Kontroverse Debatte über die Extremismusbekämpfung
Unter dem Eindruck der in dieser Woche veröffentlichten Fallzahlen zur politisch motivierten Kriminalität (PMK) im Jahr 2021 ist es am Freitag, 13. Mai 2022, im Bundestag zu einer kontroversen Debatte über die Extremismusbekämpfung in Deutschland gekommen. Während Redner von Union und AfD Versäumnisse im Kampf gegen den Linksextremismus beklagten und Die Linke eine ihrer Ansicht nach falsche Einordnung von ihren Augen rechts motivierten Straftaten monierte, wiesen Vertreter der Ampel-Koalition von SPD, Bündnis 90/Die Grünen die Oppositionskritik entschieden zurück.
CDU/CSU: Alle Bereiche des Extremismus berücksichtigen
In der ersten Debatte über einen Antrag der CDU/CSU-Fraktion mit dem Titel „Für eine wehrhafte Demokratie - Gegenüber jeglicher Art von Extremismus“ (20/1725) begrüßte Alexander Throm (CDU/CSU) den Zehn-Punkte-Plan gegen Rechtsextremismus von Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD). Zugleich hielt er ihr vor, seit ihrem Amtsantritt nahezu nichts zu den Phänomenbereichen Linksextremismus oder islamistischer Terrorismus sowie politischer Islam gesagt zu haben.
Die Ressortchefin vernachlässige diese Gefahren, obwohl ihre am Dienstag, 10. Mai, vorgestellte PMK-Statistik zeige, dass die Gewaltbereitschaft bei Linksextremisten besorgniserregend hoch sei. Auch weise diese Statistik aus, dass die Zahl extremistischer Straftaten aus religiöser Ideologie im vergangenen Jahr um 50 Prozent gestiegen sei. Notwendig sei, alle Bereiche des Extremismus zu berücksichtigen und die Sicherheitsbehörden auch technisch „aufzurüsten“, sagte Throm und plädierte dafür, etwa dem Verfassungsschutz die Befugnis zur Quellen-Telekommunikationsüberwachung (Quellen-TKÜ) zu übertragen und dem Bundeskriminalamt zur Abwehr des internationalen Terrorismus das Auslesen von gespeicherten Nachrichten auf Messengerdiensten.
SPD: Grundrechte sind der Maßstab für alle Befugnisse
Uli Grötsch (SPD) entgegnete, dass für die Union bei den Befugnissen der Sicherheitsbehörden Grundrechte nur ein Hindernis seien. Für die Koalition seien die Grundrechte dagegen „der Maßstab für alle Befugnisse“. Grötsch unterstrich zugleich, dass SPD, Grüne und FDP gegen alle Feinde der Demokratie kämpften. Wenn Throm selbst sage, dass die größte Gefahr im Lande von rechts komme, solle er aufhören, dies immer wieder zu relativieren.
Die aktuelle PMK-Statistik zeige, dass es 2021 doppelt so viele rechte Straftaten gegeben habe wie linke, ausländische und islamistische Delikte zusammen. Fast verdreifacht hätten sich die Straftaten in der Kategorie „nicht zuzuordnen“, bei denen ein großer Teil im Zusammenhang mit den Coronaleugner-Szene stehe, die wiederum völkisches, antisemitisches und rechtsextremes Gedankengut pflege. Daher sei die „Gefahr von rechts garantiert noch größer, als die PMK-Statistik dies derzeit abbildet“.
AfD setzt sich für Stärkung der Polizei ein
Steffen Janich (AfD) sagte, dass die politisch rechts motivierten Straftaten 2021 im Vergleich zum Vorjahr um rund 1.600 Fälle zurückgegangen seien und die politisch links motivierten Delikte um 800 Fälle. Dagegen habe es im PMK-Bereich „nicht zuzuordnen“ einen Anstieg um 150 Prozent gegeben. Dabei falle auf, dass mehr als die Hälfte der knapp 22.000 rechts motivierten Straftaten Propagandadelikte gewesen seien. Bei Gewaltdelikten habe es mehr von Linksextremisten begangene Taten gegeben als von Rechtsextremisten verübte. Wenn die Union heute befürchte, dass unter Faeser der Kampf gegen Islamismus und Linksextremismus in den Hintergrund trete, verweise er darauf, dass die AfD bereits in der vergangenen Wahlperiode etwa die „Prüfung von Verbotsverfahren gegen Antifa-Banden“ und das Verbot islamistischer Moscheevereine in Deutschland gefordert habe. Auch setze sich die AfD weiterhin für die Stärkung der Polizei ein. Nicht gebraucht würden dagegen weitere Befugnisse für die Verfassungsschutzbehörden.
Grüne fordern verfassungskonforme Antworten
Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) konstatierte, dass die freiheitlich-demokratische Grundordnung derzeit von innen wie von außen „massiv bedroht“ werde in einem lange nicht mehr für möglich gehaltenem Ausmaß. Diese Bedrohungen verlangten nach neuen, modernen, differenzierten und vor allem verfassungskonformen Antworten. Davon finde sich im CDU/CSU-Antrag jedoch nur wenig. Dabei werde die Sicherheit vieler Menschen im Land vor allem von rechts gefährdet.
