Zeit:
Montag, 1. März 2021,
14 Uhr
Ort: Berlin, Paul-Löbe-Haus, Sitzungssaal E 700
Der Gesetzentwurf der Bundesregierung für mehr Sicherheit in der Informationstechnologie (19/26106, 19/26921) findet unter Sachverständigen durchweg wenig Zustimmung. Die Teilnehmer einer Anhörung des Ausschusses für Inneres und Heimat unter Vorsitz von Andrea Lindholz (CDU/CSU) begrüßten das Vorhaben eines „IT-Sicherheitsgesetzes 2.0“ am Montag, 1. März 2021, zwar im Grundsatz als „richtig und wichtig“, befanden es in der vorliegenden Fassung aber für völlig ungenügend.
Mit dem Entwurf will die Bundesregierung das seit 2015 bestehende IT-Sicherheitsgesetz fortschreiben. Vorgesehen sind unter anderem erweiterte Eingriffsbefugnisse für das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) sowie neben der technischen Kontrolle von Bauteilen der Netzinfrastruktur auch eine Überprüfung der politischen Vertrauenswürdigkeit der Hersteller. Gegenstand der Anhörung waren auch zwei Anträge der AfD-Fraktion (19/26225, 19/26226).
„Gesetzentwurf nur bedingt geglückt“
Für den Branchenverband Bitkom kritisierte Sebastian Artz die Vorlage als bereits im Entstehen überholt. Der Entwurf „blickt mehr zurück als gestaltend nach vorn“, formulierte Artz und erinnerte an die schnellen Innovationszyklen im IT-Sektor. Der „Stand der Technik“, auf den der Entwurf Bezug nehme, sei ein „volatiles Konstrukt“, das BSI als rein nationale Behörde auch gar nicht in der Lage, mit der Entwicklung immer Schritt zu halten.
Erforderlich seien ein „dynamisches Regelwerk“, das nicht allein die Vergangenheit reguliere, sowie ein Grundverständnis, in dem die Wirtschaft nicht als „Gegner“ erscheine. In der vorliegenden Fassung sei der Entwurf „nur bedingt geglückt“; er bedürfe dringend der Überarbeitung.
„Handlanger der Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste“
Die „Strategie- und Ziellosigkeit des gesamten Verfahrens“ geißelte Manuel Atug von der unabhängigen „Arbeitsgemeinschaft Kritische Infrastruktur“ (AG KRITIS), einem Zusammenschluss von derzeit 42 unabhängigen Fachleuten. Er nahm insbesondere den Zielkonflikt aufs Korn zwischen dem Interesse der Gesellschaft an einer „robusten und widerstandsfähigen“ IT- Infrastruktur und dem Wunsch staatlicher Stellen, Zugänge zu verschlüsselter Kommunikation offenzuhalten.
Einmal mehr sei die Chance vertan worden, das BSI „unabhängig aufzustellen“. Mit der ausdrücklichen Befugnis, erkannte Sicherheitslücken im Interesse der Strafverfolgung offenzuhalten und zu verheimlichen, sei es vielmehr zum „Handlanger der Sicherheitsbehörden und Nachrichtendienste“ geworden. Atug kritisierte überdies, dass auf eine Evaluierung des bestehenden Gesetzes verzichtet worden sei.
„Unbestimmtheit der Eingriffsvoraussetzungen“ bemängelt
Der Bonner Staatsrechtler Prof. Dr. Klaus F. Gärditz äußerte verfassungs- wie auch verwaltungsrechtliche Bedenken gegen den Paragrafen 9b des Entwurfs, der die Überprüfung der sicherheitspolitischen Vertrauenswürdigkeit ausländischer Anbieter von IT-Technologie regeln soll. Nachvollziehbar sei das Anliegen, die „digitale Souveränität“ gegen Versuche auswärtiger Mächte zu sichern, manipulierte Teile einzusetzen, „um unsere Netze angreifbar zu machen“.
