Fraktionsübergreifende Kritik an AfD-Antrag zu Telegram
Der Bundestag hat am Donnerstag, 17. März 2022, einen Antrag der AfD-Fraktion mit dem Titel „Meinungsfreiheit schützen – Keine Zensur von Telegram“ (20/1029) erstmals beraten. Dabei ging es um die Regulierung des Messengerdienstes, der von der Bundesregierung wie ein soziales Netzwerk behandelt wird. Das lehnte die AfD ab. Alle anderen Fraktionen warfen der Fraktion vor, ihren Einsatz für die Meinungsfreiheit nur vorzutäuschen und eine Regulierung verhindern zu wollen, die strafrechtlich relevanten Kanälen ein Ende bereiten könnte. Anschließend wurde der Antrag zur weiteren Beratung an den Rechtsausschuss überwiesen.
AfD sieht Dienst als Problem für die Politik
Die Regierung habe Angst vor der eigenen Bevölkerung sagte die AfD-Abgeordnete Joana Cotar in ihrer Begründung des Antrags. Die Politik scheine sich einig, dass Telegramm gefährlich sei und wegmüsse, wenn sich der Gründer von Telegram, Pavel Durov, nicht den Wünschen der deutschen Regierung beugt. Dieser kenne dieses Vorgehen schon, allerdings nicht von westlichen Demokratien. Dass die Bundesrepublik tatsächlich mit dem Gedanken spiele, sich in die Liste von Staaten wie China, Weißrussland, Russland oder Iran einzureihen, sei eine „Schande für unser Land“.
Cotar verwies darauf, dass Telegram in der Ukraine zu einem der wichtigsten Kommunikationskanäle geworden ist. Das werde auch in Deutschland gelobt. Aber sobald sich die außerparlamentarische Opposition in Deutschland über Telegram organisiere, werde der Dienst zum Problem für die Politik.
SPD: Bei der Menschenwürde hört die Meinungsfreiheit auf
Dr. Zanda Martens (SPD) entgegnete, auch auf digitalen Plattformen wie Telegram gälten die Menschen- und Grundrechte, aber auch das Recht auf freie Meinungsäußerung. Auch systemkritische und für manche gefährliche Meinungen seien auszuhalten. Aber die Freiheit von Meinungen fände ihre Grenze an dem Punkt, wo die menschliche Würde und andere Gesetze verletzt würden. Faschismus und Gewaltfantasien seien keine Meinung, sondern Missbrauch der Meinungsfreiheit. Auf Telegram werde offen zu Hass und Gewalt bis hin zu Mord und Umsturz aufgerufen. Gegen solche kriminellen Taten müsse sich eine Demokratie wehren.
Der Dienst sei ambivalent, sagte Martens. In einer Demokratie könne eine Plattform wir Telegram das gesellschaftliche System schwächen. In Diktaturen und Autokratien bedeuteten sie oft den einzigen Weg einer freien Kommunikation ohne Überwachung und Repression. Der Widerstand der AfD gegen eine Regulierung solle darüber hinwegtäuschen, dass diese den Nährboden für diejenigen Bewegungen entziehen würde, die die AfD als ihre Überlebensgarantie und Vorfeldorganisation dringend brauche.
CDU/CSU fordert Kooperaton der Messenger-Dienste
Für die CDU/CSU-Fraktion erklärte Carsten Müller, das Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) schließe eine Regulierung der Individualkommunikation aus. Die private Kommunikation unterliege hohen Schutzhürden. Maßnahmen wie Netzsperren seien grundrechtswidrige Ansinnen, derer es nicht bedürfe, weil schon heute Hass und Hetze in diesen Kommunikationskanälen bekämpft werden könnten. Es gebe gute Möglichkeiten für eine verfassungskonforme Regulierung und das Problem damit in den Griff zu bekommen. Für die Unionsfraktion stehe es außer Frage, dass von Plattformbetreibern und Messenger-Diensten erwartet werden müsse, dass sie kooperativ mit deutschen Behörden zusammenarbeiten. Wer das verweigere, begebe sich in den Anschein, dass er es mit der Rechtsordnung in diesem Land nicht so genau nimmt, und das könne nicht geduldet werden.
