Scheuer: Schwierige Phase für Mobilität und Logistik in Europa
Aus Sicht von Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer (CSU) befindet sich Europa derzeit in einer sehr schwierigen Phase „was die Mobilität und die Logistik betrifft“. Beim Flugverkehr sei coronabedingt ein Einbruch von minus 90 Prozent zu verzeichnen, beim Personenverkehr der Bahn ein Minus von 80 Prozent, sagte Scheuer am Freitag, 22. Januar 2021, während der fünften Sitzung der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung, die als Videokonferenz stattfand und von Bundestagspräsident Dr. Wolfgang Schäuble und dem Präsidenten der Assemblée nationale, Richard Ferrand, geleitet wurde. „Das wird uns noch ziemlich viel abverlangen“, so der Bundesverkehrsminister. Seine Aufgabe sehe er aktuell auch darin, „Infrastruktur, also Unternehmen im Mobilitätssektor, zu erhalten“.
Gemeinsame Erklärung der Parlamentspräsidenten
Unter der Überschrift „Geteilte Erinnerungen – gemeinsame Zukunft!“ hatten die beiden Parlamentspräsidenten bereits vorab auf die historische Dimension des Zeitpunkts dieser Sitzung hingewiesen. Nicht nur fand sie am 58. Jahrestag der Unterzeichnung des deutsch-französischen Freundschaftsvertrags (Élysée-Vertrag) statt, sondern auch vier Tage nach dem 150. Jahrestag der Gründung des Deutschen Reiches am 18. Januar 1871 im Spiegelsaal von Versailles.
Dieses „Schlüsselereignis der deutschen Geschichte“ hatte folgenschwere Auswirkungen auf das deutsch-französische Verhältnis, das über Jahrzehnte hinweg vergiftet wurde, wie es in der gemeinsamen Erklärung heißt. Die Geister der Vergangenheit ruhen zu lassen, sei das wichtigste Anliegen der Deutsch-Französischen Parlamentarischen Versammlung. Die Grenzregionen, um die Deutsche und Franzosen in der Geschichte so erbittert gestritten hätten, seien im vereinten Europa längst pulsierende Lebensadern für Handel und Wirtschaft.
Für den Ausbau einer Schnellverbindung Berlin-Paris
Für Schäuble und Ferrand ist ein europaweites Schienennetz Grundbedingung für die ökonomische und soziale Prosperität im gemeinsamen Binnenmarkt. Die große Mehrheit der 50 deutschen und 50 französischen Abgeordneten, die die Versammlung bilden, spreche sich deshalb für den Ausbau einer Schnellverbindung Berlin-Paris aus (19/25707).
Die Anbindung beider Hauptstädte sei längst überfällig und wäre eine klimafreundliche Alternative zum Flugzeug. Die für 2023 angekündigte Nachtzugverbindung könne nur ein Anfang sein.
„Einstellung des Grenz-Personenschienenverkehrs möglich“
Mit Blick auf verschärfte Maßnahmen im Falle der sich ausbreitenden Mutationen des Coronavirus sagte Verkehrsminister Scheuer in der Sitzung, anders als an Flughäfen, an denen eine Testinfrastruktur aufgebaut werden könne, sei dies an Bahnhöfen nicht möglich.
Nicht auszuschließen sei daher, dass es – wie auch im ersten Lockdown – zur Einstellung des grenzüberschreitenden Personenschienenverkehrs komme. Ein stabiles Grundangebot im Güterverkehr sei hingegen möglich, befand er. „Das ist wichtig, um die Lieferketten für die industrielle Produktion aufrechtzuerhalten.“
„Mehr Akzeptanz für Schienengüterverkehr schaffen“
Stichwort Güterverkehr: Der deutsche Verkehrsminister bekannte sich zu dem Ziel, mehr Güter statt auf der Straße auf der Schiene zu transportieren. Um dafür mehr Akzeptanz bei der Bevölkerung zu schaffen, sei Deutschland vorangegangen und habe im Dezember 2020 vorfristig „den letzten alten Güterwaggon in einen leisen Güterwaggon umgerüstet“. Dies habe in Europa zu Diskussionen geführt, weil es viele Unternehmen gebe, die diese Technologie noch nicht umgesetzt hätten.
Wolle man die Akzeptanz erhöhen, gehe das aber nur mit einer besseren Lärmschutzausstattung, betonte der Minister. Wichtig sei es auch, technologisch harmonisierte Anlagen für den Kombinierten Verkehr (Lkw und Bahn) zu schaffen, um den Komfort für die Spediteure zu erhöhen. Das Umladen der Güter vom Lkw auf die Bahn und zurück dauere aktuell zu lange, „weil die technischen Voraussetzungen nicht harmonisiert sind“.
