Parlament

Letzter Schlagabtausch im Bundestag zur Si­tuation in Deutsch­land

19 Tage vor der Bundestagswahl haben sich Kanzlerkandidaten und Fraktionsspitzen im Rahmen einer Vereinbarten Debatte zur „Situation in Deutschland“ einen heftigen Schlagabtausch über die Bilanz der aktuellen Regierung sowie die Ausrichtung der künftigen Politik geliefert. In der voraussichtlich letzten Sitzung des Bundestages in der laufenden Wahlperiode trafen am Dienstag, 7. September 2021, unter anderem die Kanzlerkandidaten der Parteien, Armin Laschet (CDU), Olaf Scholz (SPD) und Annalena Baerbock (Bündnis 90/Die Grünen) aufeinander. 

Kanzlerin: Der Urnengang ist eine Richtungsentscheidung

Bundeskanzlerin Dr. Angela Merkel (CDU) zog in ihrer voraussichtlich letzten Rede im Bundestag eine Bilanz in Bereichen wie der Klimapolitik und der Digitalisierung. Klimapolitisch seien wichtige Weichen gestellt worden, sagte die Christdemokratin. Als weiteres zentrales Thema hob Merkel die Schaffung gleichwertiger Lebensverhältnisse hervor – zwischen Ost und West, aber auch zwischen Stadt und Land.

Mit Blick auf die anstehende Wahl stellte sich die Bundeskanzlerin klar hinter Armin Laschet. Es sei nicht egal, wer das Land regiere, meinte Merkel mit Blick auf ein mögliches rot-rot-grünes Bündnis. Der Urnengang sei in „schwierigen Zeiten eine Richtungsentscheidung“. Eine von CDU/CSU-geführte Bundesregierung stehe für „Stabilität, Verlässlichkeit und Maß und Mitte“, sagte Merkel.

AfD: Kanzlerin hinterlässt einen Sanierungsfall

Für die AfD-Fraktion kritisierte Fraktionsvorsitzende Alice Weidel umfassend die Leistung der Bundesregierung. Merkels letzte Amtszeit sei eine „Periode des beschleunigten Abstiegs“ gewesen, ihrem Nachfolger werde sie einem Sanierungsfall hinterlassen. Kritik übte Weidel unter anderem an der Klima- und Energiepolitik der Bundesregierung, die zu höheren Strompreisen führe und die Industrie bedrohe.

Im Zusammenhang mit der Migrationspolitik warf Weidel der Bundesregierung vor, die afghanischen Ortskräften zu missbrauchen, „um die nächste Einwanderungswelle loszutreten“. Das „Versagen in der Asyl- und Migrationspolitik“ werde als „größte Fehlleistung“ Merkels in die Geschichtsbücher eingehen, mutmaßte die AfD-Abgeordnete.

SPD: Klimaschutz ist Industriepolitik

Vizekanzler und Finanzminister Olaf Scholz (SPD) umriss sein Programm für eine mögliche Kanzlerschaft. „Ein Aufbruch ist möglich und ich hoffe und bin sicher, er wird gelingen“, sagte Scholz. Der Sozialdemokrat warb unter anderem dafür, ein stabiles Rentenniveau zu garantieren und eine Erhöhung des Renteneintrittsalters auszuschließen. Zudem forderte er eine Erhöhung des Mindestlohnes auf zwölf Euro pro Stunde.

Mit Blick auf künftige Arbeitsplätze betonte der Sozialdemokrat, dass es gute Arbeitsplätze nur dann geben könne, wenn der menschengemachte Klimawandel aufgehalten werde. „Klimaschutz ist Industriepolitik“, sagte Scholz und führte aus, dass auch die Industrie Klimaschutz wolle. Scholz sprach sich zudem für eine Stärkung der Souveränität der Europäischen Union aus. Dies werde aber nur im Verbund mit der Nato und den Vereinigten Staaten von Amerika gelingen, betonte der Kanzlerkandidat.

