Lösungswege zur Alterssicherung jüdischer Kontingentflüchtlinge
Der Bundestag hat am Donnerstag, 21. Februar 2019, erstmalig über einen gemeinsam von FDP, Die Linke sowie Bündnis 90/Die Grünen eingebrachten Antrag (19/7854) debattiert, mit dem die Oppositionsfraktionen die „Alterssicherung jüdischer Kontingentflüchtlinge verbessern“ wollen. Der Antrag wurde im Anschluss zur federführenden Beratung in den Ausschuss für Arbeit und Soziales überwiesen.
Linke: Lösen Sie das Problem – egal wie
Matthias W. Birkwald (Die Linke) sagte während der Debatte, zwischen 1991 und 2006 seien 216.000 sogenannte „jüdische Kontingentflüchtlinge“ aus den Nachfolgestaaten der Sowjetunion in Deutschland aufgenommen worden. Die Mehrzahl von ihnen sei damals schon zwischen 40 und 79 Jahre alt gewesen und habe eine akademische Bildung gehabt. Im Rentenalter seien nun viele auf Grundsicherung angewiesen, weil ihnen aufgrund eines fehlenden Sozialversicherungsabkommens zwischen Deutschland und den Nachfolgestaaten der Sowjetunion ihre dort erworbenen Rentenansprüche nicht anerkannt würden, sagte Birkwald.
Hier gebe es Handlungsbedarf. Insbesondere vor dem Hintergrund der Ungleichbehandlung im Vergleich zu den Spätaussiedlern aus der Sowjetunion, die Renten nach dem Fremdrentengesetz erhielten, bei dem Arbeitszeiten im Herkunftsland in deutsche Rentenansprüche umgewandelt würden. Der Linken-Abgeordnete sagte weiter, FDP, Linke und Grüne seien sich einig, dass etwas für die jüdischen Kontingentflüchtlinge getan werden müsse. Ob dies nun durch Anwendung des Fremdrentengesetzes oder über einen Härtefonds geschehe, sei egal. „Lösen Sie das Problem – egal wie“, rief Birkwald der Bundesregierung zu.
CDU/CSU: Ziel des Antrags nachvollziehbar
Für Max Straubinger (CDU/CSU) ist die Zielstellung des Antrags nachvollziehbar. Allein die unterschiedlichen Lösungsvorschläge machten deutlich, „dass das Thema sehr komplex ist“. Es dürfe nicht nur aus der Sicht dieser Betroffenen betrachtet werden, sondern aller, die möglicherweise eine weitere Unterstützung bräuchten.
Straubinger verwies auf die Bootsflüchtlinge aus Vietnam, die Bürgerkriegsflüchtlinge aus Syrien oder die Botschaftsflüchtlinge aus Albanien. Union und SPD, so der CSU-Politiker, hätten im Koalitionsvertrag die Schaffung eines Fonds für Härtefälle vereinbart. Was das Fremdrentengesetz angehe, so reicht dies seiner Auffassung nach auch nicht für eine Besserstellung aus. Im Übrigen sei das Fremdrentenrecht deutschen Volkszugehörigen zugedacht.
AfD: Hilfen aus Steuermitteln bezahlen
Dringenden Handlungsbedarf erkannte auch Ulrike Schielke-Ziesing (AfD) angesichts der rentenrechtlichen Schlechterstellung jüdischer Kontingentflüchtlinge im Vergleich zu Spätaussiedlern. Die Aufnahme in das Fremdrentengesetz ist aus Sicht der AfD-Abgeordneten „eine naheliegende Lösung“. Es gehe um 15.000 Kontingentflüchtlinge, die unterstützt werden müssten. „Hier ist die Bundesregierung dringend aufgefordert, zu handeln“, sagte Schielke-Ziesing.
Klar müsse dabei sein, dass die Hilfen aus Steuermitteln und nicht aus den Rentenkassen bezahlt werden müssten. Kritik übte Schielke-Ziesing aber auch an den Antragstellern. Sowohl die FDP als auch die Grünen seien schon in Regierungsverantwortung gewesen. „Warum sind Sie damals nicht tätig geworden?“, fragte die AfD-Abgeordnete.
