Lob und Kritik an der 27. Novelle des Bundesausbildungsgesetzes
Lob und Zustimmung, aber auch viel Kritik im Detail gab es für den Gesetzentwurf der Bundesregierung zur Änderung des Bundesausbildungsgesetzes (27. BAföGÄndG; 20/1631), den der Bundestag am Donnerstag, 12. Mai 2022, in erster Lesung beraten hat. Mit ihrer aktuellen Novelle will die Ampel das BAföG nach Jahren sinkender Gefördertenzahlen wieder „attraktiver, moderner und flexibler“ gestalten, wie Bundesbildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) in der Debatte betonte. Der Kreis der Anspruchsberechtigten werde durch eine Erhöhung der Elternfreibeträge um 20 Prozent erweitert, die Bedarfssätze würden um fünf Prozent erhöht, die Antragstellung digitalisiert und vereinfacht. Die Opposition kritisierte die geplanten Änderungen als zu kurz gegriffen und die Erhöhung der Zuschüsse als zu gering. Die Linke forderte in einem eigenen Antrag (20/1734), der ebenfalls beraten wurde, das BAföG endlich „existenzsichernd“ zu gestalten und es als rückzahlungsfreien Vollzuschuss zu gewähren. Der Gesetzentwurf der Bundesregierung und der Antrag wurden im Anschluss der Debatte an den federführenden Ausschuss für Bildung, Forschung und Technikfolgenabschätzung überwiesen.
Ministerin: „Trendwende“ beim BAföG eingeleitet
Bildungsministerin Bettina Stark-Watzinger (FDP) betonte, mit den nun vorgesehenen Änderungen leite die Koalition eine „Trendwende“ beim BAföG ein: Der Höchstsatz steige um 8 Prozent von 861 Euro auf 931 Euro, die Altersgrenze von 30 auf 45 Jahre. Auch höhere Kinderbetreuungs- und Wohnkostenzuschläge seien geplant.
Die Anhebung der Freibeträge um 20 Prozent stelle ebenfalls eine „satte“ Erhöhung dar. „Das erhöht die Reichweite des BAföG deutlich“, erklärte die Ministerin. Bereits ab Herbst sollten die ersten Änderungen wirken, weitere Schritte hin zu einer strukturellen Reform des BAföG wie die Einführung eines Nothilfe-BAföGs und einer Studienstarthilfe seien zudem in Arbeit.
CDU/CSU kritisiert Reform als „halbgare Novelle“
Kathrin Staffler (CDU/CSU) hielt der Ampel jedoch vor, nicht mehr als einen „halbgare Novelle“ vorzulegen. Es verwundere nicht, dass ein breites Bündnis von den Ampelparteien durchaus nahestehenden Studierendenverbänden den Gesetzentwurf als „zu klein, zu wenig und Reförmchen“ kritisierten. Es sei zwar dringend erforderlich, dass die Ampel die BAföG-Reform frühzeitig auf die Agenda bringe, doch gemessen an den Ankündigungen im Koalitionsvertrag sowie früheren Reformen, wie etwa von der ehemaligen Bundesbildungsministerin Anja Karliczek (CDU) im Jahr 2019 umgesetzten Änderungen, falle der Entwurf zurück: Der Wohnzuschlag für Auswärtswohnende sei damals zum Beispiel um 30 Prozent angehoben worden. Im Entwurf jetzt seien nur zehn Prozent vorgesehen.
Ihre Fraktionskollegin Monika Grütters (CDU/CSU) mahnte zudem, weitere Reformen nicht auf die lange Bank zu schieben. Studierende erwarteten mehr als Sozialleistungen, es brauche bessere Förderung von Talent und Leistungsbereitschaft. Im Bereich der Begabtenförderung lasse die Ampel wichtige „Impulse“ vermissen.
AfD: BAföG bleibt bürokratisches Monster
Auch die AfD kritisierte den vorgelegten Entwurf: Die Ausweitung des Kreises der Anspruchsberechtigten sei kein „Selbstzweck“, die Erhöhung der Bedarfssätze angesichts der aktuellen Inflation nicht mehr als ein „Tropfen auf den heißen Stein“, monierte Dr. Götz Frömming (AfD).
Die FDP habe gemeinsam mit SPD und Grünen in der vergangenen Legislaturperiode für ein komplett elternunabhängiges BAföG geworben. „Davon liest man im Entwurf recht wenig.“ Stattdessen bleibe das BAföG ein „bürokratisches Monster“. Wie die zu erwartende steigende Zahl der Anträge in den Ämtern bewältigt werden solle, bleibe offen.
Die Linke fordert BAföG als „Vollzuschuss“ zu zahlen
Nicole Gohlke (Die Linke) nannte die geplanten Änderungen „überfällig“: Es sei ein „schweres Versagen der letzten Bundesregierungen“ gewesen, das BAföG nicht schon früher angepackt zu haben. Die vorgesehene Erhöhung von Bedarfssätzen, Freibeträgen und Altersgrenzen sei begrüßenswert, jedoch: „Die Tücke liegt im Detail“, bemängelte die Linken-Politikerin. Die Reform werde an vielen Stellen nicht viel verändern. Die Leistungen deckten zum Beispiel auch in Zukunft nicht den realen Bedarf.
