Streit über Versäumnisse und Auswege aus der Corona-Krise
Ein Jahr nach Beginn der Corona-Krise in Deutschland wird in zunehmend scharfer Form über Versäumnisse in und Auswege aus der Pandemie gestritten. In einer Aktuellen Stunde im Bundestag warf die Opposition der Bundesregierung am Mittwoch, 27. Januar 2021, ein unzureichendes Krisenmanagement vor. Zur Begründung angeführt wurden die hohen Infektions- und Todeszahlen in Alten- und Pflegeheimen, die stockende Impfkampagne und die teilweise nicht nachvollziehbaren Kontaktauflagen, die zulasten der Wirtschaft gingen und mit denen die Bevölkerung verunsichert werde.
Redner der Koalitionsfraktionen wiesen die Vorwürfe der Opposition zurück, räumten aber ein, dass es schwere Eingriffe in die Grundrechte und Freiheiten der Bevölkerung gegeben habe und ein Stufenplan zur Überwindung der Krise notwendig sei.
CDU/CSU: Es gibt schwer getroffene Branchen
Auf die kritische Lage in Teilen der Wirtschaft ging Dr. Carsten Linnemann (CDU/CSU) ein. Die Industrie, das verarbeitende Gewerbe oder auch etwa die Chemiebranche komme vergleichsweise gut durch die Krise, das sei für das Land auch existenziell. Es gebe aber Branchen, die schwer getroffen seien, Schausteller etwa, der Einzelhandel, Messebauer, Gastronomie oder Tourismus.
Hier würden Fragen nach Hilfe gestellt und vor allem nach einer Perspektive. Die Wirtschaft müsse wissen, unter welchen Bedingungen sie wieder öffnen könne, sagte der CDU-Wirtschaftsexperte. Insofern sei ein Stufenplan sinnvoll. Voraussetzung für eine Öffnung sei jedoch eine genaue Datenbasis, um die Ansteckungsorte besser und eindeutiger identifizieren zu können.
SPD: Solidarität in der Gesellschaft ungebrochen
Hilde Mattheis (SPD) hob die ungebrochene Solidarität in der Gesellschaft hervor, insbesondere die der jungen mit der älteren Generation: „Das ist ein hohes Gut.“ Die von Bund und Ländern veranlassten Vorkehrungen zur Eindämmung des Virus stießen auf eine hohe Akzeptanz. Sie forderte, diese Gemeinsamkeit beizubehalten und zugleich alle Auflagen immer wieder kritisch zu hinterfragen.
Mattheis sprach von einem lernenden Prozess, der ungeachtet einzelner „Querschüsse“ gut funktioniert habe. Die Demokratie habe sich in den vereinbarten Maßnahmen bewiesen. Die Virus-Mutationen bedeuteten neue Herausforderungen. Was die Impfkampagne betrifft, forderte Mattheis eine verlässliche vertragliche Grundlage mit den Herstellern. Auf dem sicheren Weg bis zum Ausstieg sollte den Menschen zudem die Möglichkeit gegeben werden, sich selbst zu testen.
AfD: Regierung hat auf allen Gebieten versagt
Teilweise harsche Kritik am Krisenmanagement der Bundesregierung kam von der Opposition. Armin Hampel (AfD) warf der Regierung „Angstpolitik“ und ein Versagen auf allen Gebieten vor. Eine vernünftige Bundesregierung müsse den Menschen Hoffnung geben und nicht Angst schüren.
Tatsächlich seien in der Corona-Krise 85 Prozent der Menschen nicht oder nur leicht bedroht, 15 Prozent hingegen stark gefährdet. Und genau diese 15 Prozent würden ignoriert, nämlich die alten Leute über 80 Jahre, für deren Schutz in Alten- und Pflegeheimen viel zu wenig getan werde. Das seien jene Menschen, die nach dem Krieg das Land wieder aufgebaut hätten. „Die werden von Ihnen im Stich gelassen.“ Hampel befand: „Die Bundesregierung hat auf der ganzen Ebene versagt.“ Alle Mitglieder der Regierung sollten die Konsequenz ziehen und zurücktreten.
