Bundestag streitet heftig über neue Corona-Schutzvorkehrungen
Die Corona-Strategie der künftigen Ampel-Koalitionäre ist im Bundestag weiterhin heftig umstritten. In der ersten Beratung über den Gesetzentwurf von SPD, Bündnis 90/Die Grünen und FDP zur Stärkung der Impfprävention gegen Covid-19 und zur Änderung weiterer Vorschriften im Zusammenhang mit der Covid-19-Pandemie (20/188) warfen Union, AfD und Linke der neuen Koalition am Dienstag, 7. Dezember 2021, vor, nicht entschlossen genug und mit fragwürdigen Mitteln gegen die steigenden Infektionszahlen vorgehen zu wollen. Die geplante Impfpflicht für die Gesundheits- und Pflegeberufe stieß insbesondere bei AfD und Linken auf erhebliche Vorbehalte. Die Vorlage wurde zur weiteren Beratung in den Hauptausschuss überwiesen. Der Gesetzentwurf soll am Freitag, 10. Dezember, im Bundestag verabschiedet werden.
Gesetzentwurf von SPD, Grünen und FDP
Die neue Koalition plant eine Impfpflicht für bestimmte Berufsgruppen und begründet dies mit dem besonderen Schutzbedürfnis sogenannter vulnerabler Gruppen. Dem Personal in Gesundheitsberufen und Berufen, die Pflegebedürftige und Menschen mit Behinderungen betreuen, komme eine besondere Verantwortung zu, da es intensiven und engen Kontakt zu Personengruppen mit einem hohen Infektionsrisiko für einen schweren oder tödlichen Krankheitsverlauf habe, heißt es in dem Gesetzentwurf. Ein verlässlicher Schutz vor dem Coronavirus durch eine sehr hohe Impfquote beim Personal in diesen Berufen sei wichtig.
Zum Schutz vulnerabler Gruppen müssten daher in bestimmten Einrichtungen und Unternehmen tätige Personen geimpft oder genesen sein oder ein ärztliches Zeugnis über das Bestehen einer Kontraindikation gegen eine Covid-Impfung haben.
Impf- oder Genesenennachweis ab Mitte März
Für bestehende und bis zum 15. März 2022 einzugehende Tätigkeiten sei die Vorlagepflicht bis zum 15. März 2022 zu erfüllen. Neue Arbeitsverhältnisse können ab dem 16. März 2022 in diesen Einrichtungen nur bei Vorlage eines entsprechenden Nachweises eingegangen werden.
Bei Zweifeln an der Echtheit des Nachweises kann das Gesundheitsamt Ermittlungen einleiten und einer Person, die keinen Nachweis vorlegt, die Tätigkeit in einer solchen Einrichtung oder einem Unternehmen untersagen.
Erweiterung des Kreises der Impfberechtigten
Um die Auffrischungsimpfungen zu beschleunigen, sollen dem Gesetzentwurf zufolge auch Zahnärzte, Tierärzte und Apotheker vorübergehend Impfungen gegen das Coronavirus verabreichen dürfen, sofern sie entsprechend geschult sind. Die einrichtungsbezogene Impfpflicht sowie der erweiterte Kreis der Impfberechtigten soll evaluiert werden.
Für in der Corona-Krise besonders belastete Krankenhäuser ist kurzfristig ein finanzieller Ausgleich vorgesehen. Damit sollen finanzielle Folgen und Liquiditätsengpässe für Krankenhäuser, die planbare Aufnahmen, Operationen und Eingriffe verschoben oder ausgesetzt haben, vermieden werden. In Krankenhäusern, die Corona-Patienten behandeln, wird zudem die Einhaltung bestimmter Mindestmerkmale aus dem Operationen- und Prozedurenschlüssel (OPS) vorübergehend von der Abrechnungsprüfung ausgenommen.
Weitere Regelungen
Ferner werden die Ende Juni 2021 ausgelaufenen pandemiebedingten Sonderregelungen für virtuelle Versammlungen, etwa Betriebsversammlungen, bis zum 19. März 2022 wieder eingeführt. Sie können einmal verlängert werden. Auch soll die Übergangsregelung zu den Mehrbedarfen für gemeinschaftliche Mittagsverpflegung in Werkstätten bis zum 31. März 2022 verlängert werden.
