Zeuge schildert Wirecards Rolle in der Wiener Politszene
Auf die Suche nach Schnittmengen des Wirecard-Finanzskandals mit der österreichischen Politik hat sich der 3. Untersuchungsausschuss („Wirecard“) unter Leiter von Kay Gottschalk (AfD) am Freitag, 5. März 2021, begeben. Zentrale Wirecard-Akteure sind österreichische Staatsangehörige. Dazu vernahm das Gremium den in Deutschland festgenommenen österreichischen Sicherheitsberater Julian Hessenthaler, der einer breiten Öffentlichkeit als Macher der sogenannten Ibiza-Videos bekannt geworden war, die 2019 die österreichische Partei FPÖ erschüttert und zum Bruch der Regierungskoalition in Wien geführt hatte.
Recherchen über Verbindungen zum Wirecard-Fall
Hessenthaler hatte dem Untersuchungsausschuss seine Aussage angeboten. Seitens der österreichischen Justiz liegt ein Auslieferungsersuchen vor. Zur Zeit sitzt Hessenthaler in der Justizvollzugsanstalt Berlin-Moabit ein. Der Zeuge berichtete von seinen Recherchen über die österreichische Politszene und Verwaltung, deren Verflechtungen mit in- und ausländischen Unternehmen und mögliche Verbindungen zum Wirecard-Fall. Er habe vor allem ein Interesse gehabt aufzuklären, „wer warum so einen Aufwand betreibt, um meiner habhaft zu werden“.
Ihm sei durch eine Detektei nachgestellt worden, er und sein komplettes Umfeld seien beschattet und bedroht worden. Nun ermittelten die österreichischen Behörden gegen ihn wegen Erpressung des FPÖ-Politikers Heinz-Christian Strache und wegen Drogenhandels.
Wiener Melange
Der Zeuge gab vor allem einen Einblick in den spezifischen Kosmos aus Wirtschaft und Politik, Geben und Nehmen in der österreichischen Hauptstadt. Dreh- und Angelpunkt, ja der Hauptort, um Einfluss zu nehmen, sei dabei die „Österreichisch-Russische Freundschaftsgesellschaft“, der zahlreiche Politiker, ehemalige Politiker, Persönlichkeiten aus Wirtschaft und Sicherheitscommunity beider Länder angehörten.
Auffällig viele Personen mit Bezug zu Wirecard fänden sich dort wieder. Wirecard zähle zu den Spendern der Gesellschaft, die der Zeuge zudem als Einfallstor russischer Interessen in Österreich bezeichnete. Mit schmutzigem Geld kauften sich russische und ukrainische Geschäftsleute in die österreichische Politik ein, betrieben Geldwäsche.
„Wirecard hat den Kontakt zur Politik gesucht“
Die Spendengesetzgebung des Landes lasse Schlupflöcher offen, die niemand zu schließen bereit sei. Auch Wirecard habe dort den Kontakt zur Politik gesucht und Parteispenden getätigt. Umgekehrt sei die Gesellschaft der Point of Contact für österreichische unternehmerische Interessen in Russland.
Durch seine Ibiza-Enthüllungen sei ihm bewusst geworden, was für ein Einfluss aus dem Ausland auf die österreichische Politik genommen werde. Im Zuge der Insolvenz von Wirecard im Frühjahr 2020 hätten sich für ihn dann Schnittmengen und Erkenntnisse zu dem von den Österreichern geführten Münchner Unternehmen ergeben.
Ergänzungen aus der österreichischen Perspektive
Der Zeuge half dem Untersuchungsausschuss, sein Bild vom Wirecard-Fall zu vervollständigen, indem er vieles Bekannte bestätigen und durch seine österreichische Perspektive ergänzen konnte, warf aber auch neue Fragen auf und bat darum, die Beantwortung einiger Details in einen nichtöffentlichen Teil der Sitzung auszulagern.
Dies geschah, bevor das Gremium am Nachmittag seine Sitzung mit der Befragung von Dr. Benjamin Weigert, Leiter des Zentralbereichs Finanzstabilität der Deutschen Bundesbank, und Prof. Dr. Claudia Buch, Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank, fortsetzte.
