Klaus Rinke
Sonnenstrahl im Birkenhain, Unter den Linden 50
Die Energie der Sonne zur Skulptur zu verdichten variiert erneut die Idee der „Primärdemonstration“: Das Sonnenlicht ist eine der Ur- Formen der Naturkräfte, die auf uns einwirken. Zugleich wirkt das raffinierte Spiel mit der um 11 Grad geneigten Skulptur, deren Schaft eine unverhältnismäßig große Kugel trägt, wie eine Demonstration der Gravitationskraft, aber eine, deren Labilität den Betrachter beunruhigt und irritiert. Gleichermaßen überraschend und irritierend ist der Eindruck, wenn ein Besucher in eines der Abgeordnetenbüros tritt, das durch das gleißende Gelb der riesigen Sonnenkugel vor dem Fenster seltsam erleuchtet erscheint. So ist der „Sonnenstrahl“ etwas anderes und deutlich mehr als eine bloße skulpturale Setzung. Die Skulptur ist vielmehr ein ihre Umgebung bzw. die Wahrnehmung ihrer Umgebung veränderndes Element.
Einen weiteren, über das Skulpturale hinausweisenden Aspekt bilden die Birken im Innenhof, die dem Licht entgegen, zur „Sonnenkugel“ hin, in die Höhe geschossen sind, so dass die „Sonnenkugel“ wie von der Brandung eines Blättermeeres umspült wird. Der Birkenhain führt zu einer spürbaren, vom Künstler intendierten Verbesserung des Klimas im Innenhof, der sich ansonsten durch die Spiegelung der Sonne in den umgebenden Glasfassaden aufheizen würde. Das Naturerlebnis dieses stillen Birkenhains steht zudem im Kontrast zur Hektik und Lautstärke der unmittelbar vor dem Gebäude verlaufenden Hauptstraße „Unter den Linden“.
Bezüge, Aspekte und Anspielungen
Dass Klaus Rinkes Installation weitere Perspektiven eröffnet als eine traditionelle Skulptur, verdeutlicht auch der Prozess ihres Aufbaus: Der Schaft der Skulptur „Sonnenstrahl“ wurde im Siegerland produziert und in einem Lastkahn mit dem beziehungsreichen Namen „Apollo“ über Rhein, Mittellandkanal, Havel und Spree zum Bauplatz „Unter den Linden“ transportiert. Die „Sonnenkugel“ wiederum wurde nahe Linz produziert und über die Donau zum Bauplatz gebracht – Werdegang einer „performativen“ Skulptur, der nur scheinbar zufällig das alte und inzwischen wieder so lebendige Mitteleuropa zur Anschauung bringt.
Die Installation „Sonnenstrahl im Birkenhain“ ist dank dem Reichtum ihrer Bezüge, Aspekte und Anspielungen eines der überzeugendsten „Kunst-am-Bau“-Projekte im Gefüge der Parlamentsgebäude. Sie repräsentiert die facettenreiche Kunst eines Klaus Rinke. Gleichzeitig offenbart sie auch einen vieldeutigen Bezug zu diesem zentralen Ort in Berlin und seiner wiedergewonnenen Funktion als Arbeitsstätte von Parlamentariern. In der Arbeit der Abgeordneten spiegelt sich in ähnlicher Weise die Vielfalt der Bezüge von Stadt und Land, von Individuum, Natur und Gesellschaft. Und zugleich ist „Sonnenstrahl im Birkenhain“ eine Skulptur, die die Intention des Künstlers sichtbar werden lässt, „in Berlin einen Ort zu schaffen, der die dunkle Vergangenheit etwas mit Sonnenlicht aufhellt.“
Klaus Rinke
Seine Ausbildung begann Klaus Rinke als Plakatmaler in Gelsenkirchen, studierte sodann an der Folkwang- Schule in Essen, wandte sich nach Paris und Reims und fand in Frankreich künstlerische Anerkennung. Bis heute ist gilt er dort als einer der wichtigsten Avantgardekünstler. Nach seiner Rückkehr nach Deutschland Mitte der 1960er Jahre gab er die Malerei auf und widmete sich stattdessen der Bildhauerei (erst nach einem Australien- Aufenthalt und dem Erlebnis der Kunst der Aborigines in den Jahren 1978 bis 1980 sollte er sich wieder der Malerei zuwenden). Vor allem aber begann er jene Aktionskunst zu entwickeln, mit der besonders sein Name verbunden ist. Seine Aktionen stellten den herkömmlichen Kunst- und Museumsbetrieb in Frage und zielten auf ein aktiveres Mitwirken der Betrachter. Entsprechend dieser im übertragenen Sinne „Verflüssigung“ starrer Verhältnisse scheint ihn das Element Wasser besonders angesprochen zu haben, das bis heute viele seiner Arbeiten bestimmt.
