Mediziner fordern eine bessere Versorgung für Patienten mit Corona-Langzeitschäden. Als notwendig erachtet wird auch eine intensivierte Forschung zu dem Krankheitsbild sowie mehr Aufklärung in der Bevölkerung und in Fachkreisen über Long-Covid. Die Experten äußerten sich anlässlich einer Anhörung des Ausschusses für Gesundheit des Bundestages am Montag, 7. Juni 2021, unter Vorsitz von Erwin Rüddel (CDU/CSU) über Anträge von Linken und FDP in schriftlichen Stellungnahmen.
Frommhold sieht fehlende Akzeptanz für Krankheitsbild
Dr. Jördis Frommhold von der Median Klinik in Heiligendamm unterscheidet unterschiedliche Gruppen von Patienten. Problematisch sind demnach Patienten mit einem schweren Corona-Verlauf, die anschließend einen weiteren Rehabilitationsbedarf haben. Es habe sich gezeigt, dass in dieser Gruppe sechs Monate nach einem Krankenhausaufenthalt ohne weitere Nachsorge bei 76 Prozent der Patienten weiter Symptome bestünden.
Eine andere Gruppe umfasst laut Frommhold Patienten mit einem milden oder moderaten Akutverlauf, die nach einem bis vier Monaten Long-Covid-Symptome entwickeln, darunter vor allem das Fatigue-Syndrom. Patienten dieser Gruppe seien jung (20 bis 50 Jahre) und ohne Vorerkrankungen. Die Ursache für die Beschwerden sei unklar, möglich sei eine Autoimmunreaktion. Es sei ungewiss, wie viele Patienten dauerhaft arbeitsunfähig würden. Auch die gesundheitsökonomischen und volkswirtschaftlichen Auswirkungen seien noch nicht absehbar. Bisher fehle es an Akzeptanz für das Krankheitsbild.
Long-Covid bei betroffenen Kindern
Von Long-Covid sind nach Auskunft des Universitätsklinikums Jena auch Kinder betroffen. Die Zahl der betroffenen Erwachsenen werde auf mindestens zehn Prozent geschätzt, bei rund 550.000 Infizierten in der Gruppe der Kinder und Jugendlichen bis 19 Jahre müsse selbst unter der Annahme einer geringen Prävalenz mit mehr als 10.000 Betroffenen gerechnet werden.
Da die Primärinfektion bei Kindern oft mild verlaufe und Symptome falsch eingeschätzt würden, sei das Long-Covid-Syndrom in der Altersgruppe vermutlich stark unterdiagnostiziert. Die derzeitige Versorgungslage für an Long-Covid erkrankte Kinder sei ebenso mangelhaft wie der Stand der Forschung. Es fehlten präzise Daten zur Prävalenz, klare Diagnosekriterien und Informationen zur Pathogenese.
Folge schwerer organischer Erkrankungen
Die Deutsche Gesellschaft für ME/CFS erklärte, Studien zeigten, dass eine Subgruppe der Long-Covid-Patienten nach sechs Monaten die Kriterien der Myalgischen Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom erfülle. Das Kernsyndrom von ME/CFS, das auch bei Long-Covid diagnostiziert werde, sei die Post-Exertional Malaise (PEM), eine massive Verschlechterung der Symptomatik nach kognitiver und körperlicher Anstrengung.
Damit einher gehe eine rapide und gravierende weitere Reduktion des Funktionsniveaus. ME/CFS sei eine schwere organische Erkrankung. In Deutschland seien bis zu 250.000 Menschen betroffen, darunter 40.000 Kinder und Jugendliche. Schätzungsweise 100.000 Fälle könnten durch Covid-19 dazukommen. Betroffene erhielten keine adäquate Versorgung.
Einbindung von Rehabilitationskliniken
Die Deutsche Krankenhausgesellschaft (DKG) sprach sich für die Behandlung solcher Fälle in Kliniken und für eine verstärkte Forschung aus. Bei Long-Covid zeichne sich schon jetzt eine kommende Herausforderung für das Gesundheitswesen ab. Es fehlten flächendeckend verfügbare Einrichtungen, in denen Betroffene umfassend behandelt werden könnten.
Um der Gefahr chronischer Folgen zu begegnen, sollten Rehabilitationskliniken an dem Behandlungskonzept beteiligt werden. Zudem gelte es, die Sensibilität der Ärzte für das Problem zu erhöhen.
Antrag der FDP
Die FDP-Fraktion fordert in ihrem Antrag (19/29267) zusätzliche Behandlungskapazitäten für die Betreuung von Patienten mit Spätfolgen einer Corona-Infektion. Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) schätze, dass zwölf Wochen nach einer Covid-19-Erkrankung etwa jeder zehnte Patient noch unter den Langzeitfolgen leide.
Die Abgeordneten fordern, Long-Covid-Behandlungszentren als neuen Paragrafen im Fünften Buch Sozialgesetzbuch (SGB V) zu verankern. Ärzte, Krankenhäuser sowie Vorsorge- und Rehabilitationseinrichtungen sollten entsprechende Leistungen erbringen dürfen. Ferner sollte zusammen mit den Bundesländern ein Register entwickelt werden, in dem die Fälle von Long-Covid erfasst und analysiert werden. Zudem sollten Forschungsgelder bereitgestellt werden, um Studien zu dem Thema dauerhaft zu fördern.
Antrag der Linken
Die Linke fordert in ihrem Antrag (19/29270), das sogenannte Long-Covid als Berufskrankheit anzuerkennen. Covid-19 sei nicht nur eine akut gefährliche Krankheit, sondern führe auch oft zu teilweise schweren Langzeitfolgen. Bei Menschen, die zuvor im Krankenhaus behandelt wurden, könnten bis zu 70 Prozent betroffen sein.
Die Abgeordneten schlagen vor, arbeitsbezogene Corona-Erkrankungen für alle Beschäftigtengruppen als Berufskrankheit anzuerkennen. Außerdem sollten zusätzliche Kapazitäten zur Behandlung von Covid-19 und Long-Covid geschaffen werden sowie Kapazitäten für Patienten, die an einem Myalgischen Enzephalomyelitis/Chronisches Fatigue Syndrom (ME/CFS) erkrankten. Für Betroffene solle eine zentrale Beratungs- und Koordinierungsstelle eingerichtet werden. Zudem solle ein Programm zur Erfassung, Dokumentation und Erforschung von Covid-19-Langzeitfolgen und ME/CFD und zur medizinischen Therapie aufgelegt werden. (pk/07.06.2021)