Trans-Europe-Express 2.0 soll Metropolen verbinden
Scheuer blickte auch zurück auf die deutsche EU-Ratspräsidentschaft im zweiten Halbjahr 2020, in der bewusst ein Schwerpunkt auf die Stärkung des Schienenverkehrs gesetzt worden sei. „Mit unserem Trans-Europe-Express 2.0 (TEE 2.0) wurde eine Initiative gestartet, durch die wir mit Hochgeschwindigkeits- und Nachtzugverkehren zwischen den europäischen Metropolen das Angebot verbessern.“
Deutschland, Österreich, Schweiz und Frankreich hätten dazu im Dezember 2020 eine Absichtserklärung unterzeichnet sowie konkrete Verbindungen vereinbart – und das, obwohl erst im September des gleichen Jahres diese Initiative vorgestellt worden sei, wie der Minister bemerkte. Solch schnelles Handeln sei im Bereich der Eisenbahn selten.
„Wichtig ist die Digitalisierung der Strecken“
Die Strecke Paris-Berlin, „mit dem Link zu Paris-Berlin-Warschau“, sei ein Streckenteil, der besonders im Fokus stehe. Im Bundeshaushalt seien diese grenzüberschreitenden Bahnstrecken nach Frankreich auch mit Geld unterlegt. So könnten auch weitere interessante Linien wie etwa Berlin-Frankfurt-Straßburg-Lyon-Barcelona realisiert werden. Wichtig dabei sei die Digitalisierung der Strecken, aber auch des Wagenmaterials, betonte Scheuer mit Verweis auf die Einführung der digitalen automatischen Kupplung. Von Letzterer verspricht er sich eine Revolutionierung des Güterverkehrs.
Gesteigert werden müsse auch die Qualität des Bahnfahrens, sagte Scheuer auf Nachfrage aus dem Kreis der Abgeordneten. In der erwähnten Absichtserklärung zum TEE2.0 sei auch der Versuch vorgesehen, eine einheitliche Buchungsmöglichkeit, trotz unterschiedlicher Anbieter, zu erreichen.
„Freiburg-Colmar darf nicht an Zuständigkeiten scheitern“
Was die regionalen Grenzverkehre im Saarland oder in Baden-Württemberg nach Frankreich angeht, so machte der Bundesverkehrsminister deutlich, dass dies der föderalen Struktur entsprechend zuallererst Ländersache sei, der Bund also keinen direkten Einfluss habe.
Konkret nach der Strecke Freiburg-Colmar befragt, sagte Scheuer, sein Ziel sei es, gemeinsam mit dem Land Baden-Württemberg eine Lösung für die Realisierung zu finden. „Das darf nicht an Zuständigkeitsproblemen scheitern“, betonte er. Nach einem Zeitplan gefragt, sagte der Minister: Für die Machbarkeitsstudie bei der Strecke Freiburg-Colmar könne er im nächsten Jahr ein Ergebnis in Aussicht stellen.
Europäischer Ansatz bei Wasserstoff und Elektromobilität
Thema während der Befragung Scheuers war auch die Wasserstoffstrategie. In Deutschland, so hob der Minister hervor, würden schon jetzt Wasserstoffzüge fahren: „Wir wollen da weiterkommen.“ Beim Bus, beim Zug und beim Flugzeug halte er die Wasserstofftechnologie für hochinteressant.
„Wir brauchen einen großen europäischen Ansatz, um der Wasserstofftechnologie und auch der Elektromobilität zum Durchbruch zu verhelfen“, forderte Scheuer. Deutschland und Frankreich als Autobau-Nationen könnten zum „Treiber für den europäischen Mobilitätsprozess werden“.
Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung
Die Deutsch-Französische Parlamentarische Versammlung setzt sich aus 100 Mitgliedern zusammen, darunter 50 Abgeordnete des Deutschen Bundestages sowie 50 Abgeordnete der Assemblée nationale, die mindestens zweimal im Jahr abwechselnd in Deutschland und Frankreich tagen sollen. Die konstituierende Sitzung fand am Montag, 25. März 2019, unter der Leitung von Wolfgang Schäuble und Richard Ferrand in Paris statt.
Grundlage dieser institutionalisierten Zusammenarbeit auf Ebene der Parlamente ist das Deutsch-Französische Parlamentsabkommen, das am 11. März 2019 von der Assemblée nationale und am 20. März 2019 vom Deutschen Bundestag verabschiedet worden ist. Das Parlamentsabkommen ist das Ergebnis intensiver Beratungen der Deutsch-Französischen Arbeitsgruppe, die am 22. Januar 2018 anlässlich des 55. Jahrestages der Unterzeichnung des Élysée-Vertrags zu diesem Zweck eingesetzt worden war. (hau/vom/22.01.2021)