Größerer Stellenwert der politischen Bildung angemahnt
Der politischen Bildung von Kindern und Jugendlichen muss deutlich mehr Aufmerksamkeit geschenkt werden. Dies war am Montag, 17. Mai 2021, das einhellige Votum in einer öffentlichen Anhörung des Ausschusses für Familie, Senioren, Frauen und Jugend unter Leitung von Sabine Zimmermann (Die Linke) zum Bericht der Bundesregierung über die Lage junger Menschen und die Bestrebungen und Leistungen der Kinder- und Jugendhilfe (16. Kinder- und Jugendbericht) mit dem Titel „Förderung demokratischer Bildung im Kindes- und Jugendalter“ (19/24200). Die geladenen Sachverständigen mahnten zudem, dass politische Bildung nicht neutral sein könne, sondern sich an der demokratischen Ordnung und ihren Werten orientieren müsse.
„Politische Bildung orientiert sich an der demokratischen Ordnung“
Die Sozial- und Erziehungswissenschaftlerin Prof. Dr. Anja Besand von der Technischen Universität Dresden – sie gehörte selbst der Sachverständigenkommission des Kinder- und Jugendberichts an – mahnte, in Sachsen können man gut erkennen, wohin es führe, wenn der politischen Bildung ein zu geringer Stellenwert beigemessen werde. So sei an Sachsens Schulen sehr lange politische Bildung erst ab der neunten Klasse in den Schulen verankert gewesen, seit kurzer Zeit sei dies ab der siebten Klasse der Fall.
Die Familie sei zwar ein wichtiger Ort der Sozialisation für die politische Bildung, dies könne die institutionelle politische Bildung aber nicht ersetzen. Besand wies zudem darauf hin, dass politische Bildung zwar einerseits „keine Bevormundung“ darstellen dürfe. Anderseits sei sie aber „nicht neutral“, sondern orientiere sich an der demokratischen Ordnung.
„Ermutigung, sich an der Gestaltung der Demokratie zu beteiligen“
In diesem Sinne argumentierte auch der Präsident der Bundeszentrale für politische Bildung, Thomas Krüger, der ebenfalls Mitglied der Sachverständigenkommission war. Politische Bildung verstehe sich normativ als aktives Eintreten für demokratische und menschenrechtsbasierte Werte.
Im Gegensatz zur Extremismusprävention, die einer „Verhinderungslogik“ folge und die demokratische Ordnung vor demokratiefeindlichen Bestrebungen zu schützen versuche, folge die politische Bildung einer „Ermöglichungslogik“, die dazu ermutige, sich aktiv an der Gestaltung der Demokratie zu beteiligen.
„Politische Bildung ist eine Daueraufgabe“
Auch Lisi Maier vom Deutschen Bundesjugendring begrüßte ausdrücklich, dass politische Bildung „nicht neutral“ sein dürfe, sondern mit einem Bekenntnis zu den demokratischen Prinzipien einhergehen müsse. Zugleich warnte sie davor, politische Bildung nur als einen „Brandlöscher“ im Fall von rechtsextremistischen Übergriffen oder bei einem Anwachsen rechtsextremistischer Übergriffe zu begreifen.
Politische Bildung sei nicht nur ein gesetzlich verbrieftes Recht, sondern eine Daueraufgabe. Kinder und Jugendliche müssten in die Lage versetzt werden, sich als politische Subjekte zu begreifen und zu handeln. Diese Erkenntnis müsse auf die Ebene der Länder und Kommunen transportiert werden, da diese maßgeblich für die politische Bildung zuständig seien. Um so mehr verwundere es, dass der Bundesrat den Kinder- und Jugendbericht lediglich „kommentarlos zur Kenntnis genommen“ habe, sagte Maier.
„Der politischen Bildung mehr Gewicht verleihen“
Der Bildungswissenschaftler Prof. Dr. Christian Palentien von der Universität Bremen, er leitete als Vorsitzender die Sachverständigenkommission des Kinder- und Jugendberichts, mahnte, dass der politischen Bildung mehr Gewicht während der gesamten Lebensspanne junger Menschen von der frühen Kindheit bis ins späte Jugendalter verliehen werden müsse. Der Bericht fordere beispielsweise konkret ein Minimum von zwei Stunden Politikunterricht in der Woche für alle Schulformen.