Die Ampel-Koalition gehe die hybriden Bedrohungen, Desinformationskampagnen und Probleme bei der IT-Sicherheit ebenso an wie alle Formen des Antisemitismus, ob von rechts, links, aus der Mitte der Gesellschaft oder salafistisch geprägt, und Rechtsextremismus genauso wie den Islamismus. „Wir müssen überall hingucken, wo es gefährlich ist, und das tun wir“, betonte der Grünen-Abgeordnete. Dabei habe sich die Ampel-Koalition auf den Weg gemacht, eine seriöse, wissenschafts- und evidenzbasierte Sicherheitspolitik zu betreiben.
Linke kritisiert Aussagekraft der PMK-Statistik
Martina Renner (Die Linke) betonte, bei der Verteidigung von Demokratie und Rechtsstaat gehe es um den Schutz von Leib und Leben aller Menschen im Lande. Vor dem Hintergrund der Anschläge der vergangenen Jahre bedeute dies vor allem, „dass wir gegen Rassisten, Antisemiten und Neonazis kämpfen müssen, und das gemeinsam“. Die CDU/CSU sei jedoch in den zurückliegenden 16 Jahren bei der Bekämpfung von rassistischer Gewalt und rechtem Terror „fulminant gescheitert“. Nach islamistischen wie nach rechtsterroristischen Anschlägen sei die Union nicht bereit gewesen, ihre „Annahmen über das Funktionieren der Sicherheitsarchitektur zu überdenken“. Diese Haltung spiegele auch der CDU/CSU-Antrag wider.
An die Bundesregierung gerichtet, warf Renner zugleich die Frage auf, wie Gefahrenanalyse gelingen solle, wenn in der PMK-Statistik mehr als 21.000 Straftaten als „nicht zuzuordnen“ eingestuft würden. Hier müsse die Bundesregierung handeln und diese „falsche und irreleitende Einordnung offensichtlich rechter Gewalt- und Straftaten“ ändern.
FDP: Höchststand antisemitischer Taten beschämt
Linda Teuteberg (FDP) erwiderte, wenn es neue und schwer einzuschätzende Phänomene gebe, sei es besser, dies in der Kriminalitätsstatistik offen zu kommunizieren, als diese Phänomene wie Renner vorschnell „in alte Schubladen zu packen, weil das in ihr Weltbild besser passt“. Verschwörungserzählungen gebe es schließlich nicht nur in einem politischen Lager. Teuteberg verwies zugleich darauf, dass die PMK-Statistik für 2021 einen neuen Höchststand in vielen Extremismusbereichen zeige. Es werde aber kein „Ranking“ gebraucht, welche Art von Extremismus die größere Bedrohung sei, sondern ein „Rundum-Blick“ und das Eintreten des Rechtsstaates gegen jeglichen Extremismus.
Besonders beschämen und besorgen müssten die ebenfalls auf einem Höchststand befindlichen Zahlen antisemitischer Taten. Man habe eine besondere Verantwortung dafür, dass jüdisches Leben in Deutschland sicher und selbstbestimmt stattfinden kann. Jede Form des Antisemitismus sei gleichermaßen inakzeptabel, und man müsse ihr entschieden entgegentreten.
Antrag der Unionsfraktion
Darin begrüßt die Fraktion den Mitte März vorgestellten Aktionsplan gegen Rechtsextremismus als „unterstützenswert“. Zugleich fordert sie die Bundesregierung auf, neben einer konsequenten Fortsetzung der Bekämpfung des Rechtsextremismus auch einen Aktionsplan gegen islamistischen Terrorismus und politischen Islamismus sowie einen weiteren Aktionsplan gegen Linksextremismus vorzulegen. Auch soll die Bundesregierung nach dem Willen der Fraktion dem Bundeskriminalamt zur Abwehr der Gefahren des internationalen Terrorismus die Befugnis zur Überwachung der Telekommunikation wie beispielsweise Telegram- oder WhatsApp-Nachrichten von islamistischen Terroristen zur Verfügung stellen. Ferner dringen die Abgeordneten darauf, dem Bundesamt für Verfassungsschutz (BfV) „unter verpflichtender Mitwirkung von Telekommunikationsanbietern die Überwachung der Kommunikation von Terroristen und Extremisten zu ermöglichen“.
Ebenso soll die Bundesregierung dem BfV laut Vorlage im Rahmen der Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts vom 26. April 2022 die Befugnisse zur Online-Durchsuchung einzuräumen, „um zur Abwehr einer mindestens konkretisierten Gefahr im dringenden Einzelfall insbesondere einen konkret bevorstehenden Terroranschlag verhindern zu können“. Zudem plädiert die Fraktion dafür, bei relevanten Anhaltspunkten für verfassungsfeindliche Bestrebungen die Altersgrenze für die Speicherung von Informationen über Minderjährige durch den Verfassungsschutz entfallen zu lassen und die regelmäßige Löschungspflicht nach dem Bundesverfassungsschutzgesetz auf 20 Jahre auszuweiten.
Des Weiteren wird die Bundesregierung in dem Antrag aufgefordert, gemeinsam mit den Ländern sämtliche Präventionsprogramme gegen Extremismus auf ihre Wirksamkeit und Verzahnung hin zu evaluieren sowie verbindliche Qualitätsstandards als Fördervoraussetzung zu erarbeiten. Darüber hinaus soll die Bundesregierung dem Antrag zufolge „generell mittels einer Demokratietreueerklärung in Förderbescheiden“ dafür sorgen, dass staatliche Gelder nur an Träger von Präventionsprojekten gehen, „die sich umfassend und eindeutig zu unserer freiheitlich-demokratischen Grundordnung bekennen sowie eine den Zielen des Grundgesetzes förderliche Tätigkeit gewährleisten“. (sto/13.05.2022)