Leerverkaufsverbot allein Sache der BaFin?
Nicht überzeugend fanden die Abgeordneten in ihrer Sitzung am Freitagnachmittag das Zusammenspiel der Behörden Bundesanstalt für Finanzdienstleistungsaufsicht (BaFin) und Deutsche Bundesbank, als es am 15. Februar 2019 um die Anordnung eines Leerverkaufsverbots für die Wirecard-Aktie durch die BaFin ging.
Dazu sagte Benjamin Weigert, dass seitens der BaFin keine rechtliche Verpflichtung bestanden habe, eine Stellungnahme zu dem beabsichtigten Leerverkaufsverbot von der Bundesbank einzuholen. Sein Haus hätte zudem zu der Frage einer Störung des Marktvertrauens, auf die das Instrument des Leerverkaufsverbotes ziele, keinen hilfreichen Beitrag leisten können. Ein Leerverkaufsverbot zu erlassen, um Marktteilnehmer wie Anleger zu schützen, falle in den Zuständigkeitsbereich der BaFin.
Ermittlungen Grund für das Leerverkaufsverbot
Als man am 15. Februar 2019 dann seitens der BaFin über deren Absicht eines Leerverkaufsverbotes unterrichtet worden sei und von dieser Seite auch die Nachricht erhalten habe, dass die Staatsanwaltschaft München im Fall Wirecard Ermittlungen eingeleitet habe, habe man zudem davon ausgehen müssen, sich „nicht mehr im regulären Prozess“ zu befinden. Die staatsanwaltlichen Ermittlungen seien Grund für das Leerverkaufsverbot der BaFin gewesen – in diese angeblich vertraulichen Ermittlungen habe man aber weder Einblick erhalten können noch fielen diese unter das Analyseinstrumentarium der Bundesbank.
Die Ausschussmitglieder wollten von den Zeugen der Bundesbank neben der Aufarbeitung der Kommunikation im Februar 2019 zwischen Bundesbank und BaFin vor allem eine Einschätzung, wie beide Behörden in Zukunft zu einem gemeinsamen abgestimmten Prozess bei der Einschätzung ähnlicher Fälle gelangen können. Wäre nicht die regelmäßige standardmäßige Einholung einer Stellungnahme durch die BaFin bei der Bundesbank naheliegend? In dem Sinne, dass der Bereich des Marktvertrauens unter den Oberbegriff der Finanzmarktstabilität falle?
Bundesbank-Vizepräsidentin im Zeugenstand
Da sei das Parlament als Gesetzgeber gefordert, man werde an der Umsetzung mitwirken, sagte Prof. Dr. Claudia Buch, Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank, die den Kompetenzbereich ihres Hauses erläuterte und über ihre Kommunikation mit der BaFin und innerhalb der Bundesbank an jenem Februar-Wochenende 2019 Auskunft gab. Um Ansteckungseffekte auf die Realwirtschaft abzuwehren, die von einem Unternehmen in Schwierigkeiten ausgehen, sei die BaFin die zuständige nationale Behörde, die die entsprechenden Maßnahmen zu ergreifen habe und beispielsweise ein Leerverkaufsverbot aussprechen dürfe. Laut Finanzstabilitätsgesetz von 2013 habe die Bundesbank die Möglichkeit zur Stellungnahme, eine Pflicht bestehe dazu jedoch nicht. „Die Bundesbank hat keine Bringschuld, die BaFin hat eine Holschuld. Die BaFin ist Herrin des Verfahrens.“
Im Gegensatz zur Erhaltung des Marktvertrauens und des Schutzes von Realwirtschaft und Anlegern durch die BaFin habe die Bundesbank den Auftrag, die Stabilität des Finanzsystems in seiner Gesamtheit zu gewährleisten. Nach der Finanzkrise habe der Gesetzgeber zwei Bereiche geschaffen, die unterschiedliches Handeln erforderten, so Buch. Man versuche das analytisch klar abzugrenzen. Um eine Bedrohung des Finanzsystems festzustellen, sei mit Ansicht eine hohe Hürde gelegt worden.
