolitisch, wenn es uns nicht gelingt, zu dem Geist der Ordnung und des Zusammenarbeitens zurückzukehren.“ Gleichzeitig mahnte er: „Es wird unser aller Aufgabe sein, dafür zu sorgen, dass hier nicht schikanös und parteilich vorgegangen wird.“
Ablehnung bei BVP, Bayerischer Bauernbund, DNVP, KPD
Die Vertreter der Bayerischen Volkspartei (BVP) und des Bayerischen Bauernbundes stimmten wegen der zwischen dem Reiche und Bayern bestehenden Spannungen in dieser Gesetzesfrage gegen das Republikschutzgesetz. Nach Ansicht des Abgeordneten Bazille (DNVP) beginne mit dem Gesetz eine neue Periode der Willkür.
Die Vertreter der Kommunistischen Partei lehnten den Gesetzentwurf ebenfalls ab. Unter dem Einfluss der Koalitionsparteien seien aus den Gesetzen zum Schutze der Republik Gesetze zum Schutze der Monarchisten, Gesetze zur Verfolgung der Arbeiterklasse geworden, kritisierte Walter Stoecker (1891-1939). Die Kommunistische Partei Deutschlands sei bereit und Willens gewesen entsprechend dem Berliner Abkommen der gewerkschaftlichen Spitzenorganisationen und der drei Arbeiterparteien den rücksichtslosesten Kampf gegen die monarchistische Reaktion und deren Mörderorganisationen Seite an Seite mit den Gewerkschaften und den beiden sozialdemokratischen Parteien aufzunehmen und demgemäß auch alle Maßnahmen der Regierung, die diesem Ziele dienen, wirksam zu unterstützen. Von den Mindestforderungen des Berliner Abkommen sei in diesem Gesetz jedoch nichts mehr enthalten.
Am 21. Juli 1922 trat das Gesetz in Kraft. Es galt für zunächst fünf Jahre und wurde einmal für weitere zwei Jahre verlängert. (klz/13.07.2022)