Doch genüge die Formulierung keinem rechtsstaatlichen Erfordernis. Gärditz bemängelte die „Unbestimmtheit der Eingriffsvoraussetzungen“ und rügte, dass eine rechtliche Handhabe, um Entscheidungen zu überprüfen, nicht vorgesehen sei. In der derzeitigen Fassung sei die Regelung zudem praktisch kaum umsetzbar. Der Bundestag laufe hier Gefahr, mit der Verabschiedung einer „Placebo-Norm“ seine Glaubwürdigkeit zu beschädigen.
„Keine Strategie, keine Evaluierung“
Dr. Sven Herpig vom Berliner Verein „Stiftung Neue Verantwortung“ bemängelte die fehlende Einbindung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft sowie den Verzicht auf eine Evaluierung der Auswirkungen des bestehenden Gesetzes. Der Entwurf genüge zudem in keiner Weise dem Gebot des digitalen Verbraucherschutzes.
Nach wie vor werde es in Deutschland möglich sein, unsichere IT-Produkte auf den Markt zu bringen. „Keine Strategie, keine Evaluierung, schlechte Einbindung von Wissenschaft und Zivilgesellschaft“, lautete Herpigs Fazit.
„Ein herber Verlust für die Bürger“
Linus Neumann vom Chaos Computer Club forderte eine Strategie, die „kompromisslos auf IT-Sicherheit“ setzt. Dies sei im vorliegenden Entwurf nicht der Fall. Statt einer Verpflichtung für das BSI, sein Wissen über Schwachstellen in der Infrastruktur offenzulegen und diese zu beseitigen, sei die Behörde jetzt vielmehr angehalten, mit Blick auf „überwiegende Sicherheitsinteressen“ solche Lücken zu verheimlichen: „Dadurch verlieren wir die einzige vertrauenswürdige Institution. Das ist ein herber Verlust für die Bürger“, klagte Neumann.
Auf „weitere Verbesserungen“ des Entwurfs vor allem im Interesse der Wirtschaft drang Martin Schallbruch vom Digital Society Institute, einer Forschungseinrichtung der privaten Europäischen Hochschule für Management und Technologie in Berlin. Für die Unternehmen entstehe „wenig Mehrwert durch erweiterte Befugnisse des Staates“, so Schallbruch.
Gesetzentwurf der Bundesregierung
Die Bundesregierung will mit ihrem Gesetzentwurf (19/26106, 19/26921) den mit dem IT-Sicherheitsgesetz vom Juli 2015 geschaffenen Ordnungsrahmen „entsprechend dem Auftrag aus dem Koalitionsvertrag für die 19. Legislaturperiode“ erweitern.
Sie verweist darauf, dass die Gewährleistung der Cyber- und Informationssicherheit ein Schlüsselthema für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft sei, die gerade mit Blick auf die zunehmende Digitalisierung aller Lebensbereiche auf funktionierende Informations- und Kommunikationstechnik angewiesen seien.
Gefahrenpotenzial durch Cyber-Angriffe
Cyber-Angriffe stellten für Staat, Wirtschaft und Gesellschaft ein großes Gefahrenpotenzial dar, wobei die Angriffe qualitativ immer ausgefeilter und somit für alle Betroffenen auch gefährlicher würden. Das Bundesamt für Sicherheit in der Informationstechnik (BSI) beobachte einen stetigen Anstieg von Schadprogrammen; jährlich kämen mehr als 100 Millionen neue Varianten hinzu. Die zunehmende Verbreitung von Internet of Things (IoT)-Geräten verschärfe die Situation zusätzlich.
Insgesamt sei „Cyber-Sicherheit nicht statisch“ und ein aktuelles Schutzniveau „daher kein Garant für eine erfolgreiche Abwehr der Angriffe von morgen“, führt die Bundesregierung aus. Daher bedürfe es einer ständigen Anpassung und Weiterentwicklung der Schutzmechanismen und der Abwehrstrategien.
Besserer IT-Schutz in der Bundesverwaltung
Zur geplanten Änderung zählt eine Verbesserung des Schutzes der IT der Bundesverwaltung unter anderem durch weitere Prüf- und Kontrollbefugnisse des BSI und Festlegung von Mindeststandards durch das Bundesamt. Auch sollen Befugnisse zur Detektion von Schadprogrammen zum Schutz der Regierungsnetze geschaffen werden.
