Von Optimierung bis hin zu einem regulatorischen Neuansatz reichte die Bandbreite der Meinungen der zehn Sachverständigen aus Justiz, Wissenschaft, Medien und Medienrecht in einer zweieinhalbstündigen öffentlichen Anhörung im Ausschuss für Recht und Verbraucherschutz am Mittwoch, 15. Mai 2019, zum Thema Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG). Anlass der Sitzung unter Leitung des Ausschussvorsitzenden Stephan Brandner (AfD) waren Gesetzentwürfe der AfD (19/81) zur Aufhebung und der Fraktion Die Linke (19/218) zur teilweisen Aufhebung des NetzDG sowie ein Antrag der Abgeordneten von Bündnis 90/Die Grünen (19/5950), die Nachbesserungen fordern, um die Nutzerrechte in sozialen Netzwerken zu stärken, und mehrere Artikel eines Gesetzentwurfs der FDP-Fraktion zur Stärkung der Bürgerrechte (19/204 ), in dem ebenfalls die Aufhebung des NetzDG gefordert wird.
Kritik am NetzDG
Das noch kurz vor der Bundestagswahl 2017 verabschiedete Gesetz zur Verbesserung der Rechtsdurchsetzung in sozialen Netzwerken, wie es eigentlich heißt, verpflichtet Betreiber von Internet-Plattformen wie Facebook und Twitter zur zügigen Löschung strafbarer Inhalte. Kritiker sehen in dem Gesetz einen Eingriff in das Recht der freien Meinungsäußerung und bemängeln unter anderem eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung.
Die Abgeordneten konzentrierten sich mit ihren Fragen an die Sachverständigen auf verfassungsrechtliche Probleme bei der Durchsetzung des NetzDG und die Effektivität der damit verbundenen Arbeitsabläufe. Im Detail wollten sie wissen, wie Sperrungen, Löschungen und Wiedereinstellungen ablaufen. Fragen gab es auch zu Möglichkeiten der Weiterentwicklung und Verbesserung des Gesetzes, zu den Aussichten für gemeinschaftliche Standards der Netzwerke sowie zur Verteilung der Zuständigkeiten zwischen Bund und Ländern.
„Im Einzelfall besteht weiterhin Optimierungsbedarf“
Heinz-Josef Friehe, der Präsident des Bundesamtes für Justiz (BfJ), der für die Durchführung des Gesetzes zuständigen Verwaltungsbehörde, erklärte in seinem Statement, nach Einschätzung seiner Behörde sei das NetzDG geeignet, die Durchsetzung des geltenden Rechts im Bereich der Internetkriminalität zu verbessern. Aus Sicht des BfJ bestehe im Einzelfall sowohl im Bereich der sogenannten Meldewege der Netzwerke als auch im Bereich des Beschwerdemanagements und des Berichtsverhaltens dennoch weiterhin Optimierungsbedarf.
Bei der Prüfung der Meldewege als einem Schwerpunkt der Tätigkeit des BfJ gehe es um die Frage, ob die großen sozialen Netzwerke mit mindestens zwei Millionen registrierten Nutzern im Inland jeweils ein leicht erkennbares, unmittelbar erreichbares und ständig verfügbares Verfahren zur Übermittlung von Beschwerden über rechtswidrige Inhalte zur Verfügung stellen.
Für die Beibehaltung der NetzDG-Regeln
Sonja Boddin vom Hamburger Verein ichbinhier, der Aufklärungs- und Bildungsarbeit zum Thema Diskussionskultur in den sozialen Medien betreibt, sprach sich nach den Erfahrungen mit dem NetzDG für die Beibehaltung der darin enthaltenen Regeln aus. Nachbesserungen sollte es jedoch unter anderem beim Beschwerdemanagement, den Anhörungspflichten und dem Umgang mit der Löschung rechtmäßiger Inhalte geben.
Bei aller Kritik sei positiv anzumerken, dass die Pflichten wie auch insgesamt die Diskussion um das NetzDG zu einer erkennbar gesteigerten Sensibilität der Netzwerkbetreiber für die Themen Hassrede und Desinformation geführt haben und dass sie ihrer Verantwortung heute deutlich mehr nachkommen als noch vor zwei Jahren.
