Fraktionen einig: Bevölkerungsschutz muss modernisiert werden
Knapp ein Jahr nach der Flutkatastrophe vom Juli 2021 hat der Bundestag am Donnerstag, 7. Juli 2022, über „Lehren für die Zukunft des Bevölkerungsschutzes“ debattiert.
Vertreter der Koalitionsfraktionen und der Opposition mahnten dabei eindringlich weitere Anstrengungen an, um künftige Katastrophenlagen besser bewältigen zu können. Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) betonte, man habe aus der Krise gelernt, müsse aber noch sehr viel tun, um einen effektiven Bevölkerungsschutz zu haben.
Ministerin: Neustart im Bevölkerungsschutz
Die Ressortchefin, die auf „eine der schlimmsten Naturkatastrophen in der Geschichte der Bundesrepublik“ mit mehr als 180 Todesopfern zurückblickte, beklagte, dass es in der Vergangenheit „große Versäumnisse“ beim Bevölkerungsschutz gegeben habe. Man habe sich zu lange in Sicherheit gewogen, werde aber aufgrund des Klimawandels auch in Deutschland künftig immer wieder solche stärkeren Naturkatastrophen erleben. Daher müsse man sich viel besser gegen dessen Folgen und anderer Krisen wappnen. Notwendig sei ein „Neustart im Bevölkerungsschutz“. Dabei müsse der effiziente Schutz der Menschen im Mittelpunkt stehen und nicht „Zuständigkeitsdebatten“ etwa zwischen Bund und Ländern.
Um den Bevölkerungsschutz neu aufzustellen, gehe man „jetzt viele weitere Schritte“, fügte Faeser hinzu. Man schaffe eine verlässliche und flächendeckende Warn-Infrastruktur, unterstütze den Wiederaufbau des Sirenennetzes und sorge für moderne Warnsysteme, mit denen „jeder präzise Warnungen nach Hause bekommt“. Weiter investieren müsse man auch in das Hilfesystem aus Containern, Zelten, Wassersystemen und einer mobilen Hausarztpraxis, das die „richtige Antwort auf vielfältige Krisen“ sei. Daher sei sie dankbar, dass sie dafür die Mittel zur Anschaffung weiterer solcher Module zur Verfügung gestellt bekomme.
Union: Warnhinweise müssen verstanden werden
Detlef Seif (CDU/CSU) betonte, sichergestellt werden müsse eine frühzeitige und flächendeckende Warnung der Bevölkerung. „Der Wiederaufbau der Sirenen-Infrastruktur seit März 2021 und cell broadcasting, also Warnhinweise unmittelbar auf das Mobilfunkgerät, sind hier genau die richtigen Ansätze“, fügte Seif hinzu. Dabei müsse auch sichergestellt werden, dass die Bevölkerung die Warnhinweise versteht und weiß, wie sie sich verhalten soll.
Bund, Länder und Kommunen müssten sich bestmöglich auf Ereignisse wie Extremwetterlagen, Großbrände, Pandemien, Terrorlagen, Cyberattacken auf kritische Infrastrukturen oder längerfristige Stromausfälle vorbereiten. Wichtig seien dabei „Risikoerkennung, komplettes Lagebild, Einsatz und Verteilung von Kräften und vor allem die professionelle Arbeit der Krisenstäbe“. Dies sei die Basis eines funktionierenden Bevölkerungsschutzes.
Grüne: Warnnetz in Deutschland ist zu löchrig
Leon Eckert (Bündnis 90/Die Grünen) kritisierte, das Warnnetz in Deutschland sei zu löchrig. Cell broadcasting komme noch, Warn-Apps seien zu wenig verbreitet, Sirenen lückenhaft vorhanden und „oft nicht ansteuerbar für den Alarm“. In dieser Situation dürften sich weder die Kommunen noch die Länder oder der Bund ausruhen. Vielmehr brauche es jetzt „jeden Schwung, um mehr Abdeckung zu erreichen“.
So müsse der Bund etwa das Sirenen-Förderprogramm weiterführen, doch müssten die Länder auch selbst solche Programme einrichten und die Kommunen vor Ort spezifische Warnkonzepte anlegen. Dabei sei die Einsicht noch nie so groß gewesen wie derzeit, dass Veränderungen im Bevölkerungsschutz notwendig seien.
