Nach einer kontroversen Schlussberatung hat der Bundestag am Donnerstag, 8. September 2022, diverse Neuregelungen für den kommenden Corona-Herbst und -Winter beschlossen. Die Neufassung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG) soll flexible Antworten auf die jeweils aktuelle pandemische Lage ermöglichen und speziell vulnerable Gruppen schützen.
Ampel-Gesetz mit 386 Ja-Stimmen gebilligt
Der in den Beratungen noch veränderte und über 13 Änderungsanträge ergänzte Gesetzentwurf (20/2573; 20/3312) der Fraktionen von SPD, Grünen und FDP zur Stärkung des Schutzes der Bevölkerung vor Covid-19 beinhaltet einige bundesweite Auflagen sowie einen angepassten „Instrumentenkasten“, den die Bundesländer in eigener Verantwortung nutzen können. Für die Vorlage votierten in namentlicher Abstimmung 386 Abgeordnete, 312 stimmten dagegen, drei enthielten sich. Der Abstimmung lagen ein Bericht des Gesundheitsausschusses sowie ein Bericht des Haushaltsausschusses gemäß Paragraf 96 der Geschäftsordnung des Bundestages zur Finanzierbarkeit zugrunde (20/3328, 20/3313).
Mehrheitlich zurückgewiesen haben die Abgeordneten hingegen Entschließungsanträge von CDU/CSU (20/3326) und AfD (20/3314). Auch Anträge von CDU/CSU (20/2564), Die Linke (20/2581) und AfD (20/2600) wurden abgelehnt – jeweils mit den Stimmen aller übrigen Fraktionen des Hauses. Zu den ersten beiden Anträgen lagen Beschlussempfehlungen des Gesundheitsausschusses vor (20/3312, 20/3328), zum AfD-Antrag gab der Verteidigungsausschuss eine Empfehlung ab (20/3316).
Impfkampagne, Datenerfassung und Hygienekonzepte
Der zunächst eingebrachte Rahmengesetzentwurf der Koalitionäre beinhaltet Regelungen für die Impfkampagne, die Datenerfassung und Hygienekonzepte. Demnach werden die Ermächtigungsgrundlagen für die Coronavirus-Impfverordnung (CoronaImpfV) und die Coronavirus-Testverordnung (TestV) sowie die Geltungsdauer der Impfverordnung bis Jahresende 2022 verlängert. Ferner dürfen Apotheker, Zahnärzte und Tierärzte noch bis zum 30. April 2023 Covid-19-Impfungen verabreichen.
Die Länder erhalten eine Ermächtigungsgrundlage, um auch in der Pflege Regelungen zur Hygiene und zum Infektionsschutz zu treffen, etwa die Bestellung von hygienebeauftragten Pflegefachkräften in vollstationären Einrichtungen. Dafür erhalten Pflegeeinrichtungen pro Monat einen nach Größe gestaffelten Bonus von 500, 750 oder 1.000 Euro. Die Krankenhäuser werden dazu verpflichtet, die Zahl der belegten Betten sowie der aufgestellten Betten auf Normalstationen zu melden.
Maskenpflicht in Flugzeugen gekippt
Vorgesehen ist zudem die verpflichtende Erfassung aller PCR-Testungen, auch der negativen. Schließlich sollen weitergehende Studien ermöglicht werden, um repräsentative Auswertungen zu Erkrankungs- und Infektionszahlen und Durchimpfungsraten zu erhalten. Auch die sogenannte Abwasser-Surveillance könne auf dieser Basis fortgeführt werden, heißt es in der Vorlage.
Bundesweit gilt künftig eine FFP2-Maskenpflicht in Krankenhäusern und Pflegeeinrichtungen, dort ist außerdem ein Corona-Testnachweis verpflichtend. Auch im Fernverkehr (Bahn/Bus) muss eine FFP2-Maske getragen werden. Die bisher geltende Maskenpflicht in Flugzeugen, die ursprünglich weitergeführt werden sollte, wurde in den Beratungen hingegen gekippt. Als Gründe gaben die Koalitionäre eine Angleichung der europäischen Regelungen an sowie Bedenken von Fluggesellschaften, die Maskenpflicht an Bord nicht weiter durchzusetzen zu können. Dafür wird die Bundesregierung dazu ermächtigt, durch Rechtsverordnung anzuordnen, dass Fluggäste und Personal in Flugzeugen dazu verpflichtet werden können, eine FFP2-Schutzmaske oder eine medizinische Gesichtsmaske zu tragen, sollte die Infektionslage wieder deutlich schlechter werden.