FDP: Massive Vollzugsdefizite beim Schutz alter Menschen
Einen besonderen Schutz für die Risikotruppen forderte auch der FDP-Abgeordnete Michael Theurer und versicherte, es gehe dabei nicht darum, alte Menschen wegzusperren. Beim wirksamen Schutz der alten Menschen gebe es massive Vollzugsdefizite. Theurer ging auch auf die jüngst festgestellten Mutationen des Virus ein und rügte, frühe Warnungen von Wissenschaftlern seien nicht ernst genommen worden.
Auch die Gensequenzierung sei nicht in dem erforderlichen Umfang geschehen. „Das ist ein Versäumnis und ein Versagen der Regierung.“ Mit Blick auf den schleppenden Impfstart sagte der FDP-Politiker: „Das ist nicht gut gelaufen.“ Das Impfdesaster sei für jeden erkennbar. Es müsse ein Impfgipfel einberufen und alles getan werden, um die Kapazitäten zu steigern.
Linke: Unterschied zwischen Arm und Reich wird wieder deutlich
Jan Korte (Die Linke) forderte, die Verantwortlichen der schwierigen Lage klar zu benennen. Die angelaufene Massenimpfung sei von viel Hoffnung begleitet gewesen, die Realität jedoch sei katastrophal. Viele alte Leute bekämen derzeit gar keinen Impftermin. Das müsse aufgearbeitet werden. Korte erinnerte daran, dass die Impfstoffe mit viel Steuergeld erforscht worden seien und merkte an: „Das hätte der Markt nicht von allein geregelt.“
In der Krise werde auch der Unterschied zwischen Arm und Reich wieder sehr deutlich: „Wer arm ist, erkennt man an den billigen Masken.“ Auch seien zuletzt wieder unwirtschaftliche Krankenhäuser geschlossen worden. Das sei ein „unerträglicher Skandal“. Krankenhäuser müssten keinen Profit machen, sie gehörten in staatliche Hand. Korte forderte einen Sozialgipfel, um zu sehen, was an der Basis los sei.
Grüne: Wir brauchen eine einheitliche Strategie
Kordula Schulz-Asche (Bündnis 90/Die Grünen) erinnerte an das gemeinsame Ziel, die Pandemie zu beenden und aus der Krise zu kommen. „Wir brauchen eine einheitliche Strategie mit regionaler Anpassung, wo es nötig ist.“ Die Fallzahlen gingen zu langsam zurück. Es gehe jetzt darum, vorausschauend zu handeln mit Impfungen, Tests und Kontaktnachverfolgung.
Dringend nachbessern müsse die Bundesregierung auch bei den Themen Schnelltests, Homeoffice, sichere Masken, Schule, Kita, Konzepte für alte Menschen und Pflegepersonal sowie Information und Aufklärung. Die Grünen-Politikerin warnte: „Wir sind an einem kritischen Punkt angekommen in der Pandemie.“ Die scheibchenweise vorgelegten Neuregelungen hätten die Menschen „müde und mürbe“ gemacht. Umso wichtiger sei jetzt ein Stufenplan raus aus der Krise.
CDU/CSU: Wir sind nicht über den Berg
Dr. Georg Nüßlein (CDU/CSU) mahnte: „Wir sind nicht über den Berg. Wir sind auf einem guten Weg, der noch nicht zu Ende ist.“ Die von Bund und Ländern vorerst bis zum 14. Februar verabredeten Auflagen seien situationsangemessen und wirkten, aber angesichts der Virus-Mutationen sei Vorsicht geboten. Über das potenzielle Risiko sei noch zu wenig bekannt. Die Lage werde am 14. Februar nicht völlig anders sein.
Es stelle sich somit die Frage, wie eine Öffnung so organisiert werden könne, dass die Infektionszahlen nicht wieder steigen. Nüßlein plädierte für eine Ausweitung der Tests. „Wir müssen die Tests in die Breite tragen.“ Benötigt würden Schnelltests und Eigentests. Es müssten Alternativstrategien entwickelt werden. „Wir können uns nicht auf Dauer leisten, alles herunterzufahren.“ (pk/27.01.2021)