Die Fünf-Prozent-Erhöhung der Bedarfssätze werde von der Inflation verschlungen: „Das können Sie nicht als großen Wurf und bildungspolitischen Aufbruch verkaufen“, warf Gohlke der Ministerin vor. Zudem sei es ein Manko, dass das BAföG nicht mehr als Vollzuschuss gezahlt werde, so die Abgeordnete. Viele anspruchsberechtigte Studierende beantragten das BAföG nicht, weil sie sich nicht verschulden wollten. „Der Darlehensteil muss gestrichen werden.“
SPD: Reformen werden Abwärtsspirale beim BAföG umdrehen
Rednerinnen der Ampelkoalition jedoch verteidigten den Entwurf. So erinnerte Dr. Lina Seitzl (SPD) daran, dass es die sozialliberale Koalition unter Bundeskanzler Willy Brandt (SPD) gewesen war, die mit dem Beschluss des BAföGs 1971 einen „Paradigmenwechsel“ eingeleitet und für mehr Bildungsgerechtigkeit gesorgt habe. In den Regierungsjahren von Helmut Kohl (CDU) jedoch sei dann die Ausbildungsförderung von einem Vollzuschuss zu einem Volldarlehen umgewandelt worden.
Die Folgen dieser Entscheidung seien noch immer an den seither sinkenden Gefördertenzahlen ablesbar. Die Ampel gehe jetzt nicht nur ein „Reformschrittchen“, unterstrich Seitzl, sie drehe vielmehr die „Abwärtsspirale“ um und öffne das BAföG wieder für mehr junge Menschen.
Grüne betonen weitere Reformschritte
Auch Laura Kraft (Bündnis 90/Die Grünen) betonte, bei der aktuellen Änderung handele es sich um einen „Etappensieg“: Ziel sei es gewesen, möglichst schnell noch vor dem Wintersemester die Erhöhung der Bedarfssätze zu beschließen. „Der größere Teil der Reform liegt aber noch vor uns.“
FDP lobt BAföG für Studierende aus Ukraine
Ria Schröder (FDP) betonte, die Ampel übernehme zudem Verantwortung für „Bildungsbiografien, die durch den brutalen Angriffskrieg“ Russlands auf die Ukraine abzureißen drohten. Mit dem Einmalzahlungs- und Sofortzuschlagsgesetz öffne man das BAföG nun auch für ukrainische Studierende.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Die BAföG-Novelle sieht unter anderem vor, dass die Freibeträge um 20 Prozent angehoben werden. Bedarfssätze und Kinderbetreuungszuschlag sollen um fünf Prozent sowie der Wohnzuschlag um elf Prozent auf 360 Euro ansteigen. Die Altersgrenze zu Beginn des zu fördernden Ausbildungsabschnitts soll auf 45 Jahre hochgesetzt werden. Das sogenannte „Schriftformerfordernis“ soll mit der Novellierung wegfallen. Anträge sollen dann digital über „BAföG-Digital“ oder per E-Mail eingereicht werden können.
Die Erlassmöglichkeit der Darlehensrestschulden nach 20 Jahren für Altfälle soll mit dem 27. BAföGÄndG auch für die Rückzahlungsverpflichteten gelten, die es versäumt hatten, innerhalb der gesetzten Frist des 26. BAföGÄndGs den Erlass der Darlehensrestschulden zu beantragen.
Antrag der Linksfraktion
Die Fraktion Die Linke fordert, das BAföG existenzsichernd und krisenfest zu gestalten. In einem Antrag verlangt sie vor allem, die Ausbildungsförderung nach dem BAföG als „rückzahlungsfreien Vollzuschuss“ zu gewähren. Außerdem sollten die Fördersätze in Höhe der tatsächlichen Lebensunterhaltskosten gestaltet werden. Die Zuschläge für Kranken- und Pflegeversicherung seien in Höhe der tatsächliche Beiträge einschließlich der Zusatzbeiträge der jeweiligen Krankenkasse zu gewähren, heißt es in der Vorlage. Zuschläge zur Kinderbetreuung müssten darüber hinaus auf ein existenzsicherndes Niveau angehoben und regelmäßig dynamisiert werden, fordern die Abgeordneten.
Ferner dringen sie unter anderem auf eine Umwandlung der Wohnpauschale in einen Mietkostenzuschuss analog zum Wohngeld mit regionaler Staffelung, eine Abschaffung der Altersgrenzen und die Zahlung eine „angemessenen Digital- und Lernmittelpauschale“ an die Anspruchsberechtigten. Als Begründung für ihren Vorstoß führt die Fraktion an, dass die von der Bundesregierung geplante BAföG-Änderung zu kurz greife. Das BAföG habe in den vergangenen Jahren einen „dramatischen Bedeutungsverlust“ erfahren. Lediglich elf Prozent der Studierenden erhielten noch die Förderung. Das BAföG sei zudem nicht existenzsichernd. Die geplante Erhöhung der Bedarfssätze ändere daran nichts, denn sie orientiere sich nicht an den tatsächlichen Lebenshaltungskosten, kritisiert die Linksfraktion und plädiert gleichzeitig für eine umfassende Strukturreform noch in der laufenden Legislaturperiode. (sas/12.05.2022)