30 Milliarden Euro zum Wiederaufbau nach der Flutkatastrophe geplant
Der Bundestag hat sich am Mittwoch, 25. August 2021, mit den Folgen der Hochwasserkatastrophe befasst. Gegenstand der Beratung war ein von CDU/CSU und SPD eingebrachter Gesetzentwurf „zur Errichtung eines Sondervermögens ‚Aufbauhilfe 2021' und zur vorübergehenden Aussetzung der Insolvenzantragspflicht wegen Starkregenfällen und Hochwassern im Juli 2021 sowie zur Änderung weiterer Gesetze (Aufbauhilfegesetz 2021 – AufbhG 2021)“ (19/32039). Die Initiative wurde im Anschluss an die eineinhalbstündige Aussprache an den federführenden Haushaltsausschuss überwiesen.
Der Debatte im Plenum lagen zudem drei Anträge der AfD (19/32089, 19/32088, 19/32084), zwei Anträge der Grünen (19/32043, 19/32041) sowie ein Antrag (19/32080) und ein Gesetzentwurf (19/31715) der FDP zugrunde. Auch diese Vorlagen wurden zur weiteren Beratung in die Ausschüsse überwiesen.
Gesetzentwurf der Koalitionsfraktionen
Um die Schäden durch das Juli-Hochwasser insbesondere in Rheinland-Pfalz und Nordrhein-Westfalen zu bewältigen, soll ein Sondervermögen „Aufbauhilfe 2021“ errichtet werden. Außerdem soll die Insolvenzantragspflicht in den betroffenen Gebieten ausgesetzt werden. Der Aufbaufonds soll als Sondervermögen des Bundes errichtet und durch den Bund mit bis zu 30 Milliarden Euro ausgestattet werden. An der Rückzahlung sollen sich die Länder dann hälftig beteiligen, indem sie bis zum Jahr 2050 Anteile am Umsatzsteueraufkommen an den Bund abtreten. Das Geld soll geschädigten Privathaushalten, Unternehmen und anderen Einrichtungen zugute kommen sowie zur Wiederherstellung der Infrastruktur eingesetzt werden. Der Wiederaufbau von Infrastruktur des Bundes, wie Bundesstraßen, wird gesondert durch den Bund finanziert.
Die Insolvenzantragspflicht soll temporär ausgesetzt werden, sofern die Zahlungsunfähigkeit auf den Auswirkungen der Starkregenfälle oder des Hochwassers beruht und begründete Aussicht auf Sanierung besteht. Darüber hinaus sieht der Gesetzentwurf Änderungen unter anderem beim Pfändungsschutz vor, um Betroffenen mit Finanzengpässen Luft zu verschaffen.
Ein weiterer Bestandteil des Gesetzentwurfs sind Regelungen für eine bessere Warnung der Bevölkerung bei künftigen ähnlichen Ereignissen. So werden Mobilfunkbetreiber zur Einrichtung eines CB-Systems verpflichtet, mit dem an alle in einer Funkzelle eingebuchten Mobiltelefone eine Mitteilung verschickt werden kann. Das Gesetzgebungsverfahren soll daneben zu einer Änderung des Infektionsschutzgesetzes zur Corona-Bekämpfung genutzt werden. Danach müssen Einreisende aus dem Ausland generell einen Impf-, Genesungs- oder Testnachweis vorlegen.
Scholz: Wir stehen zusammen
In der Debatte über den Gesetzentwurf war, bei allen so kurz vor einer Bundestagswahl wohl unvermeidlichen Schärfen, auch viel Gemeinsames zu hören. Keine Fraktion lehnte den geplanten Hilfsfonds rundweg ab. Vor allem aber wurde fraktionsübergreifend Mitgefühl für die Betroffenen der Katastrophe und Dank für die Helfer ausgesprochen.
„Das Leid der Angehörigen können wir nicht lindern“, sagte Bundesfinanzminister Olaf Scholz (SPD) mit Blick auf die 183 Todesopfer. Umso wichtiger sei aber, dass jetzt „denen geholfen wird, denen geholfen werden kann“ und wieder aufgebaut wird, was zerstört worden ist. Der vom Bund und allen Ländern finanzierte 30-Milliarden-Fonds zeige: „Das ist eine Angelegenheit des ganzen Landes, und wir stehen an dieser Stelle zusammen.“ Nachdrücklich verwies Scholz darauf, dass die Flutkatastrophe auch Folge des menschengemachten Klimawandels sei. Er forderte deshalb „verstärkte Anstrengungen“, diesen zu bekämpfen. Zudem müsse der Wiederaufbau in den Flutgebieten so erfolgen, dass Gebäude und Infrastruktur im Fall künftiger Hochwasserereignisse besser geschützt sind. Der Gesetzentwurf sieht dafür Vereinfachungen im Planungsverfahren vor.