Schließlich sollen die Sonderregelungen zur Gewährleistung der Handlungsfähigkeit etwa für Rechtsanwaltskammern, Notarkammern und Wirtschaftsprüferkammern bis zum 30. Juni 2022 verlängert werden.
SPD: Lage ist sehr besorgniserregend
Sabine Dittmar (SPD) wertete die Gesetzesänderung als Beleg für die Entschlossenheit der neuen Koalition, die Pandemie effektiv zu bekämpfen. Die Koalition sei bereit, mit Verantwortung und Augenmaß alle nötigen Schritte zu gehen. Sie erinnerte zudem daran, dass die Länder um mehr Klarstellungen im Infektionsschutzgesetz gebeten hätten.
Dittmar betonte: „Die Lage ist nach wie vor sehr besorgniserregend.“ Viele Patienten würden auf Intensivstationen betreut, viele der Patienten hätten sich dieses Schicksal mit einer Impfung ersparen können. Dittmar äußerte sich besorgt über die Dynamik der Omikron-Variante. Es sei daher gut, dass sich Bund und Länder auf bundesweite Kontaktbeschränkungen und den Verzicht auf Großveranstaltungen geeinigt hätten.
Mit dem Gesetz werde auch klargestellt, dass Clubs und Diskotheken sowie die Gastronomie geschlossen werden könnten. Die SPD-Politikerin räumte ein, dass die Impfpflicht für bestimmte Beschäftigte ein Eingriff in die körperliche Unversehrtheit sei. Die vulnerablen Gruppen müssten sich aber auf Hilfe verlassen können und darauf, dass ihnen keine Gefahr drohe. Aus epidemiologischer, ethischer und moralischer Sicht sei eine hohe Impfquote in den betroffenen Einrichtungen unabdingbar.
Grüne appellieren an Gemeinsamkeiten
Maria Klein-Schmeink (Bündnis 90/Die Grünen) appellierte insbesondere an die Union, in dieser Krise das gemeinsame Ziel nicht aus den Augen zu verlieren. Die neuen Partner hätten versucht, in dieser schwierigen Situation passende Antworten zu finden. Es sei enttäuschend, wenn die Union jetzt von Versäumnissen rede und nicht davon, was gemeinsam verbessert werden könnte. Sie verwies auf die aktuell langen Wartezeiten für Impfungen.
Mit der neuen Omikron-Variante seien zudem Unwägbarkeiten verbunden. So sei noch unklar, ob die Mutante zu schwereren Erkrankungen führen könne oder ob die verfügbaren Impfstoffe gegen Omikron ausreichend wirkten. Klein-Schmeink mahnte: „Wir brauchen hier Gemeinsamkeiten, um das zu bewältigen.“ Wenn das nicht gelinge, drohe das Land von einer neuen Welle überrollt zu werden. Sie fügte hinzu: „Wir sind willens, da zu korrigieren, wo wir korrigieren müssen.“
FDP: Aktuelle Situation zwingt zum Handeln
Christine Aschenberg-Dugnus (FDP) sagte, die aktuelle Situation sei ernst und zwinge zum Handeln. Die neue Koalition habe eine Nachschärfung angekündigt, falls es nötig sei.
Sie kritisierte, die Länder hätten die möglichen Auflagen schon konsequenter anwenden können. Nun hätten sich die Länder auf einen gemeinsamen Weg geeinigt, es gebe ein geordnetes parlamentarisches Verfahren. Anders als öfter dargestellt, könne das Parlament schnell reagieren. Einschnitte in das Leben der Bürger gehörten in das Parlament, nur so werde Akzeptanz erreicht.
Die FDP-Politikerin mahnte, eine neuerliche Schließung von Schulen und Kitas zulasten der Kinder müsse ausgeschlossen werden. Sie fügte hinzu, Impfen sei der einzige Weg aus der Pandemie. Gegen die Omikron-Variante biete Boostern den besten Schutz. Sie verteidigte auch die geplante Impfpflicht in Gesundheitseinrichtungen. Corona-Ausbrüche insbesondere dort hätten katastrophale Folgen.
