Kanzler Scholz in der Generaldebatte: Die Nato wird nicht Kriegspartei
Es war weit mehr als eine Debatte über den Bundeshaushalt: In der Aussprache über den Etat des Bundeskanzleramtes für 2022 (20/1000), deswegen auch „Generaldebatte“ genannt, ging es am Mittwoch, 23. März 2022, natürlich um die großen politischen Linien der Bundesregierung für die kommenden Jahre. Und je nach Perspektive um Kritik daran (Opposition) oder um deren Verteidigung (Koalitionsfraktionen). Wenig überraschend in dieser Zeit, so wurde auch diese Debatte von einem Thema beherrscht, dem Krieg in der Ukraine. Dass es sich dabei noch nie um ein rein außenpolitisches Thema gehandelt hat, machten die Redner aller Fraktionen deutlich, indem sie auch auf die massiven innenpolitischen Folgen, wie steigende Energiepreise und die Bewältigung der größten Fluchtbewegung seit Ende des Zweiten Weltkrieges, hinwiesen.
Kritik äußerten Vertreter der Opposition unter anderem an den Plänen für ein Sondervermögen von 100 Milliarden Euro für die Bundeswehr, da es sich bei den Problemen der Bundeswehr nicht nur um rein finanzielle, sondern vor allem strukturelle Probleme handele, die zuerst angegangen werden sollten. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) wie auch Redner der Koalitionsfraktionen bekräftigten, an dem Motto der Ampel-Koalition, einen Aufbruch wagen zu wollen, trotz der aktuellen Konflikte festhalten zu wollen. Von ihren klimapolitischen Ambitionen werde sich die Regierung nicht verabschieden, hieß es von Regierung, SPD, Grünen und FDP unisono.
CDU/CSU vermisst entschlossenes Handeln
Friedrich Merz (CDU/CSU) warf der Bundesregierung und allen voran Olaf Scholz vor, zwar viel von Zeitenwende zu reden, aber nicht entschlossen genug zu handeln, um dieser Herausforderung etwas zu entgegnen. Wenn die Regierung es ernst meinen würde, müsste sie ihren Koalitionsvertrag neu verhandeln, meinte der Vorsitzende der Unionsfraktion. Stattdessen würden beschönigend von einem „Ergänzungshaushalt“ gesprochen und diese Woche Haushaltsberatungen durchgeführt, „als ob nichts wäre“.
Merz kündigte an: „Wir werden keinen Blankoscheck für eine Grundgesetzänderung erteilen, wir wollen vorher genau wissen, welche Investitionen in die Bundeswehr getätigt werden sollen.“ Nötig sei auch, vorher die Beschaffungsstrukturen grundlegend zu reformieren, forderte er.
Bundeskanzler: Keine Flugverbotszone
Olaf Scholz (SPD) richtete sich zu Beginn seiner Rede direkt an den Präsidenten der Ukraine, Wolodymyr Selenskyj, und versicherte: „Die Ukraine kann sich auf unsere Hilfe verlassen!“ Er verwies dabei auf die Militärhilfen der EU und Waffenlieferungen aus Deutschland und die Sanktionen, stellte aber auch klar: „So schwer es uns fällt, eine Flugverbotszone wird es mit uns nicht geben. Die Nato wird nicht Kriegspartei.“ Dies sei ein Gebot der Vernunft, so Scholz.
Der Bundeskanzler bekräftigte erneut das Ziel, die Abhängigkeit von russischen Energielieferungen zu beenden, dies gelinge jedoch nicht von heute auf morgen und dürfe auch nicht dazu führen, Deutschland „sehenden Auges“ in eine wirtschaftliche Rezession zu steuern. Scholz betonte, die Ampelkoalition habe sich trotz der akuten Krisenlage keineswegs von ihren ambitionierten Zielen, auch in der Klimapolitik, verabschiedet. „Das eine zu tun, ohne das andere zu lassen, das ist unser Anspruch“, sagte er.
AfD: Keine Visionen für das Land
Der Vorsitzende der AfD-Fraktion Tino Chrupalla warf der Vorgängerregierung und der aktuellen vor, Deutschland „absolut ins Ungleichgewicht“ versetzt zu haben: „Das Land ist gespalten in jene, die erst an der Tankstelle merken, dass ihr Leben nun mehr Geld kostet, und jene, die schon lange kein Auto mehr haben und künftig auch noch für die Freiheit frieren sollen.“ Er warf der Regierung vor, „keine Visionen für das Land“ zu haben und einen Haushalt vorzulegen, der „schon heute überholt“ sei.