„Kritik an bußgeldbewehrten Löschfristen unberechtigt“
Prof. Dr. Martin Eifert von der Juristischen Fakultät der Berliner Humboldt-Universität wies Vorwürfe einer Verfassungswidrigkeit des Gesetzes zurück. Die Ausgestaltung des Grundansatzes, die Betreiber sozialer Netzwerke in die Verantwortung für Straftatbestände zu nehmen, erfolge in verfassungsgemäßer Weise, könne aber noch weiter optimiert werden.
Die verfassungsrechtliche Kritik an den bußgeldbewehrten Löschfristen und auch an der privaten Rechtsdurchsetzung, also der Löschung, durch die Netzwerke sei unberechtigt.
„Auf dem richtigen Kurs gegen Hasskriminalität im Internet“
Auch der Hamburger Oberstaatsanwalt Michael Elsner, der für den Deutschen Richterbund (DRB) sprach, sieht den Gesetzgeber mit dem NetzDG grundsätzlich auf dem richtigen Kurs, um Hasskriminalität im Internet, die das politische Klima in der Bundesrepublik Deutschland vergiften, zu bekämpfen.
Das Gesetz habe jedoch die Möglichkeiten für die Strafverfolgungsbehörden nicht verbessert. Nach wie vor bestehe eine faktische Strafbarkeitslücke für die Verfolgung von Hasskriminalität im Internet und eine nicht nachvollziehbare Ungleichbehandlung von Telemediendienste- und Telekommunikationsanbietern bei der Beantwortung von Bestandsdatenanfragen.
„Illegale Inhalte haben bei Google keinen Platz“
Sabine Frank von Google Deutschland verwies darauf, dass für die Umsetzung des NetzDG zahlreiche Änderungen und Verbesserungen bei der Google-Tochter YouTube vorgenommen worden seien. Illegale Inhalte hätten in den Google-Diensten keinen Platz, sagte die Leiterin Regulierung, Verbraucher- und Jugendschutz. Ihren Angaben zufolge gingen 2018 rund 465.800 NetzDG-Meldungen bei YouTube ein. 94 Prozent der gemeldeten Inhalte seien innerhalb von 24 Stunden nach Erhalt einer Rechtsbeschwerde entfernt worden.
Zu den von Google vorgeschlagenen Änderungen am NetzDG gehört Frank zufolge eine Überarbeitung des Katalogs der Straftaten, um den Zweck des Gesetzes, Hassrede und Gewalt in sozialen Netzwerken einzudämmen, wirksam erfüllen zu können.
„Formell und materiell verfassungswidrig“
Der Medienrechtler Prof. Dr. iur. Hubertus Gersdorf von der Universität Leipzig forderte dagegen in seiner Stellungnahme, das NetzDG aufzuheben, weil es formell und materiell verfassungswidrig sei. Soziale Netzwerke seien laut NetzDG Telemedien, und für diese seien die Länder zuständig. Das Gesetz kollidiere mit dem Rundfunkstaatsvertrag und verstoße gegen die Meinungs- und Medienfreiheiten des Grundgesetzes.
Gersdorf bemängelte, dass die Gefahr des sogenannten Overblockings dadurch verstärkt werde, dass Anbieter sozialer Netzwerke nicht verpflichtet seien, den betroffenen Nutzer vor der Entscheidung über die Löschung seines Inhalts anzuhören.
„NetzDG hat wichtige Impulse gesetzt“
Die Sicht der Landesmedienanstalten legte Cornelia Holsten, Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt, dar. Die Landesmedienanstalten sind zuständig für die Zulassung und Aufsicht im privaten Hörfunk und Fernsehen sowie im Internet. Das NetzDG habe wichtige Impulse gesetzt, sagte Holsten. Zugleich werfe es jedoch eine Reihe von Fragen auf, die im Zuge von Nachbesserungen lösbar wären.
So sollten Überschneidungen im Umgang mit strafrechtsrelevanten Inhalten vermieden werden, denn es sei theoretisch möglich, dass ein Fall von vier Stellen geprüft wird: der Staatsanwaltschaft, dem BfJ, einer Selbstkontrolleinrichtung und der Landesmedienanstalt. Auch sollte die Rechtsdurchsetzung beim Verfasser von Hate Speech ansetzen.
