Die von der Bundesregierung geplante Änderung des Staatsangehörigkeitsgesetzes (19/28674) mit dem Ziel, einen gesetzlichen Rahmen zur Einbürgerung früherer NS-Verfolgter und deren Nachkommen zu schaffen, stieß am Montag, 7. Juni 2021, bei einer Sachverständigen-Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat unter dem Vorsitz von Andrea Lindholz (CDU/CSU) auf Zustimmung. Wie die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf ausführt, hatte das Bundesinnenministerium 2019 Erlassregelungen in Kraft gesetzt, durch die Nachfahren NS-Verfolgter, die staatsangehörigkeitsrechtlich Nachteile erlitten haben, aber nicht unter den Anspruch aus Artikel 116 Absatz 2 des Grundgesetzes fallen, die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten können.
„Berücksichtigt wurden auch Kinder deutscher und früherer deutscher Staatsangehöriger, die bei Geburt vor dem 1. Januar 1975 beziehungsweise vor dem 1. Juli 1993 in geschlechterdiskriminierender Weise vom Abstammungserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen waren, sowie deren Abkömmlinge“, heißt es in der Vorlage weiter. Diese Erlassregelungen sollten nun „in gesetzliche Anspruchsgrundlagen übergeleitet“ werden. Dabei erfolge die gesetzliche Verankerung auch, „um den Wiedergutmachungsregelungen das von Betroffenenseite geforderte symbolische Gewicht zu geben“.
Neue Einbürgerungsansprüche für Personengruppen
Von einem Meilenstein sprach Dr. Nicholas Courtman, der zur Geschichte des Staatsangehörigkeitsrechts und der Einbürgerungspraxis in der Bundesrepublik Deutschland mit einem besonderen Schwerpunkt auf die staatsangehörigkeitsrechtliche Behandlung NS-Verfolgter forscht. Paragraf 15 Staatsangehörigkeitsgesetz nehme möglichst viele Aspekte nationalsozialistischen staatsangehörigkeitsrechtlichen Unrechts in den Blick.
Er erweitere bisher verschiedenartig eingeschränkte oder zeitlich befristete und inzwischen ausgelaufene Einbürgerungsansprüche für NS-Verfolgte, die die deutsche Staatsangehörigkeit im Zusammenhang mit nationalsozialistischer Verfolgung verloren haben, sowie für deren Nachfahren, sagte Courtman. Gleichzeitig etabliere er neue Einbürgerungsansprüche für Personengruppen, „für die es bisher keine Einbürgerungsansprüche gegeben hat“.
Wiedergutmachungsgedanke für Verfolgte und deren Abkömmlinge
Aus Sicht von Prof. Dr. Dr. h. c. Kay Hailbronner von der Universität Konstanz trägt die geplante Regelung umfassend dem Wiedergutmachungsgedanken für Verfolgte des NS-Regimes und deren Abkömmlinge Rechnung. In Paragraf 15 würden alle Fälle ausreichend erfasst, in denen der staatsangehörigkeitsrechtliche Verlust nicht in der Entziehung der Staatsangehörigkeit besteht, „sondern andere verfolgungsbedingte Ursachen maßgeblich sind“.
Verfassungsrechtlich bestünden gegen eine Erweiterung der verfolgungsbedingten Wiedergutmachungseinbürgerungen keine Bedenken, sagte er.
„Wiedergutmachung der bisher mangelhaften Wiedergutmachung“
Die Regelung sei ein „Versuch der Wiedergutmachung der bisher mangelhaften Wiedergutmachung“, sagte Prof. Dr. Tarik Tabbara von der Hochschule für Wirtschaft und Recht Berlin. Dies hätte im Gesetz auch so benannt werden sollen, befand er. Gleichwohl tue der Gesetzentwurf „mehr als das absolut Notwendige“. Tabbara nannte es sehr erfreulich, dass sich die Bundesregierung dazu durchgerungen hat, diese Frage gesetzlich zu regeln.
Allerdings dürfe dies keine abschließende Regelung darstellen, auch wenn versucht worden sei, alle Fallgruppen abzudecken. Auch Menschen mit einem Verfolgungsschicksal, das mit dem Gesetz nicht abgedeckt wird, dürften „nicht hinten runterfallen“.
