Fraktionen verurteilen antisemitische Ausfälle in Deutschland scharf
Vertreter aller Fraktionen haben am Mittwoch, 19. Mai 2021, im Bundestag die jüngsten antisemitischen Ausfälle bei pro-palästinensischen Kundgebungen in Deutschland scharf verurteilt. Zugleich mahnten Sprecher der Regierungskoalition und der Opposition eine entschiedene Bekämpfung des Antisemitismus in allen Erscheinungsformen an. Der Beauftragte der Bundesregierung für jüdisches Leben in Deutschland und den Kampf gegen Antisemitismus, Dr. Felix Klein, sagte, es sei angesichts der Shoa ein Skandal, dass sich Juden auch heute noch weder in Israel „noch zunehmend hier in Deutschland“ sicher fühlen könnten.
Regierungsbeauftragter: Antisemitismus in allen Formen bekämpfen
In den vergangenen Tagen habe sich auf deutschen Straßen unverblümt ein „wüster Judenhass“ gezeigt, „auch von vielen, deren eigene familiäre Wurzeln im Nahen und Mittleren Osten liegen“, konstatierte Klein. Die „böse Fratze des Antisemitismus“ zeige sich aber überall in der Gesellschaft, „auf Schulhöfen, im Internet, auf sogenannten Querdenker-Demos und in manchen universitären Seminaren“.
Die Dämonisierung und Delegitimierung Israels sei antisemitisch, und auch die Haftbarmachung in Deutschland lebender Juden für Israels Politik sei nichts anderes als Antisemitismus. Ihn gelte es in allen seinen Formen zu bekämpfen.
AfD: Regierung hat Judenhass aus dem Nahen Osten importiert
Beatrix von Storch (AfD) warf der Bundesregierung vor, sie habe mit ihrer Einwanderungspolitik „Judenhass aus dem Nahen Osten nach Deutschland importiert“.
Sie plädierte zugleich für ein Verbot der BDS-Bewegung sowie der „Grauen Wölfe“ und der Muslimbrüder. Zugleich forderte sie einen Stopp der Auslandsfinanzierung von Moscheen und die Auflösung der Islam-Konferenz.
SPD: Konflikte im Nahen Osten rechtfertigen Antisemitismus nicht
Michael Roth (SPD) entgegnete, die AfD dünge den Boden, auf dem Antisemitismus wachsen könne, und versage im Kampf gegen Judenhass. Rechter, linker und muslimischer Antisemitismus müssten alle entschlossen bekämpft werden.
Es sei eine Schande, was sich „auf Straßen und Plätzen in Deutschland und im Netz an Hass und Hetze über Jüdinnen und Juden ergießt“. Die massiven Konflikte im Nahen Osten seien keine Rechtfertigung für Antisemitismus.
FDP: Wir brauchen einen 360-Grad-Blick beim Antisemitismus
Benjamin Strasser (FDP) beklagte, dass auf deutschen Straßen und im Netz ein israelbezogener Antisemitismus „in aggressivster Form“ stattfinde. Spätestens seit dem Terroranschlag in Halle von 2019 sei fast allen Fraktionen bewusst, welche Gefahr der Rechtsextremismus für jüdisches Leben in Deutschland bedeuten.
Wer aber ohne rassistische Konnotation anmahne, dass es auch „in muslimischen Communities verfestigten Antisemitismus“ gebe, sei nicht islamophob, sondern leiste einen wichtigen Beitrag zur Debatte. „Wir brauchen einen 360-Grad-Blick bei der Benennung von Antisemitismus“, fügte Strasser hinzu.
Linke: Herausforderung aller demokratischen Parteien und Initiativen
Petra Pau (Die Linke) bezeichnete Antisemitismus als menschenverachtend und „hierzulande obendrein verfassungsfeindlich“. Ihre Partei lehne „Antisemitismus ab, egal, in welchem Gewand und aus welcher Richtung er daherkommt“. Dass er unausrottbar erscheine, sei kein Grund zu Resignation, sondern ein Gebot, alle Kräfte und Mittel dagegen zu bündeln.
Der Kampf gegen Antisemitismus taugt nicht zur parteipolitischen Profilierung – er ist eine gemeinsame Herausforderung aller demokratischen Parteien und Initiativen„, fügte Pau hinzu.
Grüne: Relevanter Antisemitismus auch bei Zugezogenen
Dr. Konstantin von Notz (Bündnis 90/Die Grünen) sagte, dass “in dem Land, das die Shoa als Menschheitsverbrechen und beispiellosen Zivilisationsbruch zu verantworten hat„, Juden im Jahr 2021 Angst um sich, ihre Familien und Gotteshäuser haben müssten, sei “schrecklich, beschämend und absolut inakzeptabel„.
Dabei gebe es relevanten Antisemitismus auch bei Zugezogenen in Deutschland, betonte er und fügte hinzu, die Versammlungs- und Meinungsfreiheit höre “da auf, wo Antisemitismus anfängt„.
CDU/CSU: Großteil antisemitischer Straftaten politisch rechts motiviert
Dr. Mathias Middelberg (CDU/CSU) verwies darauf, dass der Großteil der antisemitischen Straftaten politisch rechts motiviert sei, doch solche Delikte auch aus anderen Milieus zu verzeichnen seien. Wenn angesichts der Straftaten vom vergangenen Wochenende von “zugewandertem Antisemitismus„ gesprochen werde, halte er dies für richtig.
Der schon immer in Deutschland verankerte und teilweise aus der Mitte der Gesellschaft kommende Antisemitismus sei schärfstens zu verurteilen, doch müsse man auch sich den neuen Erscheinungsformen von Antisemitismus stellen.
Bericht der Bundesregierung
Zu der Debatte lag der Bericht der Bundesregierung über den Umsetzungsstand und die Bewertung der Handlungsempfehlungen des Unabhängigen Expertenkreises Antisemitismus vor (19/22389). Er zeigt den Autoren zufolge, dass die Bekämpfung des Antisemitismus unverändert eine zentrale Aufgabe sowohl für die Politik, für die Sicherheitsbehörden und die weiteren staatlichen Institutionen als auch für die ganze Gesellschaft bleibt.
Ferner befasste sich das Parlament erstmals mit einem Antrag der FDP-Fraktion mit dem Titel “Jüdische Vielfalt in Deutschland – Bedürfnisse und Perspektiven von Jüdinnen und Juden respektieren und berücksichtigen„ (19/29743), wonach die Bundesregierung passgenaue Schutzkonzepte für jüdische Einrichtungen entwickeln und dabei eine engere und regelmäßige Abstimmung zwischen den jüdischen Gemeinden, den Behörden und der Polizei verankern sowie flächendeckend Meldestellen für antisemitische Vorfälle etablieren soll. Beide Vorlagen wurden zur weiteren Beratung an den federführenden Innenausschuss überwiesen. (sto/19.05.2021)