Bürgerschaftliches Engagement

Ariane Fäscher: Das Ehrenamt ist im Umbruch

Ariane Fäscher (SPD) mit Mappen unterm Arm.

„Ehrenamt ist der Ort, an dem Demokratie geübt wird“, sagt Ariane Fäscher (SPD), stellvertretende Vorsitzende des Unterausschusses Bürgerschaftliches Engagement. (© foto-tham.de)

Das ehrenamtliche Engagement in Deutschland sei groß, verändere sich aber, sagt Ariane Fäscher (SPD), stellvertretende Vorsitzende des Unterausschusses für Bürgerschaftliches Engagement, im Interview am Montag, 5. Dezember 2022, anlässlich des internationalen Tages des Ehrenamtes. Der Aktionstag findet jährlich zur Anerkennung und Förderung ehrenamtlichen Engagements am 5. Dezember statt. Ariane Fäscher erzählt, mit welchen Ideen die Ehrenamtlichen in den Unterausschuss für Bürgerschaftliches Engagement kommen. Das Interview im Wortlaut:

Pandemie, Klima-Krise, Krieg in der Ukraine, hohe Inflation – es sind belastende Zeiten für viele Menschen. Welche Auswirkungen hat das auf ehrenamtliches Engagement?

Das ehrenamtliche Engagement verändert sich: Es wird punktueller, es wird situationsbezogener und krisenangepasster. Das bedeutet, dass die Menschen sich heutzutage nicht mehr so gerne in langfristigen und verbindlichen Strukturen einbringen wollen. Wenn wir uns die üblichen Strukturen von ehrenamtlichen Vereinen ansehen, dann merken wir, dass die Nachwuchs-Führungskräfte, die zum Beispiel Vorstandsposten übernehmen könnten, wegbrechen. Ausnahmen sind vielleicht die Sportvereine, weil die Ehrenamtlichen dort gleichzeitig selbst Sport machen.

Trotzdem ist es so, dass das ehrenamtliche Engagement immer noch wahnsinnig groß ist. Fast 30 Millionen Menschen sind in Deutschland ehrenamtlich tätig. Viele arbeiten gerne projektbezogen und dann sehr intensiv. Initiativen, die von einem bestimmten Thema leben, aber keine festen Strukturen haben – wie beispielsweise Fridays for Future – werden mehr. Das Ehrenamt ist im Umbruch und auf diese Veränderungen muss die Politik reagieren.

Was denken Sie, wieso möchten die Ehrenamtlichen sich nicht mehr langfristig festlegen?

Ich glaube, das hat damit zu tun, dass das ganze Leben viel flexibler geworden ist. Früher ist man mit 16 Jahren in die Ausbildung gegangen und hat bis zur Rente in dem Betrieb gearbeitet. Unser Leben ist insgesamt wesentlich agiler geworden, die Strukturen im Ehrenamt stammen aber noch aus dieser vergangenen Zeit.

Inwiefern beschäftigt das den Unterausschuss für Bürgerschaftliches Engagement?

Wir befassen uns im Moment viel mit der „Nationalen Engagementstrategie“, wobei über den Namen noch diskutiert wird. Wir haben das Ziel, bürgerschaftliches Engagement gemeinsam mit der Zivilgesellschaft neu zu denken und neu zu strukturieren.

Jeder, der möchte, soll sich einbringen können – zu diesem Zweck gibt es unter anderem auch eine Online-Plattform. Für uns geht es um Fragen wie: Was muss der Staat für Rahmenbedingungen setzen, damit das bürgerschaftliche Engagement auch in Zukunft gut gelingt? Und es geht um wichtige Punkte wie die Entbürokratisierung rund um das Ehrenamt, um Versicherungsfragen, aber auch um die Frage der Wertschätzung. Viele Menschen können es sich nicht mehr leisten, eigenes Geld in ihr Ehrenamt zu investieren. Deshalb werden wir über Dinge wie Fahrtkostenerstattung sprechen müssen.

Im Unterausschuss hören wir gerade engagierten Bürgerinnen und Bürger zu, wo es klemmt und was die Ehrenamtlichen brauchen. Dabei versuchen wir die verschiedenen ehrenamtlichen Bereiche einzeln zu betrachten, denn der Blaulicht-Bereich braucht beispielsweise andere Dinge als die Freiwilligendienste.

Vor Kurzem gab es ein Fachgespräch zur der Nationalen Engagementstrategie. Welche Tipps hatten die eingeladenen Gäste aus der Zivilgesellschaft?

Jeder ist in dem Themenfeld, in dem er sich engagiert, ein größerer Experte als die Politikerinnen und Politiker, die im Ausschuss sitzen. Insofern nehmen wir die Anregungen und Tipps sehr dankbar entgegen.

Die Gäste haben zum Beispiel darüber gesprochen, dass Förderanträge unkomplizierter gestaltet werden müssen. Ein Beispiel: In manchen Fällen gibt es Fördergelder vom Bund und von der EU. Hier ergeben sich oft viele Unklarheiten. Förderanträge müssen an zwei verschiedenen Stellen gestellt werden und am Ende wissen die Ehrenamtlichen nicht, was sie wo abrechnen dürfen. Für solche Arbeit brauchen viele Vereine halbe oder ganze Personalstellen, also Menschen, die bezahlt werden. Ehrenamtlich Engagierte fordern auch, dass man Strukturen schafft, in denen diese Jobs von hauptamtlichen Menschen übernommen werden können, damit die ehrenamtlich Engagierten sich um inhaltliche Arbeit kümmern können.

Außerdem ging es um das Thema Freiwilligendienste. Oft können die nur von Abiturienten übernommen werden, da die Elternhäuser hier finanziell häufig besser ausgestattet sind. Denn wer einen Freiwilligendienst macht, muss oft in eine andere Stadt gehen, und von dem Taschengeld des Freiwilligendienstes kann man dort nicht leben. Wenn wir Engagement fördern wollen, müssen wir überlegen, wie wir junge Menschen dazu ermächtigen können.

Gibt es Unterschiede zwischen älteren und jüngeren ehrenamtlich Engagierten?

Wir beobachten, dass das Engagement von Menschen, die älter als 65 Jahre sind, stark zunimmt. Die Menschen möchten zum einen der Gesellschaft etwas zurückgeben, aber auch ihre Erfahrung weiterhin einbringen. Ältere Menschen engagieren sich eher lokal. Jüngere Menschen gehen vielfach raus in die Welt, zum Beispiel im Rahmen eines Freiwilligendienstes. Und das Klimaengagement ist bei den Jüngeren ausgeprägter als bei den Älteren.

Ich glaube, es sind vorrangig die Themen, die das Engagement unterscheiden, aber ich sehe keine Unterschiede in der Motivation und auch nicht in der Intensität des Engagements.

Aus Ihrem eigenen Erleben: Wie wichtig ist ehrenamtliches Engagement für unsere Demokratie?

Ich nehme es so wahr, dass ehrenamtliches Engagement der Ort ist, an dem Demokratie eingeübt wird. Hier kann ich mit Hingabe teilnehmen, muss aber auch lernen, Kompromisse einzugehen. Denn wenn viele Menschen zusammenkommen, gibt es viele Ideen und die müssen miteinander verzahnt werden. Diesen Verhandlungsprozess einzuüben und gemeinsam ein gutes Ergebnis anzustreben und dabei soziale Gemeinschaft zu erleben – das ist für mich Demokratie. Es ist doch so: In dem Moment, in dem ich gestalte, mache ich Politik. Und das ist überall da der Fall, wo Menschen zusammenkommen und sich engagieren.

(mk/05.12.2022)