Legendäre Aktion am Rhein
So entwickelte er beispielsweise mit dem für ihn charakteristischen Humor einen „Begehbaren Wassersack“ (1968), den Besucher auch tatsächlich nutzen durften. In einem anderen Falle lenkte er Wasser aus dem Fluss Oos in die Staatliche Kunsthalle Baden-Baden („Ableitung – ein Fluss wird durch ein Museum gepumpt“, 1969) und ließ das Wasser über ein Becken im Ausstellungsraum wieder hinausströmen – ein Ausdruck neuer sprudelnder Lebendigkeit in einem Museum. Wieder ein andermal schöpfte er in einer inzwischen legendären Aktion an zwölf Stellen des Rheinstromes Wasser in zwölf 60-Liter-Tanks und dokumentierte die Aktion mit Fotos und präzisen Ort und Zeitangaben („Zwölf Fass geschöpftes Rheinwasser“, 1969). Die versiegelten Fässer, die Schöpfkelle und die Aktionsdokumente befinden sich heute im Lehmbruck- Museum in Duisburg und sind in den Worten des Künstlers:
„Der Versuch, die Gegenwart eines Flusses Vergangenheit werden zu lassen. Ein Stück Naturereignis konservieren. Den Rhein museumsreif machen. Ein Gruppenerlebnis inszenieren und die Reste als Andenken ausstellen. Den Rhein an einem Tag mit genauer Zeitangabe in zwölf Fässer schöpfen. Eine ganz einfache banale Handlung, die komplex wird. Zwölf Fass an zwölf verschiedenen Stellen des Rheines geschöpftes Rheinwasser.“
Zeit und Gravitation
Das Fließen des Wassers verweist auf eine weitere Grunderfahrung, die Rinke in seinen Kunstwerken anschaulich zu machen weiß: die Zeit beziehungsweise genauer das Verfließen der Zeit. Andere Arbeiten wiederum verbildlichen in diesem Sinne die Kräfte der Gravitation. Auch diese Elementarkraft lässt sich mit Hilfe fließenden Wassers besonders anschaulich darstellen. In Selbstinszenierungen erprobte er darüber hinaus Ausdrucksmöglichkeiten seines Körpers, so etwa wenn er in der 112-teiligen Fotofolge „Mutationen“ (1970) die vielfältigen Ausdrucksmöglichkeiten von Mimik und Gebärdensprache erforscht oder sich selbst in einer mehrteiligen Fotosequenz immer näherkommend vor einer Wand zeigt, sich so als Individuum in Bezug zu Stadt-Raum und Zeitverlauf setzt („Die Wand“, 1971).
Die Kunstsammlung des Bundestages besitzt Fotografien aus der Serie „Lower Manhattan“ (1975), die in vergleichbarer Weise die Selbstbehauptung des Individuums gegen die Macht und Monumentalität der Großstadtarchitektur thematisieren: Die Hände des Künstlers umschließen die Twin-Towers. Aber inzwischen ist nach den Erfahrungen der Terroranschläge vom September 2001 aus dieser Geste der Selbstbehauptung eine geradezu zärtliche Geste des Schutzes gegen die Inhumanität des Terrors geworden.
Die Primärdemonstration
Klaus Rinke hat auch große Installationen für städtische Räume geschaffen, wie das „Uhrenfeld“ (1987) für die Bundesgartenschau im Düsseldorfer Volksgarten: Insgesamt 24 Bahnhofsuhren ragen wie Bäume in einem Hain aus dem Boden und zeigen synchron die Zeit an. Wer durch das „Uhrenfeld“ geht, wird ständig eine andere Uhrzeigerkonstellation erblicken, nie den gleichen Ist-Zustand aller Exponate erleben, sondern unmittelbar mit dem unerbittlichen Verfließen der Zeit konfrontiert werden. Schon früh hat Klaus Rinke für die Vermittlung solcher Ur-Erfahrungen den Begriff der „Primärdemonstration“ (documenta 5, 1972) geprägt.
„Sonnenstrahl mit Birkenhain“
Für den Deutschen Bundestag hat Klaus Rinke in einem Wettbewerbsverfahren eine Innenhof-Skulptur entworfen, den „Sonnenstrahl mit Birkenhain“. Auf einem monumentalen Schaft, der sich von 4 Metern Durchmesser am Boden auf 30 cm nach oben verjüngt, sitzt, bis zu einer Höhe von 25 Metern reichend, eine runde Polyester-Kugel. Die Skulptur ist in leuchtendem Gelb gestrichen, das pastos mit erkennbarem Pinselduktus aufgetragen ist. Die „Sonnenkugel“ überragt die obere Gebäudekante, so dass sie gleichsam einen Blickkontakt zur Kugel des Fernsehturmes am Alexanderplatz, zur Kuppel des Reichstagsgebäudes oder den Kuppeln der beiden Dome am Gendarmenmarkt schafft. (akae)
Klaus Rinke
geboren 1939