Regierung: Weg über das Fremdrentengesetz geht nicht
Kerstin Griese (SPD), Parlamentarische Staatssekretärin im Bundesministerium für Arbeit und Soziales, machte deutlich, dass die Bundesregierung bestrebt sei, den Abschluss eines Sozialversicherungsabkommens mit den Nachfolgestaaten der Sowjetunion zu erreichen. „Das wäre die beste Lösung“, befand sie.
Gleichzeitig arbeite die Regierung aber auch an einem Härtefallfonds. Den Weg über das Fremdrentengesetz lehnte die Staatssekretärin ab. Diese Regelung sei eine absolute Ausnahme, die nicht verlängert werden sollte.
FDP: Nicht zu handeln ist keine Option
Aus Sicht von Johannes Vogel (FDP) braucht es klare politische Bekenntnisse für das jüdische Leben in Deutschland. Wenn bei Menschen, die im hohen Alter nach Deutschland eingeladen worden seien, trotz eines langen Arbeitslebens am Ende nur die Grundsicherung stehe, müsse etwas passieren, sagte er.
Dass die Bundesregierung selber im Koalitionsvertrag einen Prüfauftrag für eine Fondslösung vorgesehen habe, zeige, dass es offenbar keine grundlegenden Bedenken dagegen gebe, befand der FDP-Abgeordnete. Am Ende sei egal, welche Lösung es gebe. „Nicht zu handeln darf aber keine Option sein“, betonte Vogel.
Grüne: Historische Verantwortung wird ignoriert
Markus Kurth (Bündnis 90/Die Grünen) nannten den Vergleich der jüdischen Kontingentflüchtlinge mit den Bootsflüchtlingen „beschämend“. Damit ignoriere man die historische Verantwortung, die Deutschland habe.
Ihm dränge sich der Verdacht auf, dass die Bootsflüchtlinge wie auch die syrischen Bürgerkriegsflüchtlinge und andere Flüchtlingsgruppen lediglich instrumentalisiert werden, „um das Anliegen auf die lange Bank zu schieben oder ganz wegzudrängen“, sagte Kurth.
SPD: Es läuft auf eine Härtefallregelung hinaus
Ralf Kapschack (SPD) warnte davor, Erwartungen zu wecken, „die nicht haltbar sind“. Das Fremdrechtenrecht sei nicht nutzbar, weil es eine absolute Ausnahme darstelle und seine Kriterien bei den jüdischen Kontingentflüchtlingen nicht greifen würden.
Eine gesetzliche Rente könne es aber nur geben, wenn auch Beiträge eingezahlt wurden. Insofern kann es aus seiner Sicht nur auf eine Härtefallregelung hinauslaufen. Die Bundesregierung arbeite daran und werde auch entsprechende Vorschläge vorlegen, sagte Kapschack.
„Alterssicherung so schnell wie möglich verbessern“
Die drei Oppositionsfraktionen fordern die Bundesregierung auf, die Alterssicherung jüdischer Kontingentflüchtlinge so schnell wie möglich zu verbessern oder dem Bundestag bis dahin einen entsprechenden Gesetzentwurf vorzulegen. Als Lösung wird empfohlen, die Zusage im Koalitionsvertrag zwischen CDU, CSU und SPD umzusetzen, für Härtefälle in der Grundsicherung einen Ausgleich durch eine Fondslösung schaffen zu wollen.
Auch könnten Sozialversicherungsabkommen mit den betroffenen Nachfolgestaaten der Sowjetunion abgeschlossen werden, mit denen ein rückwirkender Ausgleich über Alterssicherungsleistungen erzielt wird. Darüber hinaus könnten jüdische Kontingentflüchtlinge rentenrechtlich mit Spätaussiedlern gleichgestellt werden. Dazu müsste das Fremdrentengesetz geändert werden, heißt es in dem Antrag.
Jüdische Zuwanderung seit 1991
Seit 1991 habe Deutschland über 200.000 jüdische Zuwanderinnen und Zuwanderer und ihre Familienangehörigen aus den Nachfolgestaaten der früheren Sowjetunion aufgenommen, heißt es in dem Antrag. Diese seien im Hinblick auf ihre materielle Situation im Alter häufig in einer schwierigen Lage.
Die Tatsache, dass es eine nennenswerte jüdische Zuwanderung gegeben hat, sei ein großes Glück und eine große Bereicherung für Deutschland, schreiben die Fraktionen. Auch die jüdischen Gemeinden in Deutschland profitierten bis heute von dieser Zuwanderung. (hau/sas/vst/21.02.2019)