Kontroverse Impfpflicht-Debatte mit ersten Vorschlägen
In der Orientierungsdebatte zur allgemeinen Impfpflicht haben Abgeordnete mehrere mögliche Umsetzungsvarianten ins Spiel gebracht. In einer streckenweise kontroversen und von gegenseitigen Vorwürfen geprägten Debatte sprachen sich verschiedene Redner am Mittwoch, 26. Januar 2022, im Bundestag dafür aus, die Impflicht auf Erwachsene zu begrenzen. Ein anderer Vorschlag sieht mehr Aufklärung und eine Impfpflicht für über 50-Jährige vor.
Einige Abgeordnete haben sich noch nicht entschieden
In der Aussprache meldeten sich auch Abgeordnete zu Wort, die aus unterschiedlichen Gründen eine allgemeine Impfpflicht ablehnen. Die AfD-Fraktion legte bereits einen Antrag gegen die Impfplicht vor. Einige Redner räumten ein, sie hätten sich noch nicht entschieden und seien an einem konstruktiven Austausch der Argumente interessiert.
Im Dezember 2021 hatte der Bundestag bereits eine sogenannte einrichtungsbezogene Impfpflicht beschlossen, die ab Mitte März 2022 greift. Diese Impfpflicht gilt etwa für Beschäftigte in Gesundheits- und Pflegeeinrichtungen. Die AfD-Fraktion stellt auch diese Regelung grundsätzlich infrage. Bereits seit März 2020 gilt in Deutschland außerdem eine indirekte Impfpflicht gegen Masern für Kinder vor Eintritt in Kitas oder Schulen sowie für Personal in Gemeinschaftseinrichtungen.
Gruppenanträge von Abgeordneten werden erwartet
Die Abgeordneten sollen in der sensiblen Frage der Impfpflicht ohne Fraktionszwang entscheiden dürfen. Die Ampelregierung aus SPD, Grünen und FDP hat keinen eigenen Gesetzesvorschlag vorgelegt, dafür werden konkurrierende Gruppenanträge von Abgeordneten mit unterschiedlicher Zielsetzung erwartet, die nach der Orientierungsdebatte vorgelegt werden sollen. Eine Entscheidung könnte dann im März fallen.
Die alte Bundesregierung aus Union und SPD hatte stets versichert, es werde in der Corona-Krise keine Impfpflicht geben. Der Kurswechsel wird nun damit begründet, dass die Impfkampagne weniger erfolgreich verlaufen ist als erhofft und nicht ausreicht, um das Virus dauerhaft einzudämmen. Zudem könnten neue, gefährliche Mutanten einen weiteren Lockdown nötig machen.
Bas: Die Menschen erwarten von uns Orientierung
In der Orientierungsdebatte hatten insgesamt 44 Abgeordnete die Gelegenheit, ihre Sicht in der Frage der Impfpflicht und zur Entwicklung der Corona-Krise darzulegen. Eingangs äußerte sich auch Bundestagspräsidentin Bärbel Bas (SPD), die auf die Bedeutung und Tragweite der Beratung hinwies. Das Land befinde sich in einer kritischen Phase, sagte sie mit Blick auf die hohen Infektionszahlen. Viele Menschen seien erschöpft, „und wir alle wünschen uns eine möglichst schnelle Rückkehr zu einem normalen Alltag“.
Bas betonte: „Eine Impfpflicht wirft fachlich schwierige und rechtlich wie ethisch kontroverse Fragen auf. Sie zwingt uns zu komplexen Abwägungen.“ Die Orientierungsdebatte diene dem Austausch der Argumente, Bedenken und Einwände. Sie appellierte an die Abgeordneten: „Bedenken wir dabei, dass die Menschen in dieser angespannten Zeit von uns vor allem Orientierung erwarten.“ Sie wünsche sich eine faire, respektvolle und konstruktive Debatte.