Maskenpflicht in medizinischen Einrichtungen
Ferner wird die FFP2-Maskenpflicht für Patienten und Besucher bundesweit auch in ambulanten medizinischen Einrichtungen wie Arztpraxen, Tageskliniken, Dialyseeinrichtungen oder bei Rettungsdiensten eingeführt, um insbesondere vulnerable Gruppen zu schützen. Verlängert werden außerdem der Schutzschirm für pflegende Angehörige und die zusätzlichen Kinderkrankentage, die auch im Jahr 2023 in Anspruch genommen werden können. Kinder müssen bei einem Infektionsverdacht nicht zum Arzt, sondern brauchen nur einen negativen Selbsttest, um wieder am Unterricht oder in der Kita teilnehmen zu können.
Die Länder können vom 1. Oktober 2022 bis 7. April 2023 weitere Schutzvorkehrungen eigenständig anordnen, so etwa eine Maskenpflicht in öffentlichen Innenräumen und an Schulen für Schüler ab der 5. Klasse, sofern dies für die Aufrechterhaltung des Präsenzbetriebs als notwendig angesehen wird. Bei Maskenauflagen in Innenräumen sind Ausnahmen im Freizeitbereich vorzusehen für Personen mit Testnachweis sowie frisch Geimpfte oder Genesene.
Bei einer konkreten Gefahr für das Gesundheitssystem und die kritische Infrastruktur können die Länder mit einem Landtagsbeschluss weitergehende Auflagen zur Nutzung von Schutzmasken ohne Ausnahmen, Abstandsgebote oder Teilnehmerobergrenzen bei Veranstaltungen in Innenräumen beschließen. Lockdowns, Ausgangssperren sowie pauschale Schulschließungen soll es aber nicht mehr geben.
Minister: Haben die Lage im Herbst im Griff
In der Schlussdebatte versicherte Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD): „Wir werden im Herbst die Lage im Griff haben.“ Die Bundesregierung stelle sich auf ein mittelschweres Szenario ein. Der Minister fügte hinzu: „Egal was kommen wird, wir werden diesmal sehr gut vorbereitet sein.“ Der SPD-Politiker verwies auf vier Komponenten, die einen Unterschied zu den vorhergehenden Corona-Wintern bedeuteten: Es gebe wirksame Impfstoffe in ausreichender Menge, gute Arzneimittel, eine bessere Datenlage und nun auch ein neues Infektionsschutzgesetz, mit dem Bund und Länder auf jedes Szenario reagieren könnten.
Lauterbach warb für die Nutzung der nun verfügbaren Medikamente gegen Covid-19. Damit könne bei älteren und vulnerablen Patienten die Sterblichkeit um 80 bis 90 Prozent reduziert werden. Diese Therapie werde noch zu wenig genutzt. Er mahnte: „Wir dürfen uns nicht daran gewöhnen, dass jeden Tag hundert Menschen an Corona sterben.“ Er verteidigte die Entscheidung, in der Regel auf FFP2-Masken zu bestehen. Die derzeit kursierenden Varianten seien weniger gefährlich, aber besonders ansteckend. Wenn Masken getragen würden, müssten sie auch wirken. Die Nutzung von FFP2-Masken entspreche dem wissenschaftlichen Sachstand. Der Minister rechtfertigte auch die Entscheidung, künftig Schutzmasken in Fernzügen tragen zu müssen, nicht aber in Flugzeugen. Es seien deutlich mehr Menschen in Zügen als in Flugzeugen unterwegs, zudem funktioniere die Entlüftung in Flugzeugen besser als im Zug oder im Bus.
