Wirtschaftsverbände befürchten eine zu einseitige Lastenverteilung zuungunsten deutscher Unternehmen nach Inkrafttreten des Lieferkettengesetzes. Insgesamt sprach sich eine breite Mehrheit von Sachverständigen in einer Anhörung des Ausschusses für Arbeit und Soziales unter Leitung von Dr. Matthias Bartke (SPD) am Montag, 17. Mai 2021, dennoch für ein solches Gesetz aus.
Grundlage der Anhörung war der Entwurf der Bundesregierung für ein Gesetz über unternehmerische Sorgfaltspflichten in Lieferketten (19/28649, 19/29592), vier im Ausschuss eingebrachte Änderungsanträge der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen zum Regierungsentwurf sowie ein Antrag der Fraktion Die Linke (19/29279), in dem diese eine grundlegende Überarbeitung des Gesetzentwurfs fordert.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Die Bundesregierung will Unternehmen mit ihrem Gesetzentwurf (19/28649, 19/29592) verpflichten, menschenrechtliche Standards in all ihren globalen Produktionsstätten einzuhalten. Die Verantwortung der Unternehmen soll sich auf die gesamte Lieferkette erstrecken, abgestuft nach den Einflussmöglichkeiten. Die Pflichten sollen durch die Unternehmen in ihrem eigenen Geschäftsbereich sowie gegenüber ihren unmittelbaren Zulieferern umgesetzt werden.
Mittelbare Zulieferer sollen einbezogen werden, sobald das Unternehmen über substanzielle Kenntnisse von Menschenrechtsverletzungen auf dieser Ebene verfügt. Die Unternehmen werden verpflichtet, eine menschenrechtliche Risikoanalyse durchzuführen, Präventions- und Abhilfemaßnahmen zu ergreifen, Beschwerdemöglichkeiten einzurichten und über ihre Aktivitäten zu berichten.
Streitpunkt Prozessstandschaft
Kritik von den Wirtschaftsverbänden gab es unter anderem wegen der vorgesehenen sogenannten Prozessstandschaft, also der Möglichkeit für Betroffene, die sich in ihren Rechten verletzt sehen, sich in ihrer Klage von Nichtregierungsorganisationen (NGOs) unterstützen zu lassen. Neue zivilrechtliche Haftungsregelungen sieht der Gesetzentwurf dagegen nicht vor, ein Punkt, an dem Wirtschaftsverbände erhebliche Zweifel äußerten.
So kritisierte Alexander Gunkel von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände (BDA), das Gesetz schließe eine solche zivilrechtliche Haftung keineswegs aus, es bestünden weiter Haftungsmöglichkeiten nach dem Bürgerlichen Gesetzbuch. „Man muss den Eindruck haben, dass eine solche Haftung durchaus gewollt ist. Das ist eine große Gefahr für die Unternehmen.“
„Zu viele unbestimmte Rechtsbegriffe“
Für den Bundesverband der Deutschen Industrie bezeichnete Dr. Joachim Lang die Prozessstandschaft als „überflüssig“ und fügte hinzu: „Wir haben die Sorge, dass dies als Anreiz für medienwirksame Klagen von NGOs genutzt wird.“
Die BDA kritisierte außerdem, dass der Entwurf zu viele unbestimmte Rechtsbegriffe enthalte, aber keine Möglichkeit aufzeige, wie die Unternehmen die Widersprüche zwischen nationalen und internationalen Normen der ILO (Internationale Arbeitsorganisation) auflösen sollen. Dies sei eine Überforderung, betonte Gunkel.
„Gesetz wird für mehr Rechtssicherheit sorgen“
Für die zivilgesellschaftlichen Organisationen und Gewerkschaften verteidigte unter anderem der Deutsche Gewerkschaftsbund (DGB) und die Initiative Lieferkettengesetz den Entwurf. Er wurde jedoch mehrfach als nicht weitgehend genug bewertet. „Der gesetzgeberische Schritt ist konsequent, er wird für Rechtssicherheit sorgen“, sagte DGB-Vertreter Frank Zach. Johanna Kusch von der Initiative Lieferkettengesetz nannte den Entwurf einen Paradigmenwechsel, weg von einem freiwilligen Bekenntnis zu Menschenrechten hin zu rechtsverbindlichen Verpflichtungen.
Anders als von der BDA dargestellt, enthalte der Entwurf allerdings keine zivilrechtliche Haftung, betonte sie und ergänzte, dass sie das für falsch halte. Auch in Bezug auf die einbezogenen Unternehmen und Lieferketten sei der Entwurf nicht ausreichend, betonte sie. Annette Niederfranke von der ILO-Vertretung Deutschland regte an, beim Risikomanagement die Sozialpartner vor Ort und auch die internationalen Organisationen mit einzubeziehen und alle acht ILO-Kernarbeitsnormen als Tatbestand in das Gesetz aufzunehmen.
