Zeit:
Montag, 15. November 2021,
15.15 Uhr
Ort: Berlin, Marie-Elisabeth-Lüders-Haus, Sitzungssaal 3.101
Die von der Bundesregierung geplanten Steueränderungen für sogenannte pauschalierende Landwirte sind am Montag, 15. November 2021, in einer öffentlichen Anhörung des Hauptausschusses unter Leitung von Bundestagsvizepräsidentin Claudia Roth (Bündnis 90/Die Grünen) bei den Sachverständigen überwiegend auf Kritik und auch auf Unverständnis gestoßen.
„Für kleinere Agrarbetriebe muss etwas getan werden“
Durch die in dem von der Bundesregierung eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Umsetzung unionsrechtlicher Vorgaben im Umsatzsteuerrecht (20/12) ab dem 1. Januar 2022 vorgesehene Reduzierung des Durchschnittssatzes für pauschalierende Landwirte von derzeit 10,7 auf 9,5 Prozent soll es nach Angaben der Bundesregierung im kommenden Jahr zu Mehrbelastungen in Höhe von 80 Millionen Euro kommen. Bis zum Jahr 2025 soll sich die steuerliche Mehrbelastung auf 365 Millionen Euro summieren.
„Uns fehlen nächstes Jahr 4.500 Euro“, erklärte Landwirtin Lucia Heigl (Arbeitsgemeinschaft bäuerliche Landwirtschaft) in der Anhörung. Für die hauptsächlich betroffenen kleineren landwirtschaftlichen Betriebe müsse unbedingt etwas getan werden.
„Verstoß gegen den Grundsatz der Gleichheit der Besteuerung“
Der Deutsche Bauernverband erklärte, der künftige Durchschnittssatz für die Umsatzsteuerpauschalierung von 9,5 Prozent werde dem Anspruch an das Berechnungsverfahren nicht gerecht. Hintergrund ist nach Angaben des Verbandes, dass die Pauschalierung ab 2022 nur noch angewendet werden darf, wenn der Umsatz des Unternehmens im vorangegangenen Kalenderjahr weniger als 600.000 Euro betragen habe. Die Berechnung der Pauschale beziehe jedoch noch Zeiten mit ein, in denen über 10.000 Betriebe mehr die Pauschalierung wegen höherer Grenzen hätten anwenden können.
Aus Sicht des Bauernverbandes verstößt die Neuregelung gegen den verfassungsrechtlichen Grundsatz der Gleichheit der Besteuerung. Außerdem kritisierte die Organisation, dass eine Umstellung des Pauschalierungssatzes mitten im laufenden Wirtschaftsjahr erhebliche buchführungsrechtliche Probleme und Komplikationen nach sich ziehen werde. Vorgeschlagen wurde, die Neuregelung später in Kraft zu setzen.
Berechnung des Steuersatzes stößt auf Kritik
Kritisch äußerte sich auch der Deutsche Weinbauverband. Die Organisation bemängelte, dass bei der Berechnung des Steuersatzes Betriebe einbezogen worden seien, deren Umsatz über 600.000 Euro und damit über der Höchstgrenze für die Pauschalierung gelegen habe. Außerdem sei man irritiert, dass es vielfach Zusagen gegeben habe, den Steuersatz bei 10,7 Prozent halten zu können.
Ähnlich äußerte sich der Zentralverband Gartenbau, der es für möglich hält, mit den vorliegenden statistischen Daten zu einer sachgerechten Durchschnittssatzbesteuerung zu kommen.
„Stichtag ist praxisfern gewählt“
Der Deutsche Steuerberaterverband kritisierte das Tempo, in dem das Vorhaben durchgezogen werde. Die Vorlaufzeit, um sich auf den geänderten Steuersatz einzustellen, sei zu knapp. Der Stichtag sei praxisfern gewählt, da Land- und Forstwirte steuerlich in der Regel ein abweichendes Wirtschaftsjahr beispielsweise vom 1. Juli bis 30. Juni führen würden.
Zustimmung fand der Gesetzentwurf bei der Deutschen Steuergewerkschaft, die sowohl die beabsichtigte Änderung des Satzes für die Umsatzsteuer wie des für die Vorsteuer geltenden Prozentsatzes wie auch das beabsichtigte Monitoring für die Zukunft begrüßte.
„Berechnungsverfahren intransparent und nicht nachvollziehbar“
Auch der Hauptverband der landwirtschaftlichen Buchstellen und Sachverständigen begrüßte die Initiative der Bundesregierung, die Umsatzsteuerpauschalierung in der Landwirtschaft angesichts von Bedenken der EU auf eine rechtssichere Basis zu stellen. Allerdings bezeichnete die Organisation das Berechnungsverfahren des Pauschalierungssatzes als intransparent und nicht nachvollziehbar. Man sei froh, dass dieses Verfahren jetzt diskutiert werde.