AfD: Regierungsversagen bei der Soforthilfe
Redner der AfD kritisierten dagegen „die antiwissenschaftliche Instrumentalisierung eines Wetterereignisses“, so Peter Boehringer, für eine ideologische Klimaschutzpolitik. Vor der Industrialisierung habe es im Ahrtal viel höhere Hochwasser gegeben. Die AfD-Fraktionsvorsitzende Dr. Alice Weidel sprach von „Regierungsversagen“ bei der Soforthilfe. „Noch immer stehen am Rhein und im Ahrtal Menschen vor den Trümmern ihrer Häuser und ihrer Existenz, liegt unverzichtbare Infrastruktur in Trümmern“, beklagte sie.
Die großen Schäden und die hohe Zahl von Todesopfern sei aber auch Folge „unterbliebener Vorkehrungen und verspäteter Warnungen“. Weidel erwähnte „Sirenen, die nicht funktionieren“, unterlassene Warnungen im öffentlich-rechtlichen Rundfunk und einen „Katastrophenschutz auf dem Niveau eines Entwicklungslandes“.
Laschet: Hilfe von Ost nach West wunderschönes Signal
Der nordrhein-westfälische Ministerpräsident Armin Laschet dankte für die große Solidarität, welche die Hochwassergebiete aus ganz Deutschland erfahren hätten. Unter den ersten, die Unterstützung angeboten hätten, seien die ostdeutschen Bundesländer gewesen. Dass Hilfe von Ost nach West geflossen sei, sei „ein wunderschönes Signal“ der Einheit.
Laschet hob hervor, dass man zwar ein einzelnes Wetterereignis nicht auf den Klimawandel zurückführen könne, dieser aber die Wahrscheinlichkeit solcher Katastrophen erhöht habe. Deshalb habe es jetzt Vorrang, die Wirtschaft klimaneutral zu gestalten. Er unterstützte im übrigen die geplanten Änderungen im Planungsrecht, damit es einfacher wird, zum Beispiel ein Haus beim Wiederaufbau vom Ufer weg zu verlegen.
FDP hätte frühere Sondersitzung gewünscht
Christian Dürr (FDP) verwies darauf, dass seine Fraktion schon Ende Juli einen ähnlichen Gesetzentwurf wie den jetzt debattierten vorgelegt habe. Es wäre angemessen gewesen, sagte Dürr, wenn der Bundestag schon Anfang August zusammengetreten wäre, um über die Fluthilfe zu beraten.
Bei Bundesfinanzminister Olaf Scholz mahnte Dürr eine unbürokratische Hilfe für geschädigte Unternehmen an und warnte: „Wiederholen Sie bei der Auszahlung der Gelder nicht die Fehler bei den Coronahilfen.“
Linke stellt die Systemfrage
Redner aller Fraktionen mit Ausnahme der AfD hoben angesichts einer Häufung schwerer Unwetter die Dringlichkeit hervor, gegen den Klimawandel zu kämpfen. Aus Sicht von Dr. Gesine Lötzsch (Die Linke) gibt es dabei allerdings ein „Schlüsselproblem“: „Kapitalinteressen stehen gegen Umweltschutz und damit gegen die Überlebensinteressen der Menschen“.
Immobilienspekulanten wollten in Flusslandschaften bauen, Waldbesitzer nutzten ihre Wälder als Holzlager und nicht als Wasserspeicher. Man müsse sich zwischen der Profitgier Einzelner und dem Überleben der Menschheit entscheiden.
Grüne: Das ist erst der Anfang
Dr. Anton Hofreiter (Bündnis 90/Die Grünen) warnte, dass die zu beobachtende Zunahme schwerer Unwetter „erst der Anfang“ sei. Die Frage sei ehrlicherweise nicht mehr, wie es in den nächsten Jahrzehnten besser wird, sondern wie man verhindert, „dass es von Jahr zu Jahr schlimmer wird“.
Union und SPD warf Hofreiter vor, sie seien „beim Klimaschutz weit weniger entschlossen als hier bei den Aufbauhilfen“. Besonders scharf griff er Finanzminister Scholz an, da dieser eine Vorverlegung des Kohleausstiegs ablehne.
Anträge der AfD
Die AfD fordert in einem ersten Antrag „Unterstützung für die Betroffenen der Hochwasserkatastrophe“ (19/32089). Die Bundesregierung solle demnach sicherstellen, dass aus dem EU-Solidaritätsfonds ein „signifikanter Beitrag“ zum Wiederaufbau geleistet wird. Auch müsse dafür gesorgt werden, dass die Mittel des Sondervermögens „allein für den Wiederaufbau in den deutschen Flutgebieten“ verwendet werden „und nicht etwa für den sogenannten Klimaschutz zweckentfremdet werden“, heißt es. Nicht genutzte Mittel sollen in den Bundeshaushalt zurückfließen. Die Vorlage soll im Haushaltsausschuss weiterberaten werden.