„Anwendungsprobleme mit Verwaltungsvorschriften lösen“
Dr. Ferdinand Weber von der Universität Göttingen machte deutlich, dass bei der Ausgestaltung staatsangehörigkeitsrechtlicher Erwerbstatbestände dem Gesetzgeber ein weiter staats- und völkerrechtlicher Spielraum zustehe. In diesen fügten sich die Widergutmachungsvorschriften ein, so der Europarechtsexperte.
„Das Europarecht hält hier keine Vorgaben bereit“, sagte er. Die Regelungen in Paragraf 15 hält Weber für sachgerecht. Praktischen Anwendungsproblemen der Norm könne durch konkretisierende Verwaltungsvorschriften begegnet werden.
Expertin weist auf Ungleichbehandlung hin
Die auch im Staatsangehörigkeitsrecht tätige Rechtsanwältin Dr. Esther Weizsäcker machte ebenfalls deutlich, dass das Gesetz nicht als abschließende Regelung empfunden werden dürfe. Sie verwies unter anderem darauf, dass jene NS-Verfolgten ausgeschlossen seien, die nach 1945 bereits wieder eingebürgert wurden und die deutsche Staatsangehörigkeit danach durch Erwerb einer anderen Staatsangehörigkeit verloren haben.
Die hieraus resultierenden Ungleichbehandlungen seien problematisch. Auch in diesen Fällen müssten die Folgen der NS-Zeit bei einem erneuten Antrag auf Einbürgerung im Rahmen der Ausübung des Ermessens berücksichtigt werden, verlangte Weizsäcker.
Kritik an weitergehenden Änderungen im Entwurf
In dem Gesetzentwurf würden Anregungen aus einer von ihm schon im Oktober 2019 zu dem Thema gefertigten Stellungnahme aufgegriffen, sagte der Privatdozent Dr. Ulrich Vosgerau. Das begrüße er.
Kritikwürdig sei aber, dass die Anpassung des Wiedereinbürgerungsanspruchs seitens der Bundesregierung benutzt werde, „um auch weitere Änderungen des Rechts des Erwerbs der deutschen Staatsbürgerschaft durchzusetzen, die mit dem Wiedergutmachungsgedanken und dem NS-Unrecht gar nichts zu tun haben“.
Historische Verantwortung Deutschlands
Aus Sicht von Prof. Dr. Kyrill-Alexander Schwarz von der Julius-Maximilians-Universität Würzburg trägt die gesetzliche Regelung dem Bekenntnis der Bundesrepublik zur historischen Verantwortung Deutschlands gegenüber denjenigen, die durch das NS-Regime staatsangehörigkeitsrechtliche Nachteile erlitten haben, Rechnung.
Gerade in Ansehung des historisch einmaligen Unrechts erscheine es vor diesem Hintergrund auch sachgerecht, Ansprüche auf Wiedereinbürgerung weder zu befristen noch – als Konkretisierung des sogenannten „Generationenschnitts“ eine Begrenzung des Kreises der Abkömmlinge vorzusehen, urteilt Schwarz.
Streit über eine schriftliche Stellungnahme
Im Verlauf der Anhörung kam es zum Streit über die schriftliche Stellungnahme des Sachverständigen Vosgerau zu den ebenfalls auf der Tagesordnung stehenden Anträgen der Linksfraktion (19/19484) und der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen (19/19552).
Nach Aussage der Sachverständigen Weizsäcker habe diese „eindeutig rassistische Inhalte“, was Vosgerau anders bewertete. Die Ausschussvorsitzende Andrea Lindholz kündigte schließlich an, die Stellungnahme durch den Ausschuss für Wahlprüfung, Immunität und Geschäftsordnung prüfen zu lassen.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Wie die Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf (19/28674) ausführt, hatte das Bundesinnenministerium 2019 Erlassregelungen in Kraft gesetzt, durch die Nachfahren NS-Verfolgter, die staatsangehörigkeitsrechtlich Nachteile erlitten haben, aber nicht unter den Anspruch aus Artikel 116 Absatz 2 des Grundgesetzes fallen, die deutsche Staatsangehörigkeit erhalten können.
