Widerstand gegen AfD-Vorstoß zur direkten Demokratie auf Bundesebene
Der Bundestag hat am Freitag, 26. Februar 2021, erstmals einen Gesetzentwurf der AfD-Fraktion „zur Einführung der Direkten Demokratie auf Bundesebene“ (19/26906) debattiert und im Anschluss zur weiteren Beratung an den federführenden Ausschuss für Inneres und Heimat überwiesen. Der Vorstoß der AfD stieß im Plenum auf energischen Widerspruch. Redner aller anderen Fraktionen hielten der AfD vor, in Wahrheit die parlamentarische Demokratie abschaffen zu wollen und einen antiliberalen, autoritären Staat anzustreben. Zu den Kernpunkten des Gesetzentwurfs zählt eine Ergänzung von Artikel 20 Absatz 2 des Grundgesetzes um die Bestimmung: „Der geäußerte Wille des Volkes ist oberstes Gesetz; seine Entscheidungen können nur von ihm abgeändert oder aufgehoben werden.“
AfD: Die Macht der Hinterzimmer reduzieren
Für die Antragsteller geißelte der Abgeordnete Roman Reusch (AfD) eine nach seinen Worten „elende Parteibuchwirtschaft“, die mittlerweile alle staatlichen Institutionen „durchwuchere“. Das politische System sei geprägt von einer „Machtkonzentration in der Hand einiger weniger Spitzenfunktionäre“. Dieser Zustand bedürfe eines Korrektivs durch direkte Willensbekundungen des Volkes: „Die Macht der Hinterzimmer wäre zumindest deutlich reduziert.“
Als Beispiel für segensreiche Effekte direkter Demokratie nannte Reusch den Brexit. Er zeige, dass man „mit diesem Instrument viel bewirken“ könne.
CDU/CSU: Widerspruch zur Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes
Der Abgeordnete Philipp Amthor (CDU/CSU) hielt der AfD vor, dass in ihrem Gesetzentwurf kein Mindestbeteiligungsquorum für die Gültigkeit eines Referendums vorgesehen sei. Maßgeblich sei lediglich die Mehrheit der abgegebenen Stimmen. Unklar sei auch, wie die AfD in ihrem Modell die verfassungsmäßig gebotene Mitwirkung der Länder an der Gesetzgebung des Bundes sicherstellen wolle.
„Das widerspricht der Ewigkeitsgarantie des Grundgesetzes“, sagt Amthor, um sich im gleichen Atemzug gegen Vorstellungen der Linken zur direkten Demokratie zu wenden. Es gebe Berührungspunkte der politischen Ränder auf beiden Seiten: „Sie beide vereint eine unglaubliche Parteienskepsis und die Überzeugung, dass der Volkswille im Parlament nicht vertreten ist“, so Amthor.
FDP: Es geht Ihnen nicht um Demokratie
„Es geht Ihnen nicht um Demokratie, sondern um Hetze, Aufruhr, Verunsicherung“, rief Sandra Bubendorfer-Licht (FDP) der AfD zu. Deutschland sei anders als die AfD behaupte keine „amputierte“, sondern eine wehrhafte Demokratie: „Sie ist Ihnen zu wehrhaft gegen das Gift, das Sie in die Gesellschaft tröpfeln.“
Die AfD könne, nicht anders als „Ihre geistigen Vorväter in den dreißiger Jahren“, mit dem Parlamentarismus „nicht viel anfangen“. In Wahrheit hätten die Deutschen noch nie so viele Mitbestimmungsmöglichkeiten besessen wie heute.
SPD: Schlecht kopiert und zusammengeklempnert
Der Abgeordnete Mahmut Özdemir (SPD) wies darauf hin, dass seine Fraktion wiederholt versucht habe, plebiszitäre Elemente in die Verfassung einzufügen, dafür aber nie die erforderliche Zweidrittelmehrheit habe organisieren können.
Özdemir erinnerte auch an vergleichbare Initiativen der Linken: „Sie haben all diese Entwürfe elendig schlecht kopiert und zusammengeklempnert“, hielt er der AfD vor.