Abgestimmte Plattform- und Telemedienregulierung als Ziel
Mag. Dr. Matthias C. Kettemann vom Hamburger Leibniz-Institut für Medienforschung erklärte, mit Blick auf die vorliegenden Anträge und die Debatte im Rechtsausschuss sowie die von einer großen Mehrheit gesellschaftlicher Akteure geäußerte Kritik verfüge der Gesetzgeber über eine ausreichende Wissensbasis, um das NetzDG weiterzuentwickeln.
Ziel sollte eine sensibel aufeinander abgestimmte Plattform- und Telemedienregulierung sein, die besonders gefährdete Gruppen schützt und das Internet als Raum der Ausübung der Grundrechte sichert.
„Auf dem Auge der Kommunikationsfreiheit weitgehend blind“
Der Rechtswissenschaftler Prof. Dr. Alexander Peukert von der Goethe-Universität Frankfurt am Main sagte, weder die Sichtweise des Gesetzgebers noch die der Gegner des NetzDG gewährleisteten eine ausgewogene Regulierung sozialer Netzwerke. Wie im Antrag der Grünen zur Weiterentwicklung des NetzDG dargelegt werde, sei vielmehr ein ganzheitlicher Regulierungsansatz gefragt, der darauf abziele, die Kommunikation in sozialen Netzwerken so zu regulieren, dass rechtswidrige Inhalte möglichst gelöscht und rechtmäßige Kommunikation nicht willkürlich beeinträchtigt wird.
Peukert legte einen Gesetzentwurf zur Änderung des NetzDG vor, mit dem „das auf dem Auge der Kommunikationsfreiheit weitgehend blinde NetzDG“ um den Aspekt einer Gewährleistungspflicht für die rechtsgleiche Informations- und Meinungsfreiheit ergänzt werden solle.
„Akt demokratischer Hygiene“
Der Hamburger Rechtsanwalt Joachim Nikolaus Steinhöfel, dessen Kanzlei zahlreiche Verfahren gegen Betreiber sozialer Medien führt und unter anderem Grundsatzentscheidungen zugunsten von Nutzern erstritten hat, deren Inhalte rechtswidrig gelöscht oder die gesperrt wurden, bezeichnete es als einen Akt demokratischer, parlamentarischer und gesetzgeberischer Hygiene, das NetzDG aufzuheben.
Die teilweise vernünftigen Änderungs- und Ergänzungsvorschläge sämtlicher Oppositionsparteien sowie die erhaltenswerten Vorschriften des NetzDG – zu denen Steinhöfel das Beschwerdesystem, die Berichts- und Transparenzpflichten und den Zustellungsbevollmächtigten zählte – sollten in andere Gesetze wie das Telemediengesetz oder in ein neu zu formulierendes Gesetz, in dessen Mittelpunkt die Freiheits- und Bürgerrechte im Internet stehen sollten, aufgenommen werden.
Gesetzentwurf der AfD
Das noch kurz vor der Bundestagswahl 2017 verabschiedete Netzwerkdurchsetzungsgesetz (NetzDG), das Betreiber von Internet-Plattformen wie Facebook und Twitter zur zügigen Löschung strafbarer Inhalte verpflichtet, soll nach dem Willen der AfD-Fraktion wieder aufgehoben werden. Das Gesetz stelle „einen schwerwiegenden Eingriff in das Recht der freien Meinungsäußerung dar“, schreiben die Abgeordneten zur Begründung. Aufgrund „nicht legaldefinierter Begriffe“ wie „Hasskriminalität“ oder „strafbare Falschnachrichten“ bestehe „eine nicht von der Hand zu weisende Gefahr eines über Gebühr ausgedehnten Anwendungsbereichs der Strafmaßnahmen des NetzDG gegen jede abweichende Meinung“.
Die Fraktion beklagt zudem „eine Privatisierung der Rechtsdurchsetzung, denn die Entscheidung über die Rechtswidrigkeit der Kommentare obliegt entweder den Betreibern der sozialen Netzwerke oder den durch sie finanzierten Einrichtungen zur Regulierten Selbstregulierung“, wodurch „dem Rechtsstaat die Verantwortung entzogen wird“. Im Gegensatz zu rechtswidrigen oder falschen Inhalten im Rundfunk- oder Verlagswesen, die „regelmäßig bis zur endgültigen Klärung des Sachverhalts über den Rechtsweg der ordentlichen Gerichte weder widerrufen noch gelöscht werden“, seien „die Netzwerkbetreiber angehalten, bereits beim Verdacht auf Rechtswidrigkeit die Kommentare unverzüglich selbst zu löschen“. Den sogenannten sozialen Netzwerken bescheinigt die AfD-Fraktion, sie ergänzten „die politisch-gesellschaftliche Debatte um ein Meinungsspektrum, welches aufgrund der jahrzehntelang gewachsenen politisch-medialen Vernetzung des Rundfunk- und Verlagswesens einer Selbstzensur zum Opfer gefallen ist oder aus Gründen politischer Opportunität unterdrückt wird“.