Union: Es brennt überall lichterloh
Die Union hielt der Koalition vor, zu spät ein noch dazu handwerklich schlechtes Gesetz vorgelegt zu haben. Tino Sorge monierte, die Regierung habe vor der Sommerpause ein geordnetes Verfahren versprochen, stattdessen habe es absurde Diskussionen und kurzfristige Änderungen gegeben. Der CDU-Politiker wertete den Gesetzentwurf als vertane Chance für einen Übergang zur Normalität und forderte: „Lassen Sie uns mehr Pragmatismus statt Alarmismus verfolgen.“
Sorge kritisierte, die Länder müssten Auflagen anordnen können, das mache aber keinen Sinn, wenn nicht klar sei, unter welchen Voraussetzungen sie einsetzbar seien. Das werde im Gesetz nicht konkret geregelt. Sorge ging auch auf die horrenden Energiekosten ein, von denen Gesundheitseinrichtungen betroffen sind und warnte: „Es brennt überall lichterloh.“ Die Bundesregierung unternehme nichts, um speziell den Krankenhäusern in dieser Lage zu helfen. Er forderte: „Lassen Sie die Kliniken nicht im Stich.“
Grüne: Gesundheitseinrichtungen wird geholfen
Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen) versicherte wie auch andere Redner der Koalition, den Kliniken und weiteren Gesundheitseinrichtungen solle in dieser akuten Energienotlage geholfen werden. „Da müssen und werden wir nachsteuern.“ Die Koalition werde nicht in Kauf nehmen, dass die wichtige Gesundheits-Infrastruktur gefährdet werde.
Die Grünen-Politikerin äußerte sich zugleich überzeugt, mit dem neuen Infektionsschutzgesetz handlungsfähig und mit Augenmaß in den Herbst zu gehen. Die für Bund und Länder ermöglichten Vorkehrungen zum Schutz vor dem Coronavirus könnten sich sehen lassen. Sie hoffe, dass damit eine neue Coronawelle im Herbst und Winter vermieden werden könne.
Justizminister: Hoffentlich der letzte Corona-Winter
Bundesjustizminister Dr. Marco Buschmann (FDP) hob die aus seiner Sicht große Transparenz und Verhältnismäßigkeit der geplanten Auflagen hervor. Er erinnerte daran, dass die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite im Frühjahr beendet worden sei, ebenso die meisten Schutzmaßnahmen. „Mit dem Wissen von heute können wir sagen, es war richtig.“ Deutschland sei vergleichsweise gut durch den Sommer gekommen. Allerdings gebe es nach Ansicht von Experten keine absolute Sicherheit für den kommenden Winter, daher müsse der Staat handlungsfähig bleiben, was mit dem neuen Gesetz gewährleistet sei.
Die Ermächtigungsgrundlage für die Länder sei sinnvoll, weil sie in der Pandemie inzwischen über ausreichend Erfahrung verfügten. Buschmann blickte nach vorne und erklärte, Corona werde künftig wohl „zum allgemeinen Lebensrisiko“ gehören. Er hoffe, dass nun der letzte Corona-Winter bevorstehe.
Linke: Regierung ist nicht zu beneiden
Die Linksfraktion hielt der Ampel-Koalition vor, nicht systematisch genug auf die vielfältigen Krisen zu reagieren. Kathrin Vogler räumte ein, die Bundesregierung sei gerade nicht zu beneiden angesichts von Inflation, Krieg in der Ukraine, einem Gas-Embargo und der Corona-Pandemie. Bei so vielen Baustellen sei der Handlungsbedarf enorm. Im dritten Pandemiejahr hätten viele Menschen gehofft, die neuen Konzepte der Regierung nicht auf den letzten Drücker zu erfahren, seien dabei aber enttäuscht worden.