Schmidt: Der Weg aus der Pandemie heißt impfen
Dagmar Schmidt (SPD) plädierte in ihrer Rede für eine allgemeine Impfpflicht. Drei Impfungen böten einen guten Schutz. In die Impfpflicht einbezogen werden sollten alle Bürger ab 18 Jahren mit Ausnahmen für Menschen, die sich aus medizinischen Gründen nicht impfen lassen könnten.
Sinnvoll seien eine Nachweispflicht und Bußgelder, bei denen aber Verhältnismäßigkeit gewahrt werden sollte. Schmidt betonte: „Wir haben einen Weg aus der Pandemie, der heißt impfen.“
Sorge: Boostern ohne Ende kann nicht die Option sein
Tino Sorge (CDU/CSU) erneuerte wie andere Unionspolitiker den Vorwurf an die Bundesregierung, keinen eigenen Vorschlag für eine allgemeine Impfpflicht vorzulegen. Weder der Kanzler noch der Gesundheitsminister gäben eine Richtung vor. Das erinnere an ein Versteckspiel. Die Orientierungsdebatte sei zu begrüßen, allerdings hätte die Regierung schon längst auf wichtige Fragen antworten müssen. Sorge sagte, die Gesundheitskrise habe historische Ausmaße, und Impfen sei der Weg aus der Pandemie. Die Frage sei nur, wie die Impfpflicht eigentlich genau aussehen solle.
Bei der Ausgestaltung der Impfpflicht müssten fachliche Bedenken ebenso berücksichtigt werden wie verfassungsrechtliche Fragen. Es gebe zahlreiche offene Fragen, sagte Sorge und fügte in Anspielung auf die nachlassende Wirkung von Impfstoffen hinzu: „Boostern ohne Ende kann nicht die Option sein.“ Er fordert eine bessere Datengrundlage und differenzierte statt pauschale Lösungen. Pragmatismus sei auch besser als Panik.
Kappert-Gonther: Bestehende Impflücken schließen
Dr. Kirsten Kappert-Gonther (Bündnis 90/Die Grünen) warb für die Impfpflicht und begründete dies mit den medizinischen und gesellschaftlichen Verwerfungen. „Uns eint, dass wir die Pandemie überwinden wollen.“ Impfen sei der Schlüssel dafür, die Überlastung des Gesundheitssystems zu vermeiden. Dafür müsse die Impfquote aber höher werden. „Wir stehen in der Verantwortung, die bestehenden Impflücken zu schließen.“
Daher halte sie die Einführung der allgemeinen Impfpflicht ab 18 Jahre für richtig, wobei eine Verantwortung in doppelter Hinsicht gelte: Bürger müssten sich impfen lassen, und der Staat müsse jedem ein Angebot machen. So gingen Pflicht und Recht Hand in Hand, sagte die Grünen-Politikerin. Die Impfpflicht auf über 50-Jährige zu begrenzen, mache keinen Sinn, es gebe auch Risiken für jüngere Jahrgänge. Mit einer Altersbegrenzung würde ein falsches Signal gesetzt. Eine klare staatliche Regel, die für alle gelte, könne eine gesellschaftliche Befriedung bringen.
Chrupalla: AfD lehnt die Impfpflicht vollständig ab
Tino Chrupalla (AfD) zeichnete erneut ein düsteres Bild der aktuellen Lage und wandte sich gegen immer neue Einschränkungen und Verbote. Die Regierung versuche, ihre autoritären Bestrebungen durch das Parlament zu bringen. Impfstoffe hätten schon fast eine religiöse Stellung.
Wer nicht daran glaube, werde ausgeschlossen, das passiere sogar im Bundestag, wenn Parlamentarier an Ausschusssitzungen teilnehmen wollten. Der Genesenenstatus sei willkürlich verkürzt worden. Chrupalla betonte, seine Fraktion lehne die Impfpflicht vollständig ab, auch die für Berufsgruppen.