CDU/CSU: Sie legen erneut ein Reparaturgesetz vor
Nach Ansicht der Unionsfraktion hätte die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite verlängert werden müssen. Die Länder hätten mit der jetzigen Rechtsgrundlage weniger Instrumente im Kampf gegen die Pandemie zur Verfügung, erklärten Redner von CDU und CSU.
Der CSU-Abgeordnete Stephan Stracke kritisierte, zum zweiten Mal innerhalb kurzer Zeit werde nun das Infektionsschutzgesetz nachgebessert: „Sie legen erneut ein Raparaturgesetz vor.“ Es würden Lücken geschlossen, die von der neuen Koalition selbst aufgerissen worden seien. „Sie handeln zu spät, und Sie handeln zu wenig.“
Das Mittel der Wahl sei und bleibe die Feststellung der epidemische Notlage, betonte Stracke und verwies auf die kritische Lage in den Intensivstationen. Dies habe Auswirkungen auch auf die Gesundheitsversorgung der anderen Notfallpatienten. Die neue Rechtslage sei uneinheitlich und verwirrend, auch wegen der vielen unterschiedlichen Fristen. Der Gesetzentwurf gehe zwar insgesamt in die richtige Richtung, greife aber zu kurz.
Linke: Planlosigkeit hat neuen Höhepunkt erreicht
Auch Susanne Ferschl (Die Linke) rügte, die Planlosigkeit habe einen neuen Höhepunkt erreicht. Die alte Regierung habe schon komplett versagt. Nunmehr wolle die neue Koalition die Kompetenzen der Länder erst beschneiden und dann wieder erweitern. Das Vorgehen bei der geplanten Impfpflicht sei außerdem inakzeptabel. Es gehe immerhin um Grundrechte und Grundwerte. Der Grundrechtseingriff solle nun in einem Schnellverfahren verabschiedet werden statt in einem geordneten Verfahren.
Eine solche Impfpflicht müsse jedoch diskutiert und die Ausgestaltung sorgsam erwogen werden. Ferschl erinnerte daran, dass viele Beschäftigte gerade in der Pflege am Limit seine und ein Signal benötigten, dass die Bundesregierung dies auch verstanden habe. Die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung in der Pflege müssten dauerhaft besser werden.
AfD: Eine unerhörte Grenzüberschreitung
Die AfD warf der alten und neuen Koalition vor, die Interessen der Bürger zu missachten. Dr. Alice Weidel (AfD) sagte: „Dieses Gesetz ist eine unerhörte Grenzüberschreitung.“ Es sei „hastig hingepfuscht“, um Grundrechtseinschränkungen umsetzen. Damit werde die ungute Tradition der Vorgängerregierung fortgeführt. Sie warf insbesondere der SPD-Spitze vor, selbstherrlich zu agieren und dabei Verfassungsgrenzen zu überschreiten. „Es sind die Grundrechte der Bürger, die Sie wie einen lästigen Klotz am Bein abschütteln wollen.“
Die abermalige Verschärfung des Infektionsschutzgesetzes sei „ein epochaler Wortbruch und Wahlbetrug“, sagte Weidel mit Blick auf die Impfpflicht. Die FDP habe vor der Wahl erklärt, eine Impfpflicht wäre nicht verhältnismäßig, nun behaupte die Partei das Gegenteil. Das Grundrecht auf körperliche Unversehrtheit werde mit Füßen getreten. Die Impfpflicht sei zudem ein Schlag ins Gesicht der Menschen, die jetzt kaltschnäuzig aus dem Beruf gedrängt würden. Dies sei ein Skandal. Der Pflegenotstand werde damit nur verschärft.
Künftiger Gesundheitsminister schließt Lockdown nicht aus
Auch der designierte Bundesgesundheitsminister Prof. Dr. Karl Lauterbach (SPD) meldete sich in der Debatte kurz zu Wort und mahnte ein besonnenes und vorausschauendes Vorgehen an. Der SPD-Politiker wollte einen Lockdown nicht ausschließen, falls es zu einer weiteren Zuspitzung der Lage käme. Der Bundestag überwies den Gesetzentwurf zusammen mit drei Anträgen der AfD-Fraktion (20/192, 20/193, 20/195) zur Beratung an den Hauptausschuss.