Es sei auch zweifelhaft, ob das Land wirklich gut durch den Sommer gekommen sei bei so vielen Corona-Toten. Vogler rügte zudem die unterschiedlichen Regelungen bezüglich der Schutzmasken im Fernverkehr. Offenbar sei die Koalition vor der Luftverkehrs-Lobby eingeknickt. Das Personal im Fernverkehr von Bussen und Bahnen sei genauso belastet wie das in Flugzeugen. Vogler kritisierte: „Es klingt nicht nur verwirrend und unplausibel, es ist unplausibel.“
AfD: Geben Sie den Menschen ihre Freiheit zurück
Die AfD-Fraktion nutzte die Aussprache über die neuerliche Reform des Infektionsschutzgesetzes, um auf das teils schwere Schicksal von Menschen in der Corona-Pandemie aufmerksam zu machen. Verschiedene Redner schilderten in Kurzbeiträgen, welche dramatischen Folgen der Gesundheitsnotstand und die verfügten Auflagen in der Coronakrise für manche Menschen hatten.
Die Abgeordneten appellierten am Schluss ihrer Redebeiträge jeweils an die Bundesregierung: „Geben Sie den Menschen ihre Freiheit und Eigenverantwortung zurück.“
Abgelehnter Antrag der CDU/CSU
Die Unionsfraktion forderte in ihrem abgelehnten Antrag (20/2564) ein gestuftes Corona-Konzept in Vorbereitung auf den Herbst und Winter. Das Ziel müsse sein, vulnerable Gruppen zu schützen und eine Überlastung des Gesundheitssystems zu verhindern, zugleich aber auch erneute Grundrechtseingriffe wie flächendeckende Lockdowns oder Schließungen von Kitas und Schulen zu vermeiden, hieß es darin.
Die Abgeordneten schlugen vor, umgehend ein stufenweises Pandemiemanagementkonzept zu erarbeiten, das einen Maßnahmenkatalog nach dem 23. September 2022 ermöglicht, wenn die vorherigen Auflagen laut Infektionsschutzgesetz auslaufen. Angemahnt wurden eine bessere Datengrundlage, ein Impfregister und eine überarbeitete Teststrategie. Ferner sollte bis zum 31. August 2022 ein Evaluationsbericht über die bisherige Wirkung der einrichtungsbezogenen Impfpflicht vorgelegt werden.
Abgelehnter Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion lehnte in ihrem Antrag (20/2600) eine verpflichtende Corona-Impfung für Soldaten ab und forderte die Streichung aus der Liste der verpflichtenden Basisimpfungen der Bundeswehr. Die Pflicht zur Duldung der Impfung gegen Corona sei unverhältnismäßig und nicht dazu geeignet, die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr zu erhalten, hieß es darin.
Das Persönlichkeitsrecht der körperlichen Unversehrtheit von Soldaten dürfe nur eingeschränkt werden, wenn es für die Einsatzbereitschaft der Bundeswehr erforderlich sei. Dies sei jedoch bei der unterschiedslosen Impfung aller Soldaten nicht der Fall. Es liege somit ein rechtswidriger, aber dennoch verbindlicher Befehl vor, schrieben die Abgeordneten.
Abgelehnter Antrag der Linken
Die Linksfraktion forderte in ihrem Antrag (20/2581) umfassende Vorbereitungen auf den Corona-Herbst und schlug dazu ein ganzes Bündel an Schutzvorkehrungen vor. Es bleibe nicht viel Zeit, um das Infektionsschutzgesetz anzupassen, da die jetzigen Regelungen am 23. September ausliefen, warnten die Abgeordneten. Mit einer gründlichen Vorbereitung ließen sich hektische Korrekturen vermeiden, die das Vertrauen der Bevölkerung in die Handlungskompetenz der Bundesregierung erschüttern könnten.
Die Fraktion forderte unter anderem die Vorbereitung einer neuen Impfkampagne, eine zuverlässige Testinfrastruktur und ein Testkonzept, das allen Menschen wieder Zugang zu kostenlosen Tests ermöglicht. Zudem müssten Schutzkonzepte für besonders vulnerable Personengruppen entwickelt werden. Nötig sei auch ein Stufenplan, der im Bedarfsfall je nach Schwere des Infektionsgeschehens den Ländern angemessene Vorkehrungen eröffne. (vom/pk/08.09.2022)