FDP: Bürokratie hemmt viel privates Potenzial

FDP-Fraktionschef Christian Lindner zollte der Kanzlerin Respekt für ihren Dienst am Land. Allerdings hinterlasse sie das Land nicht in einer Verfassung, „die unseren Ansprüchen genügt“. Kontinuität wäre daher das größte Risiko. „So wie es ist, darf es nicht bleiben“, sagte Lindner. Das Land habe viel privates Potenzial, werde aber von der Regierung unterfordert und bürokratisch gehemmt. Die Politik dürfe sich nicht länger auf „das Verteilen des Wohlstands konzentrieren“, sondern müsse sich die Frage stellen, wie unter veränderten Bedingungen der Wohlstand der Zukunft erwirtschaftet werden könne.

Sozialdemokrat Scholz unterstellte Linder eine „gewisse Siegesgewissheit“. Man könne aber auch Wahlen gewinnen und danach trotzdem keine Koalition haben, mahnte Lindner. 

Linke: Das Land ist kulturell, sozial und politisch tief gespalten

Linken-Fraktionschef Dietmar Bartsch warb offensiv für ein rot-rot-grünes Bündnis. „Die Frage ist ganz einfach: Linke oder Lindner?“, sagte Bartsch. Der Linken-Abgeordnete warf Merkel vor, ein Land im Krisenzustand hinterlassen zu haben. Das Land sei kulturell, sozial und politisch tief gespalten; ein Regierungswechsel werde dringend benötigt.

Mit Verweis auf die aus seiner Sicht unzureichende Leistung einzelner Minister attestierte Bartsch, dass sich eine „Unkultur politischer Verantwortungslosigkeit“ eingeschlichen habe, die zu einem Vertrauensverlust bei den Bürgern führe. Bartsch warb für eine neue Sozial-, Renten- und Steuerpolitik. Zudem sprach sich der Linken-Abgeordnete gegen Rüstungsexporte aus. 

Grüne: Union und SPD haben Chancen nicht genutzt

Grünen-Kanzlerkandidatin Annalena Baerbock forderte, sich endlich den großen Herausforderungen der Zeit zu stellen. Die Bundestagswahl sei in der Tat eine Richtungswahl, entscheide sich doch, ob die nächste Bundesregierung noch aktiv Einfluss auf den Klimawandel nehmen wolle oder nicht. „Wir brauchen endlich eine Klimapolitik, die auf Vorsorge und Schutz aufgebaut ist“, mahnte Baerbock unter anderem mit Verweis auf Extremwetterereignisse wie die jüngste Flutkatastrophe im Westen Deutschlands.

Union und SPD hätten in den vergangenen acht Jahren zusammen regiert und die Chancen nicht genutzt. „Sie haben es vermasselt, den Weg zur Klimaneutralität zu gehen“, meinte die Grünen-Abgeordnete. Zudem forderte Baerbock, dass Deutschland europapolitisch führen müsse statt sich hinter Viktor Orban zu verstecken. 

Union: Klimapolitik von SPD und Grünen gefährdet Industrie

Armin Laschet (CDU) dankte Bundeskanzlerin Merkel für ihre Verdienste. Ihre Amtszeit von 16 Jahren seien gute Jahre für Deutschland gewesen. Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident kontrastierte seine Vorstellungen zu denen von SPD und Grünen. So sprach er sich dafür aus, Wachstum durch Bürokratieabbau und Freiräume zu ermöglichen und nicht denen das Geld zu entziehen, die es investieren wollten.

Mit den klimapolitischen Konzepten von SPD und Grünen könne Deutschland kein Industrieland bleiben, kritisierte Laschet. „Ich will, dass wir auch in 20 Jahren Automobilindustrie in Deutschland haben.“ Laschet betonte zudem die Bedeutung der Inneren Sicherheit für das Land. Es müsse gegen Rechtsterrorismus, aber auch gegen Fundamentalismus und Clankriminalität vorgegangen werden. Von SPD und Grünen forderte der Unions-Kanzlerkandidat Klarheit zu einer möglichen Koalition mit der Linken. (scr/07.09.2021)