Vor der Aussprache hatten die Abgeordneten beschlossen, für die Beratung des Gesetzentwurfs von der Drei-Tages-Frist abzuweichen. Die Geschäftsordnung des Bundestages sieht vor, dass Beratungen der Vorlagen frühestens am dritten Tag nach Verteilung der Drucksachen beginnen. Für die Abweichung war eine Mehrheit von zwei Dritteln der anwesenden Mitglieder erforderlich. Linke und AfD stimmten gegen die Verkürzung der Frist. Darüber hinaus entschied der Bundestag gegen die Stimmen der AfD, die bisher geltende Maskenpflicht im Plenarsaal und auf den Tribünen um eine Maskenpflicht am Platz zu erweitern.
Erster Antrag der AfD
In ihrem ersten Antrag fordert die AfD, die Bundesregierung solle einen Gesetzentwurf einbringen oder per Verordnung regeln, dass eine „direkte sowie eine indirekte Pflicht zur Impfung gegen Covid-19 unzulässig“ sei (20/192). Die Entscheidung für oder gegen eine Impfung müsse „freiwillig, also ohne jeden Druck, nach ausführlicher Aufklärung über mögliche Nebenwirkungen und reiflicher individueller Nutzen-Risikoabwägung“ erfolgen, so die Antragsteller.
Die Einführung einer generellen Impfpflicht würde die Schaffung einer gesetzlichen Grundlage erfordern, die mit dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit vereinbar sein müsste, heißt es in dem Antrag weiter. Um verhältnismäßig zu sein, müsse eine Maßnahme „geeignet, erforderlich und angemessen“ sein, was aus Sicht der AfD-Abgeordneten derzeit nicht erfüllt ist.
Zweiter Antrag der AfD
Von der Bundesregierung verlangt die AfD außerdem, einen Gesetzentwurf einzubringen oder per Verordnung zu regeln, dass „wochengenau bundesweit Patientendaten erfasst und unverzüglich veröffentlicht“ werden (20/193). Nach dem Willen der Fraktion sollen die Daten unter anderem Auskunft darüber geben, wie viele der Corona-Intensivpatienten und der Corona-Toten ungeimpft beziehungsweise geimpft seien. Außerdem solle zum Beispiel die Art und Häufigkeit von Impfnebenwirkungen erfasst werden.
Eine solche Datengrundlage sei notwendig, um über Corona-Maßnahmen und deren möglichen Umfang diskutieren und entscheiden zu können, so die Antragsteller. Die bislang vorliegende Patientendatenbasis sei unzureichend und müsse „umgehend und umfassend“ überarbeitet und erweitert werden.
Dritter Antrag der AfD
In ihrem dritten Antrag fordert die AfD, die Bundesregierung müsse sicherstellen, dass niemand „politisch, sozial oder auf andere Weise unter Druck gesetzt oder diskriminiert werde“, weil er sich „aufgrund von möglichen Gesundheitsrisiken oder weil er es nicht möchte“ nicht gegen Corona habe impfen lassen (20/195). Darüber hinaus solle die Regierung erklären, dass es keine gesetzliche Impflicht geben werde.
Wie die Abgeordneten in ihrem Antrag schreiben, ist es Aufgabe des Staates, die Freiwilligkeit der individuellen Impfentscheidung zu gewährleisten. Aus Sicht der AfD könne eine Impfentscheidung jedoch bereits dann nicht mehr als freiwillig bezeichnet werden, wenn an die Ablehnung der Impfung „zwar keine staatlichen Zwangsmittel, aber sonstige gewichtige gesellschaftliche oder rechtliche Nachteile geknüpft“ würden. Eine „unfreiwillige, weil indirekt erzwungene Impfung“ greife unmittelbar in das Recht auf körperliche Unversehrtheit und das allgemeine Persönlichkeitsrecht ein, so die Antragsteller. (pk/irs/vom/07.12.2021)