Vorgesehen ist zudem die Abfrage von Bestandsdaten bei Anbietern von Telekommunikationsdiensten, um Betroffene über Sicherheitslücken und Angriffe zu informieren. Ebenso soll das BSI die Befugnis erhalten, Sicherheitslücken an den Schnittstellen informationstechnischer Systeme zu öffentlichen Telekommunikationsnetzen zu detektieren sowie Systeme und Verfahren zur Analyse von Schadprogrammen und Angriffsmethoden einzusetzen.
Anordnungsbefugnis für das Bundesamt
Ferner soll mit dem Gesetz eine Anordnungsbefugnis des BSI gegenüber Telekommunikations- und Telemedienanbietern zur Abwehr spezifischer Gefahren für die Informationssicherheit geschaffen werden. Ausweiten will die Regierung die Pflichten für Betreiber kritischer Infrastrukturen und weitere Unternehmen im besonderen öffentlichen Interesse.
Weitere Änderungen betreffen die Schaffung von Eingriffsbefugnissen für den Einsatz und Betrieb von kritischen Komponenten sowie die Etablierung von Verbraucherschutz im Bereich der Informationssicherheit als zusätzliche Aufgabe des BSI. Darüber hinaus sollen die Voraussetzungen für ein einheitliches IT-Sicherheitskennzeichen geschaffen werden, das die IT-Sicherheit der Produkte sichtbar macht, und das Bußgeldregime überarbeitet werden.
Erster Antrag der AfD
Die AfD-Fraktion fordert in ihrem ersten Antrag (19/26225), die Evaluierung des IT-Sicherheitsgesetzes von 2015 nach Gesetzeslage umzusetzen und Ergebnisse im IT-Sicherheitsgesetz 2.0 zu berücksichtigen.
Die Bundesregierung soll den Entwurf des „IT-Sicherheitsgesetzes 2.0“ erst in das parlamentarische Verfahren einbringen, nachdem gemäß Artikel 10 des IT-Sicherheitsgesetzes von 2015 unter Einbezug „eines wissenschaftlichen Sachverständigen, der im Einvernehmen mit dem Deutschen Bundestag bestellt wurde“, dieses derzeit gültige „Gesetz zur Erhöhung der Sicherheit informationstechnischer Systeme“ evaluiert wurde. Auch solle die Bundesregierung die Ergebnisse der Evaluierung in das Gesetzesvorhaben einfließen lassen.
Zweiter Antrag der AfD
In ihrem zweiten Antrag verlangt die Fraktion, mit einem IT-Sicherheitsgesetz 2.0 Planungs- und Rechtssicherheit für Netzbetreiber herzustellen (19/26226). Die Regierung solle im Rahmen dieses Gesetzes entscheiden, „ob staatsnahe Netzwerksausrüster aus undemokratischen Ländern“ am Ausbau kritischer 5G-Infrastruktur beteiligt werden dürfen.
Zudem fordert die Fraktion die Bundesregierung unter anderem auf, „die Rechts- und Planungssicherheit für Mobilfunknetzbetreiber dahingehend herzustellen, dass für die Folgen eines möglichen Ausschlusses von Herstellern kritischer Komponenten eine hinreichende Absicherung für die Mobilfunkbetreiber in Form von entsprechenden Kompensationsregelungen im Gesetz mit aufgenommen wird“.
Zur Begründung führt die Fraktion aus, dass der Bundestag seit fast zwei Jahren über die Frage der Zulassung von Netzwerkausrüstern beim Ausbau des 5G-Netzes diskutiere, „deren Vertrauenswürdigkeit zumindest fragwürdig ist“. Die Volksrepublik China besitze mit Huawei und ZTE zwei Hersteller, deren Technik weltweit Verwendung finde. Als problematisch werde die Nähe dieser Unternehmen zum chinesischen Militär sowie der kommunistischen Partei angesehen. (wid/sto/02.03.2021)