Gesetzentwurf der Linken
Der Gesetzentwurf der Linken sieht dagegen vor, das am 1. Oktober 2017 in Kraft getretene NetzDG teilweise aufzuheben. „Die Wichtigkeit der Bekämpfung sogenannter Hate Speech unter Wahrung der Kommunikationsfreiheit im Netz sollte unstrittig sein“, schreibt die Fraktion darin. Das aktuelle Gesetz sei allerdings „breiter Kritik ausgesetzt“ und erwecke „erhebliche Zweifel an der Verfassungs- und Europarechtskonformität“.
Der Gesetzentwurf sieht vor, dass insbesondere „die Vorgaben zur Gestaltung des Beschwerdemanagements durch Anbieter sozialer Netzwerke“ entfallen. Erhalten bleiben sollten dagegen „unstrittige“ Regelungen wie „die Verpflichtung zur Benennung eines inländischen Zustellungsbevollmächtigten, die grundsätzliche Verpflichtung, ein zugängliches Verfahren zur Übermittlung von Beschwerden anzubieten und ein Verfahren zum Umgang damit vorzuhalten, sowie ein verpflichtendes Berichtswesen über diese Verfahren“.
Antrag der Grünen
Die Grünen wollen das NetzDG weiterentwickeln. In ihrem Antrag fordern sie Nachbesserungen, um die Nutzerrechte zu stärken und die Meinungsfreiheit in sozialen Netzwerken sicherzustellen. So fehle beispielsweise ein die Meinungsfreiheit wahrendes Verfahren, mit dem zu Unrecht gelöschte oder gesperrte Inhalte zeitnah wieder eingestellt werden, heißt in dem Antrag. Auch fehle eine Clearingstelle für Streitfälle. Einige Vorgaben des NetzDG seien so vage, dass sie von den Betreibern sozialer Netzwerke uneinheitlich und damit für die Nutzerinnen und Nutzer unbefriedigend umgesetzt worden seien.
Der Bundestag solle die Bundesregierung daher auffordern, mehrere Paragrafen des Gesetzes zu überarbeiten und eine rechtliche Einschätzung zur Grundrechtsbindung für Betreiber sozialer Netzwerke und den Auswirkungen auf die Gemeinschaftsstandards vorzulegen. (mwo/15.05.2019)
Liste der geladenen Sachverständigen
- Sonja Boddin, ichbinhier e. V., Hamburg, 2. Vorsitzende
- Prof. Dr. Martin Eifert, LL.M. (Berkeley), Humboldt-Universität zu Berlin, Lehrstuhl für Öffentliches Recht, insbesondere Verwaltungsrecht
- Michael Elsner, Deutscher Richterbund, Bund der Richterinnen und Richter, Staatsanwältinnen und Staatsanwälte e.V. (DRB), Oberstaatsanwalt, Staatsanwaltschaft Hamburg
- Sabine Frank, Google Germany GmbH, Leiterin Regulierung, Verbraucher- und Jugendschutz, Berlin
- Prof. Dr. iur. Hubertus Gersdorf, Universität Leipzig
- Cornelia Holsten, Direktorin der Bremischen Landesmedienanstalt, Vorsitzende der Direktorenkonferenz der Landesmedienanstalten und der Zulassung für Kommission und Aufsicht
- Mag. Dr. Matthias C. Kettemann, LL.M. (Harvard), Leibniz-Institut für Medienforschung | Hans-Bredow-Institut (HBI), Hamburg
- Prof. Dr. Alexander Peukert, Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt, Lehrstuhl für Bürgerliches Recht und Wirtschaftsrecht mit Schwerpunkt im internationalen Immaterialgüterrecht
- Joachim Nikolaus Steinhöfel, Rechtsanwalt, Hamburg
- Heinz-Josef Friehe, Präsident des Bundesamtes für Justiz, Bonn