Parlament

Bundestag stimmt für Lieferung schwerer Waffen an die Ukraine

Der Deutsche Bundestag setzt sich für die umfassende Unterstützung für die Ukraine im Angriffskrieg Russlands ein und schließt für diesen Zweck auch die Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland nicht aus. Für einen entsprechenden gemeinsamen Antrag (20/1550) der Koalitionsfraktionen von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP sowie der größten Oppositionsfraktion CDU/CSU votierten am Donnerstag, 28. April 2022, in namentlicher Abstimmung 586 Abgeordnete, 100 stimmten mit Nein, sieben enthielten sich.

Grüne: Ukraine hat das Recht auf Selbstverteidigung

Die Fraktionsvorsitzende der Grünen Britta Haßelmann machte deutlich, dass die Entscheidungen für solche Waffenlieferungen nicht leichtfertig getroffen würden: „Wir wägen ab, wir zweifeln, ja, wir hadern, aber wir entscheiden, und das ist am Ende das, was zählt.“ Es gehe um die Abwägung, einerseits nicht selbst Kriegspartei zu werden, andererseits die Ukraine nicht schutzlos dem Aggressor Russland zu überlassen.

Die Entscheidungen seien stets vom festen Grundsatz geleitet, „dass die Ukraine nach der Charta der Vereinten Nationen ein uneingeschränktes Recht auf Selbstverteidigung hat“, sagte Haßelmann. Sie betonte mit Blick auf Gas- und Ölimporte aus Russland überdies die Notwendigkeit, „alles dafür zu tun, um aus dieser wahnsinnig zementierten Abhängigkeit fossiler Energien“ rauszukommen.

Union kritisiert Zögerlichkeit des Kanzlers

Unionsfraktionschef Friedrich Merz (CDU/CSU) warf Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) „Unsicherheit und Schwäche“ im Ukraine-Konflikt vor. Scholz habe über Wochen hingehalten, offen gelassen, ausweichend geantwortet. „Das ist nicht Besonnenheit, das ist Zögern, das ist Zaudern und das ist Ängstlichkeit“.

Merz kritisierte insbesondere eine frühere Äußerung des Bundeskanzlers, dass die Lieferung schwerer Waffen aus Deutschland einen dritten Weltkrieg heraufbeschwören könnte. Dies würde im Umkehrschluss bedeuten, dass alle Länder, die mehr für die Ukraine täten als Deutschland, die Kriegsgefahr erhöhen würden. Dies sei eine „groteske Umkehrung von Ursache und Verantwortung für diesen Krieg“, sagte Merz. Die Einschätzung sei auch historisch „falsch und irreführend“, weil eine Politik der Besänftigung und Beschwichtigung die Ausweitung einer Aggression überhaupt erst möglich mache.

SPD: Antrag ein Signal an Putin und die Ukraine

Der SPD-Vorsitzende Lars Klingbeil warf seinem Vorredner daraufhin parteipolitische Profilierung vor: „Das hätte heute eine staatspolitische Rede von Ihnen werden können. Es ist aber eine parteipolitische Rede geworden“, sagte er in Richtung des Unionsfraktionsvorsitzenden und CDU-Parteichefs.

Er sei dankbar dafür, dass die Ampel-Fraktionen und die CDU/CSU einen gemeinsamen Antrag auf den Weg gebracht hätten, sagte Klingbeil. Der Antrag richte das klare Signal an Kreml-Chef Wladimir Putin und an die Menschen in der Ukraine, „dass wir auf der richtigen Seite der Geschichte als Deutscher Bundestag stehen“.

AfD warnt vor weiteren Waffenlieferungen

Der AfD-Partei- und Fraktionsvorsitzende Tino Chrupalla (AfD) warnte davor, dass weitere Waffenlieferungen an die Ukraine Deutschland in den Krieg hineinziehen könnten. „Heute bringen die Koalition und die Unionsfraktion einen gemeinsamen Antrag ein, der den Ukraine-Krieg verlängern wird und uns zur Kriegspartei in einem atomar geführten Krieg machen könnte.“  Der Antrag lese sich wie „die Beitrittsbekundung zu einem Krieg“, kritisierte er.

Die Ukraine sei ebenso ein souveräner Staat wie Russland. „Es liegt im deutschen Interesse, auch zukünftig zu beiden Staaten ein gutes Verhältnis zu unterhalten, politisch, wirtschaftlich und kulturell“, sagte Chrupalla.