Zum AfD-Antrag sagte er, es sei bezeichnend, dass einer der Antragsteller „innerhalb des Bundestags Nummer-Eins-Propagandist des Kriegsverbrechers Putin“ sei. Dieser erkläre in staatstreuen russischen Medien aktuell unter anderem, dass Deutschland kein Rechtsstaat sei, es keine Demokratie gebe, Meinungen von der regierenden Elite unterdrückt würden und es körperliche Übergriffe auf Andersdenkende gebe. Er sage dies, so Müller, damit man wisse, wer diesen Antrag geschrieben habe. Es sei grotesk, so Müller, dass ausgerechnet eine Fraktion, deren Geschäftsmodell auf Hetze, Hass und Falschinformationen basiere, sich zum Thema Meinungsfreiheit äußere.
Grüne: Antrag alles andere als glaubwürdig
Tabea Rößner (Bündnis 90 /Die Grünen) sagte, der Antrag sei alles andere als glaubwürdig. Die AfD beschimpfe Andersdenkende, hetze gegen Menschengruppen und diskreditiere Journalist:innen und unabhängige Medien. Das, was die AfD unter Meinungsfreiheit verstehe, teile der Großteil des Bundestags und auch der Bevölkerung nicht. Bezugnehmend auf Äußerungen von AfD-Politikern fragte Rößner, in welcher Welt diese eigentlich lebten. Alleine, dass sie solchen Unfug verbreiten könnten, zeige, dass sie ihre Meinung frei äußern könnten. Das sei manchmal schwer zu ertragen, aber das halte die Demokratie aus.
Nach dem Mord an Walter Lübcke, nach Halle und Hanau sei bekannt, dass Worten Taten folgen können. Dies zu verhindern, sei das Grundanliegen des NetzDG. „Man möchte vor Scham in den Boden versinken, wenn sie sich mit den Verfolgten in autoritären Regimen auf eine Stufe stellen, und wenn sie die Regulierung von sozialen Netzwerken als Schritt in die Diktatur anprangern“, sagte Rößner.
Linke: Meinungsfreiheit hat Grenzen
Dr. Petra Sitte (Die Linke) sagte, auch sie habe sich die Augen gerieben, als sich ausgerechnet die AfD mit ihrem Antrag erneut als Kämpferin für die Meinungsfreiheit aufgespielt habe. Die Partei betrachte alles mit Verachtung, was nicht in ihr übles Weltbild passe, sagte Sitte. Es sei das Verständnis der AfD von Meinungsfreiheit, das Mordanschläge begünstige.
Die AfD leugne wider besseren Wissens in ihrem Antrag diese Zusammenhänge und verstehe unter Meinungsfreiheit die Freiheit zu hetzen, Unwahrheiten zu verbreiten, zu Gewalt und Hass aufzurufen. Aber Meinungsfreiheit habe Grenzen und dies erfordere eine gesetzliche Regulierung auch von Plattformen wie Telegram. Man müsse aber auch zur Kenntnis nehmen, welche Rolle Telegram in der Ukraine und in Russland spiele.
FDP: Internet ist kein rechtsfreier Raum
Dr. Thorsten Lieb (FDP) sagte, der AfD gehe es mit ihrem Antrag gar nicht um Meinungsfreiheit und auch nicht um Telegram. Der Antrag sei getrieben von der Angst der AfD, dass rechtsstaatliche Prinzipien auf einer liebgewordenen Plattform endlich Einzug halten, damit auch dort Hass und Hetze rechtswirksam bekämpft werden und auch Persönlichkeitsrechte durchgesetzt werden können. Die AfD träume offenbar immer noch vom Internet als rechtsfreiem Raum. Das sei abwegig. Es könne keinen Zweifel daran geben, das Telegram ein soziales Netzwerk im Sinne des NetzDG sei.
Lieb begrüßte die diesbezüglichen Aktivitäten von Bundesjustizministerium und Innenministerium. Dies habe nichts mit Zensur oder Überwachung zu tun. Es gehe um nicht mehr und nicht weniger als die Einhaltung geltenden Rechts durch diese Plattform. „Bei dieser Koalition ist die Meinungsfreiheit in allerbesten Händen“, sagte Lieb.