AfD: Einsatzstäbe müssen schneller handlungsfähig sein
Steffen Janich (AfD) nannte es eine Kernaufgabe der Politik, alles in ihrer Macht Stehende zu tun, um künftig besser auf solche Katastrophen wie vom Sommer vergangenen Jahres vorbereitet zu sein. Die Zuständigkeiten im Katastrophenfall müssten gebündelt werden, zerstörte Kommunikationswege müssten schneller wiederhergestellt werden und neue Sirenen zur Warnung der Bevölkerung seien flächendeckend bereitzustellen.
Auch müssten Führungskräfte von Katastrophenschutzorganisationen trägerübergreifend gemeinsam ausgebildet werden, fügte Janich hinzu. Ganz wichtig sei es zudem, „Einsatzstäbe für Katastrophenfälle im Alarmsystem zu schaffen“, die innerhalb einer Stunde einsatzfähig und innerhalb von zwei Stunden handlungsfähig sind.
FDP: Abläufe im Bevölkerungsschutz überarbeiten.
Sandra Bubendorfer-Licht (FDP) forderte, die gesamte Ablaufstruktur im Bevölkerungsschutz zu überarbeiten. Das Bundesamt für Bevölkerungsschutz und Katastrophenhilfe (BBK), das nun gestärkt und ausgebaut werde, müsse weiter zur Zentralstelle im Bevölkerungsschutz entwickelt werden. Es müsse in jeglicher Hinsicht eine Zentralstellenfunktion erhalten „und alles über verfügbare Kräfte, Ressourcen, Einsatzführung und -aufbau abrufbar haben“.
Enorm wichtig seien sofortige Erreichbarkeit, Handlungsfähigkeit und umfassende Unterstützung der Kräfte vor Ort. Mit dem vom BBK und den Innenministern der Länder im Juni gestarteten gemeinsamen Kompetenzzentrum sei ein erster Schritt getan, um die Strukturen und Abläufe zwischen Bund und Ländern zu verbessern.
Linke für Elementarschaden-Pflichtversicherung
Dr. André Hahn (Die Linke) unterstrich, dass der zivile Katastrophenschutz nachhaltig gestärkt werden müsse. Er kritisierte zugleich, dass die Probleme bei der Katastrophe vom vergangenen Jahr nahezu identisch gewesen seien mit denen beim Elbe-Hochwasser im Jahr 2002: „unzureichende Warnsysteme für die Bevölkerung, massive Störungen der Krisenkommunikation zwischen Kreis-, Land- und Bundesebene, der Ausfall des Telefonnetzes, nicht vorhandene Notstromaggregate und so weiter“.
Es sei eine Farce, wenn zwar bundesweit Sirenen endlich erneuert werden, aber nicht einheitlich geregelt sei, welche Art von Sirenen eingebaut werden und wie die Bevölkerung auf welche Warntöne reagieren soll, kritisierte Hahn, der zudem für eine Elementarschaden-Pflichtversicherung plädierte.
SPD: Fehler auf politischer Ebene aufarbeiten
Dirk Wiese (SPD) sagte, es seien bei der Bewältigung der Flutkatastrophe Fehler auch auf der politischen Ebene gemacht worden, die man aufarbeiten müsse. Zugleich habe das Hochwasser die Defizite aufgezeigt, die noch immer im Katastrophen- und Bevölkerungsschutz vorhanden seien. Dazu zählten die mangelhafte Koordination der verschiedenen Ebenen, ein unzureichendes Funktionieren der Alarmkette und das Fehlen eines flächendeckenden Warnsystems für die Bevölkerung.
Diese Baustellen müsse man zügig angehen. Ziel müsse sein, dass der Staat in der Krise auf allen Ebenen handlungsfähig ist. Mit der Einrichtung des gemeinsamen Kompetenzzentrums beim BBK habe man richtige Weichenstellungen unternommen. Das BBK und das Technische Hilfswerk benötigten jedoch auch weiterhin Unterstützung. (sto/07.07.2022)