FDP: Butscha ist kein Einzelfall

FDP-Fraktionschef Christian Dürr bezeichnete Russlands „fürchterlichen Krieg gegen die Ukraine“ als Krieg gegen die liberale Demokratie. „Deshalb ist es eben auch im sicherheitspolitischen Interesse Deutschlands, dass die Ukraine diesen Krieg nicht verliert.“ Es sei richtig, auch die Lieferung schwerer Waffen einzubeziehen. „Russland hat die Ukraine überfallen mit einem Vielfachen an Militärgerät. Fünfmal so viele Panzer, dreimal so viele aktive Soldaten.

Die Ukraine befindet sich in einem Krieg auf offenem Boden“, sagte Dürr. Es sei bereits zu sehen gewesen, was das bedeute. „Butscha ist kein Einzelfall. Jeder russische Vorstoß bedeutet, dass sich diese Verbrechen wiederholen“, sagte Dürr mit Blick auf Vorwürfe russischer Kriegsverbrechen in diesem Kiewer Vorort.

Linke fürchtet eine Eskalation

Der Vorsitzende der Linksfraktion Dr. Dietmar Bartsch warnte hingegen vor einer Eskalation durch weitere Waffenlieferungen. Unter anderem mit der Angst vor einem Atomkrieg habe der Bundeskanzler die Lieferung schwerer Waffen ursprünglich ausgeschlossen, „und zwar zu Recht“, sagte Bartsch.

Nun gebe es bei der Ampel eine neue Kehrtwende und einen „fatalen Wettlauf“ beim Ruf nach weiteren Waffen: „Höher, schneller, weiter.“ Bartsch bezweifelte, dass mit der Lieferung schwerer Waffen der Krieg beendet werden könne. Viel zu wenig werde über diplomatische Bemühungen geredet. Solidarität mit den Menschen in der Ukraine und Deeskalation seien zwei Seiten derselben Medaille.

Antrag der Fraktionen SPD, CDU/CSU, Grüne und FDP

Die Fraktionen fordern die Bundesregierung unter anderem dazu auf, alle Bemühungen der ukrainischen Regierung, in direkten Verhandlungen mit der russischen Führung einen Waffenstillstand zu erzielen, zu unterstützen, wobei klar sein müsse, dass es keine Verhandlungen über die Köpfe der Ukrainerinnen und Ukrainer hinweg geben dürfe. Falls es zum Abschluss eines Abkommens komme, müsse Deutschland gemeinsam mit den USA, Kanada und anderen Nato- und EU-Partnern bereit sein, aktiv dazu beitragen, seine Einhaltung zu gewährleisten.

Außerdem soll die Lieferung benötigter Ausrüstung an die Ukraine fortgesetzt und wo möglich beschleunigt werden und dabei auch die Lieferung auf schwere Waffen und komplexe Systeme etwa im Rahmen des Ringtausches erweitert werden, ohne die Fähigkeiten Deutschlands zur Bündnisverteidigung zu gefährden. Gegenüber der Volksrepublik China soll zudem mit Nachdruck die Erwartung Deutschlands und der Europäischen Union kommuniziert werden, dass die Volksrepublik ihre Billigung des Krieges aufgibt und stattdessen die Bestrebungen für einen Waffenstillstand aktiv unterstützt.

Weitere Maßnahmen

Des Weiteren soll im Anschluss an das von der EU beschlossene Embargo für Kohle schnellstmöglich ein Ausstiegsfahrplan für russische Öl- und Gasimporte auf den Weg gebracht und der zügige und konsequente Ausbau erneuerbarer Energien forciert werden. Es sollen Energiequellen diversifiziert werden, ohne neue Abhängigkeiten zu schaffen. Nach der Umsetzung eines vollständigen Stopps aller Energielieferungen aus Russland, soll eine weitgehende Listung und ein weitgehender Ausschluss aller russischen Banken aus dem internationalen Bankenkommunikationssystem Swift auf den Weg gebracht werden.

Auch soll der weitere Ausbau der Truppenpräsenz der Nato an ihrer Ostflanke, auch durch weitere Soldatinnen und Soldaten der Bundeswehr über die bisher beschlossene Stärkung hinaus, auf den Weg gebracht werden, insbesondere im Baltikum. An russische Soldaten soll zudem der Appell gerichtet werden, die Waffen niederzulegen, und darauf hingewiesen werden, dass ihnen der Weg ins deutsche und europäische Asylverfahren offenstehe. Darüber hinaus soll am Ziel der Herstellung einer europäischen Friedens- und Sicherheitsordnung festgehalten werden, die für alle Staaten gleichermaßen Gültigkeit hat und die Unverletzbarkeit ihrer Grenzen garantiert. (ahe/eis/28.04.2022)