Folgeregelungen anlässlich der Aufhebung der epidemischen Lage beraten
Vor dem Hintergrund der dramatisch zugespitzten Infektionslage hat der Bundestag am Donnerstag, 11. November 2021, erneut über Wege aus der Corona-Pandemie beraten. Die Abgeordneten befassten sich dabei erstmals mit einem Gesetzentwurf von SPD, Grünen und FDP (20/15) zur Änderung des Infektionsschutzgesetzes (IfSG). Die möglicherweise künftigen Koalitionäre wollen die Rechtsgrundlage für Einschränkungen in der Corona-Krise ändern und dafür die Feststellung der epidemischen Lage von nationaler Tragweite am 25. November auslaufen lassen.
Die Vorlage wurde nach der Beratung zusammen mit einem Gesetzentwurf der CDU/CSU-Fraktion zur Verbesserung des Schutzes vor Impfpassfälschungen (20/27) in den zuvor eingesetzten Hauptausschuss überwiesen.
Bundesweit einheitlicher Maßnahmenkatalog geplant
Geplant ist die Einfügung eines bundeseinheitlich anwendbaren Katalogs möglicher Schutzvorkehrungen in Paragraf 28a IfSG. Damit soll es möglich sein, je nach Entwicklung der Lage erforderliche Schutzvorkehrungen zu ergreifen. In Paragraf 28a, Absatz 7 IfSG werden die Schutzvorkehrungen benannt, die bundesweit bis zum 19. März 2022 unabhängig von der festgestellten epidemischen Notlage ergriffen werden können.
Genannt werden die Anordnung eines Abstandsgebots, die Maskenpflicht, die Vorlage von Impf-, Genesenen- oder Testnachweisen, verpflichtende Hygienekonzepte, Auflagen für den Betrieb von Gemeinschaftseinrichtungen wie Hochschulen oder Einrichtungen der Erwachsenenbildung sowie die Verarbeitung von Kontaktdaten von Kunden, Gästen oder Teilnehmern einer Veranstaltung.
Vorgaben zum Infektionsschutz sollen verlängert werden
Der Gesetzentwurf beinhaltet auch die Möglichkeit für Arbeitgeber, unabhängig von der epidemischen Lage in bestimmten Einrichtungen und Unternehmen zur Verhinderung von Infektionen Daten zum Impf- und Serostatus der Beschäftigten zu verarbeiten. Ferner sollen die Sonderregelungen zum Kinderkrankengeld auf das Jahr 2022 ausgedehnt werden.
Geplant sind auch die Verlängerung des vereinfachten Zugangs zu den sozialen Mindestsicherungssystemen sowie die erleichterte Vermögensprüfung im Kinderzuschlag bis Ende März 2022. Auch bewährte Vorgaben zum betrieblichen Infektionsschutz sollen für drei Monate fortgeführt werden. Die zum Schutz der öffentlichen Gesundheit und für eine bessere Vereinbarkeit von Pflege und Beruf nötigen Regelungen im Pflegezeitgesetz, Familienpflegezeitgesetz und im SGB XI sollen auch nach Ende der epidemischen Lage und über das Jahresende 2021 hinaus gelten. Der Entwurf sieht zudem die Fortführung von Sonderregelungen in der Pflege bis Ende März 2022 vor.
Schließlich soll die Eintragung falscher Impfdokumentationen in Blankett-Impfausweise unter Strafe gestellt werden. Auch der Gebrauch fremder Gesundheitszeugnisse soll ausdrücklich im Strafgesetzbuch erfasst werden.
SPD: Müssen unser Land winterfest machen
In der Aussprache hielten Abgeordnete den möglichen Koalitionären vor, das aktuelle Ausmaß der Krise zu verkennen und mit halbherzigen Mitteln gegen die Pandemie vorzugehen. In den Wintermonaten müssten entschlossenere Vorkehrungen gegen die weitere Verbreitung des Virus getroffen werden.
Zur aktuellen Infektionslage äußerte sich auch Olaf Scholz (SPD), der künftig als Kanzler an der Spitze der „Ampel“-Koalition stehen könnte. Der amtierende Bundesfinanzminister betonte: „Das Virus ist noch unter uns und bedroht die Gesundheit unserer Bürger.“ Es müssten Vorkehrungen ergriffen werden, um die Gesundheit der Bürger zu schützen. Angesichts der Impfungen stelle sich die Lage heute zwar anders dar als früher, die Lage sei deswegen aber noch nicht gut. Auflagen seien weiter nötig. „Wir müssen gewissermaßen unser Land winterfest machen.“
Bund-Länder-Treffen angekündigt
Scholz forderte eine nationale Kraftanstrengung, um das Virus einzudämmen. Er forderte die Bürger auf, sich impfen zu lassen. Gebraucht würden Ärzte, mobile Impfteams und wieder mehr Impfzentren. Die Wiedereröffnung von Impfzentren solle auch mit Mitteln des Bundes finanziert werden. Zudem müsse alles getan werden, damit Bürger eine Auffrischungsimpfung (Booster) bekommen. Scholz warnte eindringlich davor, den Schutz der Pflegeheime zu vernachlässigen. Dort müssten Mitarbeiter und Besucher regelmäßig getestet werden. Tests seien auch an Schulen und Arbeitsplätzen sinnvoll.