Bundesregierung hat Ansprechpartner bei Telegram
Bundesinnenministerin Nancy Faeser (SPD) hatte am Mittwoch im Plenum des Bundestags mitgeteilt, Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) habe ein offizielles Verfahren gegen Telegram eingeleitet, was nach dem NetzDG möglich sei. Der öffentliche Druck sei so sehr erhöht worden, dass sich Telegram im Innenministerium gemeldet habe und es nun einen deutschsprachigen Ansprechpartner gebe, der auf ein Löschgesuch die betroffenen Seiten gelöscht habe. Das sei ein großer Erfolg der Bundesregierung. Im Februar hatte Faeser ebenfalls im Bundestag erklärt, von 68 gemeldeten zu löschenden Seiten seien 64 gelöscht worden.
Telegram ist ein kostenloser, vor allem für den Austausch von Nachrichten, Fotos, Videos und Dokumente von Russen entwickelter Instant-Messaging-Dienst. Er soll rund 500 Millionen Nutzer weltweit haben. Der Dienst läuft über eine Smartphone-App, lässt sich aber auch auf einem Computer nutzen. Zusätzlich zu öffentlichen Cloud-basierten Chats können sogenannte Geheime Chats geführt werden. Die Basis des Entwicklerteams befindet sich nach Eigenangaben in Dubai.
Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion wendet sich gegen eine Regulierung des Messengerdienstes Telegram. In ihrem Antrag fordert sie die Bundesregierung unter anderem dazu auf, „von jeglichen Aktivitäten Abstand zu nehmen, die das Ziel haben, den Messengerdienst Telegram in Deutschland zu verbieten beziehungsweise ihn im Zuge einer Netzsperre für deutsche Nutzer unerreichbar zu machen“. Weiter solle die Bundesregierung beispielsweise davon Abstand nehmen, den Dienst über das deutsche Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG) regulieren zu wollen und davon, „mit Drohungen einer wie auch immer durchzusetzenden Netzsperre des Dienstes Telegram ein politisch korrektes Verhalten erzwingen zu wollen“.
Nach Darstellung der Fraktion hat Telegram in Deutschland „in der jüngeren Zeit die Aufmerksamkeit von Politik und Strafverfolgung auf sich gezogen, weil darauf Aufrufe zur Gewalt gegen einzelne Politiker veröffentlicht wurden“. Zwei Bußgeldverfahren des Bundesinnenministeriums seien anhängig, die Bundesinnesinnenministerin spreche davon, „den Druck auf den Messengerdienst hochhalten zu wollen“. Zudem habe die Bundesregierung mehrfach angekündigt, „den Dienst Telegram regulieren und seine Nutzung erschweren zu wollen“. Der Bundesjustizminister wolle weiterhin das NetzDG, „das zur Regulierung von Social Media-Plattformen verabschiedet wurde und nach Auffassung der Antragsteller ohnehin als verfassungswidrig angesehen werden muss“, zur Regulierung des Dienstes anwenden, kritisiert die Fraktion.
„Rechtswidrig und unverhältnismäßig“
Nach Auffassung der AfD-Fraktion sind die angekündigten Maßnahmen der Bundesregierung gegenüber „einem Messengerdienst zur privaten Kommunikation ... rechtswidrig und unverhältnismäßig“. „Sie diskreditieren die übergroße Mehrheit der Telegram-Nutzer, die ihn wegen seines Komforts, seiner Sicherheit, seiner Stabilität und seiner Geschwindigkeit für die vernetzte Kommunikation auf ihren mobilen Endgeräten nutzen“, schreibt die Fraktion, die zudem anführt, dass die Maßnahmen auch im Widerspruch zu einem Urteils des Europäischen Gerichtshofes für Menschenrechte stünden, „nach dem pauschale politische Blockaden von Webseiten und Internetdiensten gegen die Meinungsfreiheit verstoßen“.
Zur Verfolgung möglicher Straftaten schlägt die Fraktion vor, die „Mittel des Rechtsstaates“ zu verbessern. Dafür sei „speziell dafür zu sorgen, dass mehr Polizisten und Staatsanwälte eingestellt und auf der Basis eines festen anti-totalitären Wertefundaments gesondert geschult werden, um einschlägige Diskussionsgruppen auf Telegram und anderen Messengerdiensten genauer beobachten und im Bedarfsfall dagegen vorgehen zu können“. (mwo/scr/17.03.2022)