Zeit:
Montag, 16. Mai 2022,
15
bis 16.30 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3.101
Der Vorstandsvorsitzende der Bundesagentur für Arbeit (BA), Detlef Scheele, hält die jetzige Sanktionspraxis bei Regelverstößen von Hartz-IV-Empfängern für „ganz vernünftig“. Es gebe wenige Konflikte und weniger Klagen, sagte der BA-Chef am Montag, 16. Mai 2022, in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales. Anlass war der Entwurf der Bundesregierung für ein elftes Gesetz zur Änderung des Zweiten Buches Sozialgesetzbuch (SGB II; 20/1413), mit dem ein befristetes Sanktionsmoratorium bei Pflichtverletzungen der Bezieher von Leistungen nach dem SGB II eingeführt werden soll. Der Bundestag will das Gesetz am Donnerstag, 19. Mai, beschließen.
„Beratungen sind die Methode der BA“
Das jetzige Hartz-IV-System soll im nächsten Jahr durch die Einführung eines Bürgergeldes abgelöst werden, wie es SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP in ihrem Koalitionsvertrag vorsehen. Vom geplanten Sanktionsmoratorium nicht betroffen sein soll die zehnprozentige Leistungskürzung bei Meldeversäumnissen. Diese und die 30-prozentige Kürzung bei Pflichtverstößen hält Scheele für „adäquat“, vor allem auch im Hinblick darauf, dass die Jobcenter daran arbeiteten, ihr Beratungsangebot zu verbessern. Im Übrigen wies er darauf hin, dass nicht Sanktionen, sondern Beratungen die Methode der BA seien.
Positiv äußerte sich Scheele zu den weiteren Reformvorhaben der Koalition, betreffend etwa den jetzigen Vermittlungsvorrang bei der Wiedereingliederung in den Arbeitsmarkt, das Nichtvorhandensein eines Bildungsgeldes oder auch das Ziel einer nicht sanktionsbewehrten Teilhabevereinbarung.
„Jetziger Zustand verfassungskonform“
Der Einzelsachverständige Prof. Dr. Gregor Thüsing kritisierte den Gesetzentwurf, weil er „tief“ in den Grundsatz des Forderns und Förderns eingreife. Der jetzige Zustand sei „verfassungskonform“. Martin Künkler vom Deutschen Gewerkschaftsbund (DGB) bewertete das Sanktionsmoratorium hingegen positiv und riet, im Gesetzentwurf noch klarzustellen, dass es keine zeitversetzten Sanktionen geben werde, da das Gesetz derzeit für die Verhängung von Sanktionen eine Frist von sechs Monaten einräumt.
Künkler begründete dies damit, dass die Regelsätze gerade noch existenzdeckend seien. Jede sanktionsbedingte Kürzung wäre ein Eingriff in das Existenzminimum, und das lehne der DGB ab.
„Vereinbarungen auf Augenhöhe“
Dagmar König von der Dienstleistungsgewerkschaft Verdi lehnte die Sanktionen aus demselben Grund ab. Verdi setze darauf, dass im Zuge der Bürgergeld-Reform auch die Beratungen verstärkt werden. Birgit Fix vom Deutschen Caritasverband ergänzte, dass die Teilhabe durch die Sanktionen stark eingeschränkt werde, aufgrund der Kürzungen könne es sogar zum Verlust der Wohnung kommen. Häufig seien es psychisch kranke Menschen, die aufgrund von Meldeversäumnissen sanktioniert würden.
Fix sprach sich für „Vereinbarungen auf Augenhöhe“ zwischen Beratern und Beratenen aus. Termine sollten vereinbart und nicht einfach gesetzt werden. Michael David von der Diakonie Deutschland fügte hinzu, die Sanktionen träfen überwiegend Menschen, die Probleme hätten, mit Behörden klarzukommen. Aufgrund der niedrigen Regelsätze seien die Sanktionen für Familien „sehr existenziell“.
„Beratungsangebot der Jobcenter ausbauen“
Dr. Joachim Rock vom Deutschen Paritätischen Wohlfahrtsverband sagte, die Sanktionen hätten noch nie so schwer auf die Betroffenen gewirkt wie jetzt, etwa aufgrund der Preissteigerungen. Auch Kürzungen um zehn Prozent seien ausgesprochen schwerwiegend.
Rock sprach sich dafür aus, das Beratungsangebot der Jobcenter auszubauen, auf die Belange der Betroffenen stärker einzugehen und sie zu ermutigen, bei den Jobcentern Unterstützung zu suchen.
„Sanktionen beibehalten“
Holger Schäfer vom Institut der deutschen Wirtschaft Köln berichtete, die arbeitsmarktökonomische Wirkungsforschung zeige, dass sich Sanktionen kurzfristig förderlich auf die Eingliederung in den Arbeitsmarkt auswirkten. Er plädierte dafür, die Sanktionen beizubehalten und sie mindestens wie vom Bundesverfassungsgericht bestätigt anzuwenden. Das Karlsruher Urteil vom November 2019 erlaube bei einer Totalverweigerung der Leistungsempfänger auch eine „Totalsanktion“, weil es an der Hilfebedürftigkeit mangele: „Wir sollten das weiterhin durchsetzen.“
Der überwiegende Teil der Hartz-IV-Bezieher selbst befürworte die Sanktionen. Sie seien daran interessiert, dass sich alle an die Regeln halten. (vom/16.05.2022)