Buschmann: Mildere Alternativen prüfen
Dr. Marco Buschmann (FDP) hielt der AfD vor, mit wüsten Beschimpfungen statt konstruktiven Ideen keinen Beitrag zur Lösung der Probleme zu bringen. Er bedankte sich bei den anderen Fraktionen, das Format der Orientierungsdebatte ermöglicht zu haben. Nun könne jeder Abgeordnete frei seine Bedenken und Sorgen anbringen. „Es gilt eben nicht die Logik der Macht, sondern die Logik des Arguments.“
Buschmann ging in seiner Rede auf die komplexen rechtlichen Fragestellungen ein und forderte eine sorgfältige Abwägung. Es müsse immer wieder die Frage beantwortet werden, ob ein milderes Mittel als das in Aussicht genommene zur Verfügung stehe. Wenn der Expertenrat sage, dass über 50-Jährige die größte Sorge seien, müsse als mildere Alternative eine altersgestufte Impfpflicht ernst genommen werden. Wenn effektive Medikamente gegen Covid-19 zur Verfügung stünden, sei auch das womöglich eine Alternative. Er selbst traue sich noch keine abschließende Meinung zu, plädiere aber dafür, mildere Alternativen zu prüfen.
Vogler: Risiken werden massiv unterschätzt
Nach Ansicht von Kathrin Vogler (Die Linke) wäre eine Durchseuchungsstrategie unethisch. Der Staat müsse seine Bürger schützen. Sie sprach von einer teilweise völlig verzerrten Risikowahrnehmung in der Bevölkerung. So würden Risiken massiv unterschätzt. Dafür fürchteten manche Menschen sich vor sicheren Impfstoffen.
Der alten Bundesregierung hielt sie vor, nicht vorausschauend agiert zu haben. Zudem mangele es an Aufklärung der Bevölkerung über den Nutzen der Impfung. Vogler betonte: „Ohne Solidarität werden wir den Weg aus der Pandemie nicht finden.“ Eine Impfpflicht könne geboten sein, den Bürgern müsste dann aber die Pflicht so leicht wie möglich gemacht werden.
Baehrens: Befristete Impfpflicht für Erwachsene sinnvoll
Heike Baehrens (SPD) stellte klar: „Es gibt nur einen Gegner in der Pandemie und das ist das Virus.“ Sie werbe dafür, sich angesichts einer ungewissen Zukunft für eine bewusste Vorsorge zu entscheiden. Zwar ändere sich der Wissensstand ständig, es gebe aber die Gewissheit, dass Impfen schütze. Sie warnte davor, zu glauben, dass die jetzige Omikron-Welle die letzte in der Pandemie sei und forderte, einen dritten unvorbereiteten Pandemie-Herbst dürfe es nicht geben.
Darum sei eine allgemeine Impfpflicht für Erwachsene, befristet und mit freier Impfstoffwahl sinnvoll. Jetzt sei eine mutige Weichenstellung nötig, um vor die Welle zu kommen. Eine allgemeine Impfpflicht ab 18 Jahren würde die Botschaft aussenden, dass alle füreinander in der Verantwortung stünden.
Lindholz: Impfregister unverzüglich auf den Weg bringen
Andrea Lindholz (CDU/CSU) hielt der Regierung Tatenlosigkeit vor und mahnte, es müsse Vorsorge getroffen werden für den Ernstfall weiterer Corona-Varianten. Eine Impfpflicht könne nötig sein, um die Überforderung des Gesundheitssystems zu verhindern, es seien aber mehr Daten und Fakten zur Umsetzbarkeit erforderlich.