„Berücksichtigt wurden auch Kinder deutscher und früherer deutscher Staatsangehöriger, die bei Geburt vor dem 1. Januar 1975 beziehungsweise vor dem 1. Juli 1993 in geschlechterdiskriminierender Weise vom Abstammungserwerb der deutschen Staatsangehörigkeit ausgeschlossen waren, sowie deren Abkömmlinge“, heißt es in der Vorlage weiter. Diese Erlassregelungen sollten nun „in gesetzliche Anspruchsgrundlagen übergeleitet“ werden. Dabei erfolge die gesetzliche Verankerung auch, „um den Wiedergutmachungsregelungen das von Betroffenenseite geforderte symbolische Gewicht zu geben“.
Antrag der Linken
Die Fraktion Die Linke dringt darauf, „das Staatsangehörigkeitsrecht umfassend zu modernisieren“. In ihrem Antrag (19/19484) fordert die Fraktion die Bundesregierung auf, einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Dabei sollen nach den Vorstellungen der Fraktion Mehrfachstaatsangehörigkeiten infolge einer Einbürgerung oder aufgrund der Geburt in Deutschland akzeptiert und „die Pflicht zur Aufgabe der bisherigen Staatsangehörigkeit“ entfallen. Einbürgerungsberechtigt solle sein, wer seit mindestens fünf Jahren seinen tatsächlichen Lebensmittelpunkt in Deutschland hat, sofern er zum Zeitpunkt der Antragstellung über einen rechtmäßigen Aufenthaltstitel verfügt.
Wie aus dem Antrag ferner hervorgeht, soll der Anspruch auf Einbürgerung unabhängig vom Einkommen oder dem sozialen Status der Betroffenen bestehen und insbesondere der Bezug von Leistungen nach dem Sozialgesetzbuch nicht ausschlaggebend sein. „Die Fähigkeit zur einfachen, alltagstauglichen, mündlichen Verständigung in der deutschen Sprache ist ausreichend“, heißt es in dem Antrag weiter. Danach sollen die Einbürgerungsgebühren deutlich abgesenkt werden, weil an Einbürgerungen ein öffentliches Interesse bestehe, wenn die Voraussetzungen erfüllt sind. Die Teilnahme an Staatsbürgerschaftskursen soll der Fraktion zufolge keine Einbürgerungsvoraussetzung sein.
Wie die Abgeordneten zudem ausführen, soll die deutsche Staatsangehörigkeit „grundsätzlich per Geburt in Deutschland verliehen“ werden. Ausreichend seien der rechtmäßige Aufenthaltsstatus und dauerhafte Wohnsitz eines Elternteils.
Antrag der Grünen
Für Erleichterungen bei der Einbürgerung macht sich die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen in ihrem Antrag (19/19552) stark. Danach soll die deutsche Staatsangehörigkeit fortan auch durch Geburt im Inland erworben werden, wenn ein Elternteil rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Der „Optionszwang im Staatsangehörigkeitsrecht, nach welchem sich junge Menschen mit doppelter Staatsbürgerschaft im Alter zwischen 18 und 23 Jahren zwischen dem deutschen und dem ausländischen Pass entscheiden müssen“, soll nach dem Willen der Fraktion abgeschafft und der Grundsatz der Vermeidung von Mehrstaatigkeit aufgegeben werden.
Ferner plädieren die Abgeordneten dafür, dass die „Anspruchseinbürgerung“ künftig allen offensteht, die in Besitz einer Aufenthaltserlaubnis oder Niederlassungserlaubnis sind oder aus anderen Gründen aufenthalts- oder freizügigkeitsberechtigt sind. Die Mindestaufenthaltsdauer für die Einbürgerung soll laut Vorlage auf fünf Jahre herabgesetzt werden, „für anerkannte Flüchtlinge und ihnen gleichgestellte Personen auf drei Jahre“. Familienangehörige einbürgerungswilliger Personen sollen dem Antrag zufolge früher „miteingebürgert“ werden können.
Zudem fordert die Fraktion, den Nachweis der Sicherung des Lebensunterhalts von jungen Menschen in der Ausbildung sowie von Studierenden nicht mehr und von älteren Menschen nur noch eingeschränkt zu verlangen. Darüber hinaus zielt der Antrag unter anderem darauf ab, Kenntnisse der deutschen Sprache „von Menschen, die sie insbesondere aufgrund von Krankheit, Behinderung oder Alter nicht erwerben können, nicht mehr oder nur noch eingeschränkt“ zu verlangen. (hau/sto/08.06.2021)