In dem Gesetzentwurf wird die Änderung unter anderem damit begründet, dass ein zu hoher Durchschnittssteuersatz nach dem EU-Recht nicht zulässig sei. Ein zu hoher Satz führe zudem zu Steuerausfällen. Außerdem wird mit dem Gesetzentwurf die in einer EU-Richtlinie für bestimmte europäische Einrichtungen vorgesehene Entlastung von der Umsatzsteuer im Wege eines Vergütungsverfahren umgesetzt. Für bestimmte Einfuhren und Lieferungen als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie wird eine Steuerbefreiung eingeführt.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Der Gesetzentwurf sieht vor, den Umsatzsteuer-Durchschnittssatz für sogenannte pauschalierende Landwirte ab 2022 von 10,7 auf 9,5 Prozent abzusenken. Für die Umsatzbesteuerung land- und forstwirtschaftliche Betriebe wird grundsätzlich das vereinfachte Verfahren der Durchschnittssatzbesteuerung angewendet (Paragraf 24 des Umsatzsteuergesetzes). Die Steuersätze der von den Betrieben für Lieferungen in Rechnung gestellten Umsatzsteuer werden nach Durchschnittssätzen pauschal festgelegt. In gleicher Höhe wird pauschal anzuerkennende Vorsteuer angerechnet, sodass in der Summe keine Zahllast gegenüber dem Finanzamt entsteht.
Die geplante Änderung bei der Vorsteuerbelastung der pauschalierenden Landwirte kann nach den Schätzungen der Bundesregierung zu steuerlichen Mehrbelastungen im kommenden Jahr von 80 Millionen Euro und ab 2023 von 95 Millionen Euro pro Jahr führen. Bis zum Jahr 2025 soll sich die steuerliche Mehrbelastung für pauschalierende Landwirte auf 365 Millionen Euro summieren.
Diese Möglichkeit der Pauschalierung können alle Betriebe bis zu einem Jahresumsatz von 600.000 Euro nutzen. Im Jahressteuergesetz 2020 ist geregelt, dass die Höhe der Vorsteuerbelastung der pauschalierenden Landwirte jährlich anhand aktueller statistischer Daten überprüft werden muss. Die Vorsteuerbelastung ist laut Bundesregierung ein wichtiges Kriterium, um den Durchschnittssatz für die Pauschallandwirte zutreffend festzulegen. Ein zu hoher Durchschnittssatz ist nach EU-Recht nicht zulässig und würde zu Steuerausfällen führen. Wie aus dem Regierungsentwurf hervorgeht, wäre der derzeit geltende Durchschnittssatz von 10,7 Prozent ab 2022 zu hoch und würde gegen die EU-Richtlinie über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem verstoßen.
Sonderregelung für Pauschallandwirte
Der Bundesrechnungshof hatte 2019 in einem Bericht an das Bundesfinanzministerium geschrieben, die Sonderregelung für Pauschallandwirte beruhe auf der Fiktion, dass gesamtwirtschaftlich betrachtet die tatsächliche Vorsteuerbelastung aller Pauschallandwirte und der ihnen insgesamt gezahlte Pauschalausgleich übereinstimmen. Die Pauschallandwirte dürften in ihrer Gesamtheit durch den Pauschalausgleich keine Erstattungen erhalten, die über ihre Vorsteuerbelastung hinausgehen. Der Pauschalausgleich dürfe die Vorsteuerbelastung nicht übersteigen. Ansonsten würde ein Mitgliedstaat seinen Pauschallandwirten unzulässige Beihilfen gewähren, die ein entsprechendes Verfahren der EU-Kommission auslösen könnten.
Mit dem Gesetzentwurf wird außerdem die in einer EU-Richtlinie für bestimmte europäische Einrichtungen vorgesehene Entlastung von der Umsatzsteuer im Wege eines Vergütungsverfahren umgesetzt. Für bestimmte Einfuhren und Lieferungen als Reaktion auf die Covid-19-Pandemie werde eine Steuerbefreiung eingeführt.
Stellungnahme des Bundesrates
Für Steuerentlastungen spricht sich der Bundesrat in seiner Stellungnahme zu diesem Gesetzentwurf aus. Begünstigt werden soll die Erzeugung von Strom aus Solaranlagen mit einer möglichen Gesamtleistung von bis zu 30 Kilowatt und aus Blockheizkraftwerken mit einer installierten elektrischen Leistung von bis zu 7,5 Kilowatt. Begründet wird dies mit dem Klimaschutz, der eine der herausragenden Aufgaben für die nächsten Jahre darstelle.
Als weitere Begründung werden Altanlagen angeführt, die älter als 20 Jahre alt sind und denen die bisher hohe Einspeisevergütung nach dem Erneuerbare-Energien-Gesetz deutlich abgesenkt werde. Die Befreiung soll nach dem Willen des Bundesrates noch für den Veranlagungszeitraum 2021 gewährt werden, „auch um ein Zeichen für schnelles Handeln bei der Energiewende zu setzen“.
Aufgabe eines Hauptausschusses
Ein Hauptausschuss kann vom Parlament eingesetzt werden, um den Zeitraum bis zur Konstituierung der ständigen Ausschüsse zu überbrücken. Übergangsweise kann das Gremium Vorlagen beraten und dem Plenum Beschlussempfehlungen vorlegen. Der Hauptausschuss hat jedoch kein Selbstbefassungsrecht. Das heißt, er kann nur über Vorlagen beraten, die ihm vom Plenum überwiesen werden.
In der Vergangenheit fungierte der Hauptausschuss auch als Ausschuss für die Angelegenheiten der Europäischen Union, als Auswärtiger Ausschuss und als Verteidigungsausschuss. Zudem können ihm wichtige eilbedürftige Haushaltsvorlagen überwiesen werden. Den Vorsitz des Hauptausschusses führt die Bundestagspräsidentin. Mit der Konstituierung der ständigen Ausschüsse ist der Hauptausschuss aufgelöst und das Plenum überweist alle noch nicht erledigten Vorlagen an die nunmehr zuständigen Ausschüsse. (hle/ste/vom/15.11.2021)