Die Bundesregierung müsse unverzüglich ein Impfregister auf den Weg zu bringen. Lindholz forderte: „Packen Sie endlich an.“
Weidel: Impfpflicht ist ein autoritärer Amoklauf
Dr. Alice Weidel (AfD) wandte sich in scharfer Form gegen die Impfplicht, die „ein autoritärer Amoklauf“ gegen die Grundfesten der demokratischen Grundordnung sei. „Wenn der Staat sich anmaßt, über den Körper seiner Bürger zu entscheiden, ist das ein elementarer Zivilisationsbruch.“ Für eine Impfpflicht, für alle oder für bestimmte Gruppen, gebe es keine Rechtfertigung, weder medizinisch noch ethisch oder juristisch. Menschen zu einer Impfung nötigen zu wollen, sei eine unerhörte Grenzüberschreitung.
Die geplante Impfplicht sei verfassungswidrig und auch praktisch nicht umsetzbar, sagte Weidel voraus. „Wie wollen Sie eigentlich Millionen von Bürgern, die sich nicht impfen lassen wollen, zu einer Impfung zwingen?“ Sie kritisierte, dass eine Impfpflicht zunächst ausgeschlossen worden sei und nun doch kommen solle. Dies sei „ein gigantischer Wählerbetrug und skandalöser Vertrauensbruch“. Jeder müsse frei entscheiden können, ob er sich durch Impfung schützen wolle oder nicht.
Kubicki: Impfung als befreiendes Gefühl erlebt
Wolfgang Kubicki (FDP) berichtete, er habe sich bewusst für die Impfung entschieden und dies als befreiendes Gefühl erlebt. Die Frage sei, wie die Wirkung ausfalle, wenn jemand gegen seinen Willen geimpft werde. Die Gründe, sich nicht impfen zu lassen, könnten vielfältig sein. Die Impfung sei sicher vernünftig.
Seiner Ansicht nach sollte jedoch eine Mehrheit nicht für eine Minderheit entscheiden, was vernünftig sei. Die geplante Impfpflicht überzeuge ihn nicht, zumal als ein Argument auf eine noch nicht existierende mögliche Mutante verwiesen werde, die mit einem noch nicht verfügbaren Impfstoff bekämpft werden solle.
Birkwald: Impfpflicht ist eine autoritäre Illusion
Auch Matthias W. Birkwald (Die Linke) hob auf die freie Entscheidung der Menschen ab. Er selbst sei vollständig geimpft und habe dabei eine individuelle Risikoabwägung vorgenommen. Er halte diese freie Entscheidung für den richtigen Weg. Eine Impfung sollte selbstbestimmt nach individuellen Chancen und Risiken entschieden werden und nicht durch eine Pflicht. Er gab außerdem zu bedenken, dass bei geforderten Bußgeldern die Reichen wieder im Vorteil wären.
Birkwald sagte, die Impfpflicht sei eine „autoritäre Illusion“. Es sei besser, Menschen zu überzeugen.
Ullmann: Das Virus nicht gewähren lassen
Prof. Dr. Andrew Ullmann (FDP) warb für ein abgestuftes Konzept und erinnerte daran, dass die Möglichkeit der Impfung ein Privileg sei. Die schnelle Entwicklung des Corona-Impfstoffes sei eine der größten Leistungen der Medizin in den vergangenen hundert Jahren. Das Ziel sei jetzt die schnellstmögliche Rückkehr in den „freiheitlichen Normalzustand“. Die natürliche Durchseuchung sei gefährlich. „Als Arzt schließe ich aus, das Virus gewähren zu lassen.“
Zunächst sollte alles versucht werden, um die Bürger zu überzeugen, sagte Ullmann. Daher schlage er ein verpflichtendes Aufklärungsgespräch vor. Es gebe viele Ungeimpfte, die noch überzeugt werden könnten. Sollte die nötige Impfquote dann nicht erreicht werden, wäre er für einen Impfnachweis ab 50 Jahren. Das wäre milder als ein staatlicher Eingriff ab 18 Jahren. Es sei besser, jetzt zu handeln als künftig wieder Freiheitseinschränkungen in Kauf zu nehmen. (pk/26.01.2022)