Der SPD-Politiker forderte, die 3G-Regelung (geimpft, genesen, getestet) müsse am Arbeitsplatz gelten. Mit dem Gesetzentwurf würden den Ländern alle Möglichkeiten an die Hand gegeben, um differenziert vorzugehen in der Pandemie, mit 3G oder 2G (geimpft oder genesen). Die Regeln müssten aber auch umgesetzt werden, dazu sei ein Monitoring sinnvoll. Scholz versprach zusätzliche Mittel für Krankenhäuser, die wegen der Pandemie geplante Operationen verschieben müssten. Er kündigte für kommende Woche außerdem ein neues Spitzentreffen von Bund und Ländern an, um das weitere Vorgehen in der Pandemie zu besprechen.
Grüne für kostenlose Tests
Grünen-Fraktionschefin Katrin Göring-Eckardt verteidigte die Vorlage und rügte, die alte Bundesregierung habe sich nicht vorbereitet auf die Wintermonate. Die Grünen-Politikerin sprach von einer aktuell dramatischen Lage mit sehr vielen Ansteckungen. Darauf müsste mit wirksamen, aber auch rechtssicheren Mitteln reagiert werden. Wenn Auflagen von Gerichten gekippt würden, führe das zur Verunsicherung, warnte sie.
Göring-Eckardt wies zugleich darauf hin, dass Mitarbeiter in Krankenhäusern und Pflegeheimen am Limit arbeiteten. Für die neuen Regeln werde nun ein Rahmen vorgelegt. Sie warb für eine offene Diskussion im Parlament und gab sich kompromissbereit. Die Vorschläge seien „nicht in Stein gemeißelt“. Der ausgearbeitete Katalog könne auch erweitert werden. Sie sprach sich für 2G als wirksame Auflage aus und für verlässliche Tests in kritischen Einrichtungen. Es sei ein krasses Versäumnis der alten Regierung gewesen, die kostenlosen Tests abzuschaffen.
FDP: Auch in der Krise das Grundgesetz respektieren
Auch Marco Buschmann, parlamentarischer Geschäftsführer der FDP-Fraktion, argumentierte mit der rechtlichen Absicherung der Corona-Auflagen. Das alte Paket zur Bekämpfung der Pandemie könne nicht so bleiben. So habe der bayerische Verfassungsgerichtshof unlängst die Ausgangssperre als Auflage gekippt, weil sie nicht verhältnismäßig sei. Buschmann betonte: „Wir müssen auch in der Krise unser Grundgesetz respektieren.“
Der jetzt vorgelegte Gesetzentwurf beinhalte „robuste Maßnahmen“ und biete den Ländern viele Möglichkeiten.
CDU/CSU für Verlängerung der Notstandsregelung
Der Chef der CDU/CSU-Fraktion, Ralph Brinkhaus, kritisierte hingegen, die Vorlage der drei Fraktionen sei unzureichend angesichts der dramatischen Infektionszahlen und Hilferufe von den Intensivstationen. Es seien noch viel zu wenig Menschen geimpft, die wichtigen Drittimpfungen seien nicht gut genug organisiert. „Wir stehen vor einer riesigen Problemlage.“ Es sei gut, wenn sich Bund und Länder bald wieder zu Beratungen träfen, das Treffen hätte aber viel früher stattfinden sollen.
Brinkhaus fügte hinzu, die Feststellung der epidemischen Notlage sei in der Vergangenheit eine verlässliche Grundlage für die Pandemiepolitik gewesen. Die solle nun auslaufen, obwohl sicher niemand bestreiten würde, dass die Lage weiter bedrohlich und dynamisch sei. Das sei Realitätsverweigerung. Die Union wolle eine Verlängerung der Notstandsregelung. Zum Gesetzentwurf der künftigen Koalitionäre sagte er: „Es ist dünn, was Sie da aufgeschrieben haben.“ Länderrechte würden geschwächt, Handlungsoptionen eingeschränkt. Die Krankenhausfinanzierung stehe gar nicht im Gesetz und müsse erst noch nachgeliefert werden. Die Aufhebung der epidemischen Lage sende zudem ein falsches Signal. Die Menschen müssten vielmehr noch achtsamer sein.