„Regelung der zivilrechtlichen Haftung fehlt“
Dr. Markus Krajewski, Professor für öffentliches Recht und Völkerrecht an Friedrich-Alexander Universität Erlangen-Nürnberg, kritisierte ebenso die fehlende Regelung der zivilrechtlichen Haftung.
In seiner Stellungnahme heißt es dazu: „Das führt zu erheblicher Rechtsunsicherheit und kann im Ergebnis zur Folge haben, dass die von dem Gesetz erfassten besonders großen Unternehmen im Fall einer zivilrechtlichen Schadensersatzklage bessergestellt werden als vom Gesetz nicht erfasste mittelständische Unternehmen, wenn diese sich gegen eine nach den allgemeinen Regeln erhobene Klage verteidigen müssen. Damit kann sich das Gesetz in seiner vorgelegten Fassung als mittelstandsfeindlich erweisen.“
Änderungsanträge der Grünen
Die Grünen haben im Ausschuss vier Änderungsanträge eingebracht, zu denen die Sachverständigen ebenfalls Stellung nehmen sollen. Sie betreffen die Reichweite der Sorgfaltspflicht, die Haftung, die Umwelt und den Anwendungsbereich. Die Fraktion schreibt, der Regierungsentwurf beziehe derzeit Tochterunternehmen, die keine Waren an das verpflichtete Unternehmen liefern, also nicht Teil von dessen Lieferkette sind, nicht in die Sorgfaltspflicht des Mutterunternehmens mit ein. Dies widerspreche den Leitprinzipien der Vereinten Nationen und der Unternehmenspraxis vieler Konzerne. Der Änderungsantrag beziehe daher auch diese Tochterunternehmen in die Sorgfaltspflicht der Mutter mit ein.
Zweitens wollen die Grünen mit einem eigenständigen deliktischen Haftungstatbestand im Sorgfaltspflichtengesetz und mit einer Beweislastregelung zugunsten Geschädigter Rechtssicherheit schaffen. Der dritte Änderungsantrag greift die Idee einer eigenständigen, umweltbezogenen Sorgfaltspflicht des Regierungsentwurfs auf und erweitert diese Pflicht um zwei weitere Umweltabkommen sowie eine umweltrechtliche Generalklausel. Der vierte Änderungsantrag der Grünen sieht vor, neben in Deutschland ansässigen Unternehmen auch außereuropäische Unternehmen zu erfassen.
Antrag der Linken
Die Linke fordert in ihrem Antrag (19/29279), das Lieferkettengesetz grundlegend nachzubessern. Nach Ansicht der Fraktion hat die Regierung die „historische Chance, Menschenrechte und Gerechtigkeit in der deutschen Wirtschaft wieder stärker zu verankern“, verpasst, heißt es in dem Antrag. Das Gesetz bleibe weit hinter den UNLP (Leitprinzipien für Wirtschaft und Menschenrechte der Vereinten Nationen) von 2011 zurück, betreffe nur 0,1 Prozent der Unternehmen und stärke die Rechte der Betroffenen kaum, kritisiert die Fraktion.
Sie verlangt deshalb von der Bundesregierung, einen neuen Entwurf vorzulegen, der alle Unternehmen, die mindestens 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter beschäftigen, kleine und mittlere Unternehmen in Risikosektoren wie der Textil-, Lebensmittel- und Automobilbranche sowie staatliche Unternehmen und die öffentliche Beschaffung umfasst. Der Entwurf soll sich ferner auf internationale Arbeits- und Sozialstandards beziehen, insbesondere auf die Kernarbeitsnormen der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) sowie das ILO-Abkommen 169 zur angemessenen Beteiligung indigener Völker und die ILO-Übereinkommen Nr. 177 über Heimarbeit und Nr. 190 über Gewalt und sexuelle Belästigung.
Negative Auswirkungen auf Menschenrechte verhüten
Die Unternehmen sollen in Verhältnismäßigkeit zu ihrer Größe verpflichtet werden, entlang der gesamten Lieferkette ein Verfahren zur Gewährleistung der menschenrechtlichen und umweltbezogenen Sorgfaltspflicht einzuführen, das darauf abzielt, negative Auswirkungen auf die Menschenrechte und Umwelt zu ermitteln, zu verhüten und zu mildern sowie Rechenschaft darüber abzulegen, wie sie diesen begegnen.
Die Linke fordert außerdem, durch die Schaffung eines deliktischen Haftungsbestands die Zuständigkeit deutscher Gerichte zu erweitern, sodass bei Menschenrechtsverstößen im Ausland Klagen vor deutschen Gerichten zulässig sind. Kollektivklagen und Verbandsklagen vor deutschen Gerichten, die zu einer unmittelbaren Entschädigung der Betroffenen und Beendigung der Sorgfaltspflichtverletzung führen, sollen ermöglicht werden. (che/17.05.2021)