Die Idee, auf das billige Gas aus Russland verzichten und nun Gas aus Katar beziehen zu wollen, bezeichnete er als Ausdruck von Doppelmoral. Chrupalla forderte außerdem Investitionen in moderne Gas- und Kernkraftwerke, da regenerative Energien den Grundbedarf noch lange nicht decken könnten. Er warnte zudem davor, Deutschland in einen Krieg hineinzuziehen: „Schicken Sie Diplomaten statt Waffen, nur so schafft man Frieden.“
Grüne verteidigen Ministerbesuch in Katar
Katharina Dröge, Vorsitzende der Grünen-Fraktion, betonte in Bezug auf den Ukraine-Krieg und die Repressionen in Russland: „Die Idee der Demokratie und Freiheit ist so stark, die kann man nicht wegbomben und wegsperren.“ Es sei gut, dass die EU und Deutschland ein so starkes Sanktionspaket geschnürt hätten, wie es lange undenkbar schien. Dröge verteidigt die Pläne für ein Bundeswehr-Sondervermögen, warnte aber: „Wir dürfen die Sicherheit vor Cyberangriffen nicht vergessen. Wir leben in einer global vernetzten Welt, da kann man Sicherheit nicht national denken.“
Die mehrfach geäußerte Kritik an der Reise von Wirtschaftsminister Dr. Robert Habeck (Bündnis 90/Die Grünen) nach Katar ließ sie nicht gelten. Kurzfristig gebe es keine andere Alternative, langfristig heiße dies, noch schneller von fossilen Energien wegzukommen, sagte sie.
Linke kritisieren Bundeswehr-Sondervermögen
Dr. Dietmar Bartsch, Chef der Linksfraktion, warf der Bundesregierung vor, zwar viel von Entlastungen der Bürger zu reden, dies aber nicht umzusetzen. „Die Krisen dieser Zeit überfordern Sie“, sagte er in Richtung Regierungsbank. Die Alternative für viele Menschen heiße angesichts der immer weiter steigenden Inflation heizen oder einkaufen, dies könne nicht sein. Was die Regierung derzeit ankündige seien nur „Minimalentlastungen“ und verhindere nicht, dass die Mehrheit der Menschen in diesen Wochen massiv an Wohlstand verliere.
Kritik äußerte Bartsch auch an dem 100-Milliarden-Paket für die Bundeswehr: „Ihre Aufrüstung werden die Rentner und Geringverdiener mit dem berühmten Gürtel bezahlen, den sie enger schnallen müssen.“
FDP: Waffenlieferungen waren „richtige Entscheidung“
Christian Dürr, Chef der FDP-Fraktion, stellte klar: „Dieser Krieg betrifft uns alle. Die Ukrainer kämpfen für unsere Freiheit. Das dürfen wir ihnen nie vergessen.“ Er verteidigte die Waffenlieferungen an die Ukraine. Es sei für die Regierung nicht leicht gewesen, sich von diesem Tabu zu verabschieden, „aber es war die richtige Entscheidung“.
Zu einem Sondervermögen für die Bundeswehr sei man nicht nur wegen der Verteidigungsfähigkeit Deutschlands verpflichtet. „Wir sind es auch den Soldaten und Soldatinnen schuldig“, sagte Dürr. Er betonte, dass nicht nur Krisenbewältigung zur Agenda der Regierung gehöre, sondern nach wie vor auch der „Blick nach vorne“ in punkto Klimapolitik, Einwanderungs- und Sozialpolitik. „Wir erneuern das Aufstiegsversprechen der sozialen Marktwirtschaft“, betonte Dürr.
SPD: Herausforderungen nach dem Zeitenbruch
Dr. Rolf Mützenich, Vorsitzender der SPD-Fraktion, verwies auf die Besonderheit der diesjährigen Haushaltsberatungen, die meist von wirtschafts- oder innenpolitischen Themen dominiert würden. „Doch die Ukraine, die Welt und unsere bisherigen Regeln wurden in den Morgenstunden des 24. Februar angegriffen.“
Seit mehr als vier Wochen verstöre die Brutalität, mit der der russische Präsident Wladimir Putin einen Staat einäschern will. „Dennoch darf der Krieg die Agenda, mit der wir der Welt von gestern eine neue Zukunft gegenüberstellen wollen, nicht aufheben. Im Gegenteil: Gerade jetzt sind wir gefordert, Antworten zu geben, wie wir nach dem Zeitenbruch des Krieges die Herausforderungen für unser Land, Europa und den Planeten meistern können.“
Weniger Ausgaben, mehr Einnahmen
Der Etat des Kanzleramtes sieht in diesem Jahr Ausgaben von 3,7 Milliarden Euro vor, das ist im Vergleich zum Vorjahr (4,65 Milliarden Euro) ein Rückgang um 14,3 Prozent.
Die Beauftragte der Bundesregierung für Kultur und Medien, Staatsministerin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen), soll in diesem Jahr 1,93 Milliarden Euro ausgeben können (2021: 2,94 Milliarden Euro). Der Anstieg der geplanten Einnahmen im Etat von 3,5 Millionen Euro auf 103,5 Millionen Euro resultiert aus dem Abbau von Selbstbewirtschaftungsmitteln sowie aus der Erstattung von nicht oder nicht zweckentsprechend verwendeten Zuwendungen im Bereich der Staatsministerin.
Migration, Ostdeutschland, BND
Der Beauftragten der Bundesregierung für Migration, Flüchtlinge und Integration, Staatsministerin Reem Alabali-Radovan (SPD), stehen laut Entwurf 40,48 Millionen Euro zur Verfügung (2021: 39,96 Millionen Euro). Der Beauftragte der Bundesregierung für Ostdeutschland, Staatsminister Carsten Schneider (SPD), soll 5,72 Millionen Euro erhalten. Der Zuschuss an den Bundesnachrichtendienst (BND) beläuft sich dem Entwurf zufolge auf 1,03 Milliarden Euro (2021: 1,08 Milliarden Euro). (che/vom/23.03.2022)