AfD: Kein Druck auf Ungeimpfte
Sebastian Münzenmaier (AfD) sprach von einem Etikettenschwindel. Viele Menschen hätten darauf gewartet, dass die epidemische Notlage abgeschafft werde und damit auch die Freiheitseinschränkungen ein Ende hätten. Statt eines „Freedom Day“ blieben die Auflagen jedoch bestehen, sogar unabhängig von der epidemischen Lage. Auch „die nächste Kungelrunde“ sei schon geplant, sagte der AfD-Politiker in Anspielung auf das Bund-Länder-Treffen.
Münzenmaier kritisierte, es werde weiter massiver Druck ausgeübt auf die nicht geimpften Bürger. Die Impfung gegen das Coronavirus sei jedoch eine persönliche Entscheidung jedes Bürgers. Es dürfe keinen Druck und keinen Zwang geben, zumal immer wieder von Nebenwirkungen berichtet werde. Zudem könnten auch Geimpfte und Genesene ansteckend sein. Die wögen sich dann auf Großveranstaltungen in Sicherheit. Statt Impfdruck aufzubauen, sollten Teilnehmer von Veranstaltungen alle getestet werden. Die AfD setze auf Vernunft und Eigenverantwortung.
Linke: Abschaffung der Impfzentren ist unfassbar
Susanne Ferschl (Die Linke) betonte, es gehe in der jetzigen dramatischen Lage nicht darum, die Pandemie für beendet zu erklären. Es gehe nur um das Ende eines juristischen Konstrukts. Die vierte Infektionswelle sei absehbar gewesen. Die Verantwortlichen hätten jedoch gewartet, „bis die Welle über uns zusammenschlägt“. Wenn auch Geimpfte infektiös sein könnten, machten weniger Tests keinen Sinn. Die Booster-Impfungen hätten längst verabreicht werden können. Die Abschaffung der Impfzentren sei „unfassbar“.
Die alte Regierung habe auch nichts unternommen, um den Pflegenotstand zu lindern, rügte Ferschl. Es gebe heute noch weniger Intensivbetten als vorher, weil Pfleger überlastet seien und flüchteten. Nötig seien mehr Investitionen in das Gesundheitswesen.
Gesetzentwurf der CDU/CSU zu Impfpassfälschungen
Die Unionsfraktion stellt in ihrem Gesetzentwurf (20/27) fest, dass die zunehmende Relevanz der Impfnachweise dazu geführt habe, dass Impfnachweise vermehrt gefälscht und in Umlauf gebracht werden. Gefälschte Impfnachweise stellten eine erhebliche Gefährdung der Erfolge im Kampf gegen die Corona-Pandemie dar. Denn durch die Nutzung gefälschter Impfnachweise könnten andere Personen dem Risiko einer Sars-CoV-2-Infektion ausgesetzt sein, und damit könne auch die Funktionsfähigkeit der medizinischen Notfallversorgung gefährdet werden.
Der Entwurf sieht Änderungen der Paragrafen 277 bis 279 des Strafgesetzbuches (StGB) vor. Die bisherige Privilegierung solle entfallen. Die Tatbestände sollen sich nicht mehr auf die Täuschung von Behörden und Versicherungsgesellschaften beschränken. Zudem sollen bei diesen Paragrafen der Strafrahmen angehoben und besonders schwere Fälle eingefügt werden. Bei den Paragrafen 278 und 279 StGB will die Fraktion eine Versuchsstrafbarkeit einführen. Unter den Paragrafen 277 StGB sollen künftig nur noch die Fälle fallen, die bisher nicht unter den Paragrafen 267 StGB fallen.
Darüber hinaus sollen die„ besonders verwerflichen und in ihren Auswirkungen besonders gefährlichen Urkundenfälschungen“ in Bezug auf Impfnachweise im Hinblick auf bedrohliche übertragbare Krankheiten ausdrücklich in den Kreis der Regelfälle für besonders schwere Urkundenfälschungen des Paragrafen 267 Absatz 3 StGB aufgenommen werden. Im Infektionsschutzgesetz will die Fraktion die Strafrahmen der Paragrafen 74 Absatz 2 und 75a moderat erhöhen. Zudem solle mit einer Subsidiaritätsklausel klargestellt werden, dass diese Tatbestände auch keine Sperrwirkung gegenüber den Tatbeständen im Strafgesetzbuch entfalten. (pk/vom/ste/11.11.2021)