Ein zweiter Antrag, der im federführenden Bauausschuss weiterberaten werden soll, fordert mit Blick auf die Hilfe für Flutopfer Änderungen im Baurecht (19/32088). So sollten die baurechtlichen Sonderregelungen für die erleichterte Errichtung baulicher Anlagen, die der Unterbringung von Flüchtlingen oder Asylbewerbern dienen, auch für den Bau von Unterkünften für die Flutopfer angewendet werden können, heißt es. Ein dritter Antrag ist mit „Bevölkerungsschutz statt Klimaschutz“ (19/32084) überschrieben. Darin fordern die Abgeordneten den Aufbau eines Geoinformationssystem für Extremwetterereignisse beziehungsweise Naturkatastrophen wie Hochwasser, Sturmfluten, Stürme, Hang- und Erdrutsche, Flächenfeuer oder Trockenheit. Die Vorlage soll im federführenden Innenausschuss weitere Beratung erfahren.
Initiativen der FDP
Der von der FDP vorgelegte Antrag mit dem Titel „10 Punkte für Klimaresilienz und Katastrophenmanagement“ (19/32080), wurde im Anschluss an die Debatte zur weiteren Beratung an den Innenausschuss überwiesen. Zu den zehn Punkten zählen neben der Sicherstellung einer „schnellen“ finanziellen Aufbauhilfe unter anderem eine Verbesserung der Risiko- und Krisenkommunikation oder die Ernennung eines „gemeinsamen Sonderbeauftragten für den Wiederaufbau auf Bundesebene“.
Darüber hinaus legten die Liberalen dem Parlament erstmals ein Gesetzentwurf zur Änderung des Aufbauhilfefonds-Errichtungsgesetzes vor (19/31715), der im Anschluss zur federführenden Beratung an den Haushaltsausschuss überwiesen wurde. Mit dem Gesetz über das Sondervermögen bestünden bereits ein rechtlicher Rahmen, bewährte Finanzierungsmechanismen und eine Lastenverteilung zwischen Bund und Ländern, heißt es darin. Der Fonds solle aus dem vorhandenen Haushaltstitel „Allgemeine Rücklage“ aufgefüllt werden, die Länder könnten ihren Anteil dann in jährlichen Raten bis 2042 zurückzahlen. Der Gesetzentwurf sieht weiterhin vor, einen Wiederaufbaustab unter Federführung des Bundesinnenministeriums einzurichten, der in enger Abstimmung mit dem Finanzministerium „die Soforthilfe sowie den mittelfristigen Aufbau über die Länder für die betroffenen Bürgerinnen und Bürger, Unternehmen und Kommunen“ koordiniert und steuert.
Anträge der Grünen
Mit einer Reihe von Maßnahmen will die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen den Katastrophen- und Hochwasserschutz stärken. Vor dem Hintergrund der jüngsten Flutkatastrophe schlägt sie in ihrem ersten Antrag (19/32043) unter anderem vor, eine Bund-Länder-Kommission einzusetzen, die aufgrund der Erfahrungen aus den Hochwassergebieten den Bevölkerungsschutz stärken soll. Weiter fordern die Antragsteller, jährlich zehn Prozent der Gelder aus dem Energie- und Klimafonds in ein Aktionsprogramm „Natürlicher Klimaschutz“ zu investieren. In den vom Hochwasser betroffenen Gemeinden soll der Wiederaufbau dem Antrag zufolge „hochwasser- und klimaangepasst“ erfolgen, und generell sollen die Renaturierung von Bächen und die Wiedervernässung von Mooren vorangetrieben werden. Schließlich sollen auch Privathaushalte durch ein Förderprogramm bei der privaten Klimavorsorge unterstützt werden. Der Antrag wurde an den Haushaltausschuss überwiesen.
Ein umfassendes Sofortprogramm für mehr Klimaschutz verlangt die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in ihrem zweiten Antrag (19/32041). Ziele dieses Sofortprogramms müssten der Ausbau der erneuerbaren Energien, die Verkehrswende, eine Offensive bei der Gebäudesanierung und die Dekarbonisierung der Wirtschaft sein, heißt es in der Vorlage. Im Einzelnen verlangt die Fraktion darin die Einführung eines nationalen CO2-Mindestpreises von 60 Euro pro Tonne und ein Ende der Kohleverstromung bis zum Jahr 2030. Außerdem sollen mit der Wirtschaft Klimaschutzverträge (Carbon Contracts for Difference) abgeschlossen werden mit dem Ziel, klimafreundliche Investitionen anzukurbeln. Im Gebäudebereich soll nach dem Willen der Antragsteller das Gebäudeenergiegesetz weiterentwickelt werden. Der Einbau von Ölheizungen soll verboten werden, den CO2-Preis beim Heizen sollen die Hauseigentümer tragen. Im Verkehrssektor sprechen sich die Grünen für die Einführung von Tempo 130 auf allen Bundesautobahnen sowie eine Beschleunigung der Mobilitätswende aus. Dafür wollen sie zusätzlich 2,5 Milliarden Euro für die Streckenreaktivierung im Schienenverkehr, die kommunale Förderung von Elektrobussen und den Ausbau von Radwegenetzen zur Verfügung stellen. Der Antrag wurde an den Umweltausschuss überwiesen. (ste/pst/chb/25.08.2021)