„Wir hätten bereitgestanden…“
Die Bundesbank wurde also von der BaFin über das geplante Leerverkaufsverbot im Fall Wirecard informiert, eine Stellungnahme der Bundesbank jedoch nicht angefordert. Man habe zunächst den Entwurf einer Stellungnahme auf Arbeitsebene vorbereitet, dann aber mangels Ersuchen seitens der BaFin keine solche abgegeben. Und: „Wir waren uns am Freitagabend einig, dass wir keine Stellungnahme abgeben müssen.“ Darüber habe man sich zudem noch mit den eigenen Juristen abgesichert. Aber: „Wir hätten bereitgestanden…“
Telefonisch und per E-Mail-Korrespondenz gab es laut Aussage der Zeugin ab Freitag, 15. Februar 2019, und am darauffolgenden Wochenende einen regen Austausch zwischen beiden Behörden. In einem Telefonat habe sie und ihr Haus der BaFin die abblendende Haltung der Bundesbank gegenüber einem Leerverkaufsverbot zum Ausdruck gebracht.
Zwischen Marktvertrauen und Finanzstabilität
Es könne durchaus das Marktvertrauen beeinträchtigt sein, aber nicht insgesamt die Finanzstabilität. Dann könnten Maßnahmen seitens der BaFin sinnvoll sein, um Anleger zu schützen, erläuterte Buch. Die Bundesbank aber habe stets das Finanzsystem in seiner Gesamtheit im Auge. Nach Analyse von vier Indikatoren sei man am 15. Februar intern einhellig zu dem Schluss gekommen: Durch den Fall Wirecard war die Finanzstabilität in Deutschland nicht gefährdet. Zwar sei der Kurs der Wirecard-Aktie seit Januar 2019 stark unter Druck geraten, Leerverkäufe hätten zu exzessiven Kursbewegungen geführt, die aus Sich der BaFin das Marktvertrauen hätten erschüttern können.
Allerdings sei die für die Analyse der Bundesbank entscheidende Frage, ob es sich bei Wirecard von der Größe her um ein systemrelevantes Unternehmen handele, mit „Nein“ zu beantworten gewesen. Auch mögliche Ansteckungseffekte habe man anhand der Korrelation der Kursbewegungen mit anderen Finanztiteln geprüft. Die hätten innerhalb der historischen Bandbreite gelegen. Und schließlich sei das allgemeine Marktumfeld im Februar 2019 relativ robust gewesen. Alles habe also gegen einen Eingriff, wie ihn die BaFin plante, gesprochen.
„Es gab genug stabilisierende Faktoren“
„Aus dieser Perspektive gab es keine Notwendigkeit des Verbots des Shortsellings“, so die Bundesbänkerin. „Es war kein Thema für die Finanzmarktstabilität. Es gab genug stabilisierende Faktoren.“ Man habe also, obwohl nicht zuständig, eine eigene analytische Betrachtung vorgenommen und der BaFin auf Nachfrage mündlich zu verstehen gegeben, dass man nicht zu einem solchen Schritt raten würde.
Eine formale Stellungnahme sei aber dann von der BaFin nicht angefordert worden noch habe dazu rechtlich eine Verpflichtung bestanden, von keiner Seite. Und on top habe es diese staatsanwaltschaftlichen Ermittlungen gegeben, als „isolierten Vorgang.“ Damit habe die Bundesbank gar nichts anfangen können. Die BaFin habe der Bundesbank schließlich am 17. Februar 2019 die Unterlagen zum Leerverkaufsverbot zur Kenntnis zugeschickt. „Aus unserer Sicht waren die formalen Abläufe abgeschlossen.“ (ll/05.03.2021)
Liste der geladenen Zeugen
- Julian Hessenthaler
- Dr. Benjamin Weigert, Deutsche Bundesbank, Leiter des Zentralbereichs Finanzstabilität
- Prof. Dr. Claudia Buch, Vizepräsidentin der Deutschen Bundesbank