Linke: AfD verachtet das Parlament
„Wir haben uns schon für direkte Demokratie eingesetzt, als es die AfD noch gar nicht gab, und wir werden das weiter tun, wenn es die AfD nicht mehr geben wird“, sagte André Hahn (Die Linke), der an seine Mitwirkung an dem plebiszitär angereicherten Verfassungsentwurf des Runden Tisches der DDR erinnerte. Er hoffe sehr, dass beides, die Etablierung der direkten Demokratie und das Verschwinden der AfD, bald eintreten werde.
Im Unterschied zu seiner Fraktion gehe es der AfD indes nicht darum, das repräsentative System zu ergänzen: „Sie bringen die direkte Demokratie in eine Frontstellung gegen den Parlamentarismus. Das wollen wir als Linke ausdrücklich nicht. Von einer Partei, die unser Parlament derart verachtet, brauchen wir ganz sicher keine Belehrung in Sachen Demokratie,“ erklärte Hahn.
Grüne: Hat die AfD ein Einparteiensystem im Blick?
„Wir Grünen sind für Demokratie in all ihren wunderschönen Formen und damit auch für die direkte Demokratie“, sagte die Abgeordnete Canan Bayram (Bündnis90/Die Grünen). Allerdings mute es „etwas seltsam“ an, „dass wir jetzt gerade die AfD brauchen, um die Demokratie in Deutschland zu retten“.
Die Frage sei vielmehr, ob diese Partei nicht ein Einparteiensystem im Blick habe, meinte Bayram und erwähnte Überlegungen in der sächsischen AfD, Empfängern staatlicher Transferleistungen das Wahlrecht zu entziehen. Es gehe da immerhin um zehn Prozent der Wahlberechtigten in Sachsen.
CDU/CSU: Menschenwürde statt Volkswille als Leitkategorie
Nach den Worten des Innenpolitikers Dr. Volker Ullrich (CDU/CSU) enthüllt die Formulierung der AfD, der Wille des Volkes sei oberstes Gesetz, das problematische Verfassungsverständnis dieser Fraktion.
Leitkategorie des Grundgesetzes sei nicht der Volkswille, sondern die Menschenwürde.
Gesetzentwurf der AfD
Die AfD schreibt in ihrem Gesetzentwurf, direktdemokratische Verfahren erhöhten die Partizipation. Durch die Fokussierung auf Einzelthemen eigneten sich direktdemokratische Verfahren besser für eine sachlich differenzierte Artikulation von Problemen, als dies über die Willensbildung der Parteien möglich sei. Bereits im Stadium der Unterschriftensammlung setzten sich die Bürger intensiv mit dem Gegenstand des Verfahrens auseinander. Es komme zu vertieften Informations- und Diskussionsprozessen. Direktdemokratische Verfahren erschlössen neue Personenkreise, die sich zuvor politisch nicht beteiligt haben und vielfach außerhalb von Parteien stehen.
Diese gesellschaftlichen Diskussionsprozesse strahlten auch auf die Parteien und sonstige Interessengruppen aus. Auf diese Weise gelangten durch direktdemokratische Verfahren neue Ideen und Lösungsvorschläge auf die politische Agenda. Direktdemokratische Verfahren garantierten also Alternativen. Sie verkleinerten das Machtungleichgewicht zwischen Regierung und Parlament einerseits und der Stimmbürgerschaft andererseits zugunsten der Bürger. Es sei empirisch gut belegt, dass die Bürger mehr Mitwirkungsrechte einfordern. Mit Blick auf die Bundesländer und die Kommunen, aber auch auf andere Staaten sei es daher unabdingbar, so die AfD, Regelungen zu schaffen, die die Durchführung von Volksabstimmungen ermöglichen. Ein Staat ohne solche direktdemokratischen Elemente sei eine „amputierte Demokratie“. Daher empfiehlt die Fraktion, Volksabstimmungen auf Bundesebene zu institutionalisieren. (wid/vom/26.02.2021)