Bernhard Prinz
geboren 1953 in Fürth, lebt in Hamburg
Kinderchor, 1996
Installation mit acht Cibachromen und acht Schriftzügen an der Wand (Fotogalerie C im Erdgeschoss UdL 50)
In strenger Anordnung finden sich neun Kinderportraits, siebenmal weiß und zweimal schwarz passepartouriert, hinter Glas, ansonsten rahmenlos von der Wand abgehoben. Jeweils links von dem Portrait ist in ungefährer Höhe des Ellenbogens ein Name in schwarzen Lettern auf die Wand kaschiert; die eng gesetzten und leicht nach rechts ausgerichteten Buchstaben geben Bezug, Richtung und Geschwindigkeit an. Der „Kinderchor“ (1996) von Bernhard Prinz wird den Betrachter zunächst in eine distanzierte Bewunderung setzen, unsicher, wie mit den ganz ihnen gehörenden Blicken der Kinder umzugehen ist, und ratlos zunächst wird er versuchen, einen Bezug sowohl zwischen Namen und Bild wie auch unter den Namen und den Bildern selbst herzustellen. Kinder werden dreifach bezeichnet, durch die Namen, durch ihr Erscheinen und durch ihr Miteinander im „Kinderchor“. Was singen sie stumm, was stellen sie dar? Bernhard Prinz, Bildhauer und Photograph, inszeniert Menschen zu abstrakten Figuren und setzt sie mit Insignien und sprachlichen Bezeichnungen in einem Widerstreit zwischen einer alten allegorischen Kultur und der zeitgenössischen der Werbe-, Textil- und Kulturindustrie. Die Betrachtung dieser Bilder wird sich also an den Möglichkeiten der Entschlüsselung von Sinnbildern messen müssen, will man sich nicht allein mit der erhaben wirkenden Anmut der Portraits begnügen. Die bei Kindern vermutete Unschuld, Unmittelbarkeit oder Naivität erscheint hier in der Verdichtung der Porträts mit ähnlichem Studiohintergrund, dem fast gleichen Brustausschnitt und der bildfüllende Präsenz zu einer Mahnung oder gar Drohung erstarrt: Wir werden angesehen und stehen diesen Kindern wie einer Phalanx gegenüber. Der Chor besaß einst die Bedeutung eines „idealischen Zuschauers“, in ihm sahen sich die Protagonisten des Theaterstücks kommentiert, erblickt und erkannt. In Die Geburt der Tragödie hat Nietzsche darauf hingewiesen, dass im griechischen Theater eine Unterscheidung zwischen Zuschauer und Chor letztlich nicht möglich sei, vielmehr es dem Zuschauer gegeben war, „die gesamte Kulturwelt um sich herum ganz eigentlich zu übersehen und in gesättigtem Hinschauen selbst Choreut sich zu wähnen“. Mit dem „Kinderchor“ von Bernhard Prinz kehren wir zum griechischen Chor zurück als dem einzigen Zuschauer, dem, so Nietzsche, „Schauer der Visionswelt der Szene“. Nur verlagert Bernhard Prinz die antike Szenerie des Spektakels in die heutige Welt und kontrastiert die ehemals kritische Funktion des Chores als Organon der Öffentlichkeit mit der in der „Gesellschaft des Spektakels“ verstummten oder instrumentalisierten Kritik der kindlichen Stimme. Den griechischen Dionysien steht mit dem „Kinderchor“ eine Kindergruppe gegenüber, die fragend wie wissend in den Flur des Gebäudes des Deutschen Bundestages blickt. Die Alba, das der römischen Tunika nachgebildete Amtskleid der christlichen Geistlichen, hier von einem Mädchen als T-Shirt getragen, wird klassisch als das Mal der Unversehrtheit und Integrität gesehen, Karat symbolisiert Verlässlichkeit und Wertbeständigkeit oder Elan Abwehr und Obhut und so fort. Den Symbolen stehen ausgewählte Requisiten an Kleidung und Körper der Kinder zur Seite. Lautmalerisch aber wird man den Titeln das Gesäusel alltäglicher Werbesprüche eher ablesen als eine den Namen innenwohnende historische Signifikanz. Eine Zeitgenössische Ikonologie, um die Lesbarkeit der Bilder im Rahmen der heutigen kurzweiligen Wortkultur zu garantieren, wäre noch zu schreiben, aber der Gesamtcharakter des „Kinderchors“ wird dennoch einsichtig. Mit der Spieglung des antiken Chors in den Raum politischer Entscheidungsfindung hinein und damit der Inversion vom „idealischen Zuschauer“ des bewegten Geschehens zur photographisch erstarrten Position des Gegenübers werden hier im „Kinderchor“ dem Betrachter die Aufgabe und Verantwortung des kritischen Kommentars und des Eingriffs, allerdings weniger in das theatralische Geschehen als in das gesellschaftliche auf der politischen Bühne, übergeben.
Text: Hubertus v. Amelunxen (aus: DIE BEHAUSUNG DES MENSCHLICHEN. In: Photo- und Konzeptkunst am Baue: Unter den Linden 50. Ein Projekt für den Deutschen Bundestag, Heidelberg 2000)