Zudem forderte Palentien mehr konkrete Mitbestimmungsmöglichkeiten junger Menschen zum Erlernen demokratischer Spielregeln. Teilhabe dürfe nicht nur simuliert werden.
„Politische Bildung finanziell ausreichend absichern“
Dieser Forderung schlossen sich Volker Rohde von der Bundesarbeitsgemeinschaft Offene Kinder- und Jugendeinrichtungen und der Sozialpädagoge Moritz Schwerthelm von der Universität Hamburg an. Aus dem Recht auf politische Bildung müsse ein Recht auf demokratisches Handeln abgeleitet werden, mahnten sie übereinstimmend. Zugleich forderten sie eine ausreichende finanzielle Absicherung der politischen Bildung auf allen Ebenen.
Vor allem in der Kinder- und Jugendarbeit in den Kommunen vor Ort müsse die Finanzierung weniger projektbezogen, sondern langfristig und strukturell sichergestellt werden, sagte Rohde. Schwerthelm mahnte, dass soziale Ungleichheit sehr oft auch zu politischer Ungleichheit führe und dass Partizipationsversuche benachteiligter junger Menschen nicht anerkannt würden.
„Politische Bildung im Corona-Aufholprogramm stärker berücksichtigen“
Regina Offer von der Bundesvereinigung der kommunalen Spitzenverbände begrüßte die Ergebnisse und Empfehlungen des Kinder- und Jugendberichts ausdrücklich. Dieser gebe eine gute Darstellung der Lebenssituation von Kindern und Jugendlichen.
Sie mahnte, dass die Sozialarbeit und die politische Bildung stärker im Corona-Aufholprogramm des Bundes für Kinder und Jugendliche berücksichtigt werden müssten.
16. Kinder- und Jugendbericht
Im ersten Teil des Berichts, einer Zeitdiagnose sowie einer Klärung des Verständnisses demokratischer und politischer Bildung vor dem Hintergrund aktueller gesellschaftlicher Entwicklungen, werden die konzeptionellen Grundlagen gelegt. Dargestellt werden gesellschaftliche „Megatrends“ sowie daraus resultierende Krisen, Anforderungen sowie Problem- und Konfliktlagen, mit denen sich das demokratische System in Deutschland und Europa heute konfrontiert sieht. Sie werden sowohl als Aspekte eines Bedrohungskomplexes für den Erhalt von Demokratie als auch als Herausforderungen für ihre Weiterentwicklung begriffen und beschreiben darüber hinaus das gesellschaftliche „Aufgabenportfolio“ der heutigen jungen Generation.
Als zentrale Schlagworte, die die Problembereiche und Debatten markieren, werden dargestellt: die Ambivalenzen der Globalisierung, Klimawandel und Naturzerstörung, die Bewältigung der Pandemie, Flucht und Migration, die Ambivalenzen der Digitalisierung, die Folgen des demografischen Wandels, Aufrüstung und Kriegsgefahr sowie ausgewählte Krisen und Herausforderungen der Demokratie.
Fragen institutioneller Rahmenbedingungen
Im zweiten Teil des Berichts finden sich Fragen institutioneller Rahmenbedingungen. Hierzu zählen die diversitätsorientierte politische Bildung in der (post-)migrantischen Gesellschaft, die politische Medienbildung, Europa, Transnationalisierung und globales Lernen, die Beratung, die Bundesprogramme im Bereich Demokratieförderung und Extremismusprävention sowie die Aus-, Fort- und Weiterbildung. Das Kapitel enthält zudem einen aktuellen Exkurs, der sich der Veränderung politischer Bildung unter den Auswirkungen der Corona-Pandemie widmet.
Im Mittelpunkt des dritten Teils stehen eine Bilanz und sich hieraus ergebende Handlungsempfehlungen. Wenn, so die Annahme, politische Bildung und politische Partizipation in einem engen Wechselverhältnis zueinander stehen, also einerseits Beteiligung an politischen Aktivitäten zur politischen Bildung motiviert und andererseits politische Bildung das Repertoire politischen Handelns erweitert, dann müssen laut Bericht in den sozialen Räumen hierfür die Voraussetzungen geschaffen werden. (aw/17.05.2021)