Peter Beyer zur IPU: Gezielten Missbrauch von Migrationsströmen verhindern
Die Bedingungen für Migrantinnen und Migranten weltweit zu verbessern: Für die Verabschiedung einer entsprechenden Resolution hat sich die deutsche Delegation zur Interparlamentarischen Union (IPU) bei der Herbsttagung vom 10. bis 15. Oktober 2022 in Ruanda, erfolgreich eingesetzt, sagt Peter Beyer (CDU/CSU), Leiter der Delegation der Bundestagsabgeordneten zur IPU. Es gehe darum zu verhindern, dass Migrationsströme von Staaten und Regierungen dazu missbraucht werden, um eigene politische Zwecke zu verfolgen. Im Interview spricht Beyer über die Themen der Konferenz, unterschiedliche regionale Perspektiven beim Ringen um den Resolutionstext, Treffen der deutschen Abgeordneten mit den Delegationen aus der Ukraine, Afghanistan und Japan und eine selbstbewusste Konferenzhauptstadt Kigali. Das Interview im Wortlaut:
Herr Beyer, in der öffentlichen Wahrnehmung und in der Tagespolitik gewinnen Migrationsfragen gerade wieder größere Beachtung. In Vertretung des Ko-Berichterstatters der deutschen Delegation, Dr. Johann Wadephul, und als Leiter der deutschen Delegation in Vertretung von Ralph Brinkhaus haben Sie nun während der Herbsttagung der IPU einen Entschließungsentwurf zu dem Thema präsentiert und verhandelt. Der Bericht, den Herr Dr. Wadephul mit zwei weiteren Berichterstattern aus Indonesien und Uruguay vorgelegt hat, ist das Ergebnis einer einjährigen Zusammenarbeit. Was sind dabei die wichtigsten Punkte?
Im Zentrum steht der Einfluss von Parlamenten und Parlamentariern auf Migration in ihrem jeweiligen Land und ihrer Region. Wichtig bei diesem Thema war der Aspekt, dass Menschenhandel und die Ausbeutung von Migranten unterbunden werden müssen. Wir haben uns erfolgreich insbesondere dafür eingesetzt, dass verhindert wird, dass von Staaten und Regierungen bewusst und gezielt Migrationsströme missbraucht werden, um eigene politische Zwecke zu verfolgen. Die Mitglieder der IPU haben sich mehrheitlich dafür ausgesprochen, die Bedingungen von Frauen und Kindern zu verbessern, die besonders von den Ursachen von Migration betroffen sind. Dazu gehören neben Kriegen, Konflikten und wirtschaftlich schlechten Bedingungen auch die Auswirkungen des Klimawandels. Dass die IPU in der Resolution den russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine klar verurteilt und deren territoriale Integrität und Souveränität verteidigt, ist als besonders starke Positionierung hervorzuheben.
Wie wurde der Entwurf unter den Delegationen aus aller Welt diskutiert, d.h. welche Perspektiven bringen andere Regionen ein, und woher kamen Änderungswünsche und Vorbehalte?
Erfreulicherweise haben sich viele Länderdelegationen mit Änderungswünschen und Ergänzungen eingebracht, was dem Text und der Aussagekraft der Resolution insgesamt gut getan hat. Spannend war das lebhafte Ringen aus unterschiedlichen Teilen der Welt mit oftmals völlig konträren Standpunkten in Bezug vor allem auf staatlicherseits missbrauchter Migration. Am Ende ist es gut gelungen, aus allen Eingaben einen einheitlichen und von der klaren Mehrheit der Mitgliedstaaten der IPU angenommenen Resolutionstext zu verabschieden. Das ist die gute Botschaft von Kigali.
Der russische Angriffskrieg gegen die Ukraine war auch unter den Parlamentariern aus aller Welt ein Top-Thema. Wie wird dieser europäische Krisenherd von anderen Erdteilen aus betrachtet?
Unseren europäisch-westlich geprägten Blick auf den Krieg teilen viele Länder in anderen Weltregionen nicht. Zum Beispiel mussten wir erleben, dass Länder wie Südafrika und andere afrikanische Staaten, Indonesien, Belarus, Syrien, Iran und eine Reihe anderer Staaten mit einer abweichenden Gewichtung auf den russischen Krieg blicken. Das hat viele Gründe. Zum einen spielt die geographische Distanz zu diesem von manchen als „genuin europäisch“ eingestuften Konflikt eine Rolle, zum anderen sind Aspekte der Weltanschauung, Religion, politischen Verfasstheit und mit Sicherheit auch der wirtschaftlichen Abhängigkeit einflussnehmende Faktoren. Am Ende zeigte sich aber, dass es in der IPU eine Mehrheit gibt, die universell geltende Menschenrechte und das Völkerrecht nicht nur in Schaufensterreden beschwören, sondern tatsächlich auch als Parlamente und Parlamentarier fest zu diesen im Menschsein verankerten Werten steht.
Während der fast einwöchigen Tagung kam die deutsche Delegation auch wieder zu bilateralen Gesprächen mit Delegationen anderer Länder zusammen. Welche Schwerpunkte hat die deutsche Delegation dabei gesetzt?
Die Treffen mit Delegationen anderer IPU-Parlamente sind besonders wertvoll, bieten sie doch Gelegenheit dazu, in geschütztem Umfeld separater Räumlichkeiten direkt mit den Kolleginnen und Kollegen zu diskutieren. Leider ist es bei Konferenzen dieser Art nämlich oft so, dass vorgefertigte Sprechzettel abgelesen werden. Dabei erhält man dann den Eindruck, die Rede wird vor allem für das heimische Publikum gehalten und auch, um der Regierung zu Hause zu gefallen. Dies gilt insbesondere für autoritär regierte Staaten. In Kigali hatte sich die von mir geleitete deutsche Delegation unter anderem mit den Delegationen aus der Ukraine, Afghanistan und Japan bilateral ausgetauscht. Das Themenspektrum reichte vom russischen Angriffskrieg gegen die Ukraine über Fragen der Frauenrechte bis hin zu Umwelt- und Technologiethemen. Die deutsche Delegation hat sich geschlossen und solidarisch hinter die Ukraine gestellt und Russland zum sofortigen Abzug seiner Truppen aufgefordert.
„Geschlechtergleichstellung und geschlechtersensible Parlamente als Motor des Wandels für eine resilientere und friedlichere Welt“ hatte das gastgebende ruandische Parlament als Thema der Generaldebatte gewählt. Was ist Ihr Eindruck: Hat das Thema genug ernsthaften Zuspruch erfahren?
Wie bei anderen Themen auch, so gilt auch hier, dass es stark unterschiedliche Ausprägungen in der Welt gibt, wie die damit verbundenen Rechte von Frauen realisiert sind. Manche Länder können bereits Parlamente vorweisen, die geschlechter-paritätisch besetzt sind, bei anderen gibt es hier noch viel Nachholbedarf. Man muss immer genau hinschauen: Ein zumindest hälftig mit Frauen besetztes Parlament bietet noch keine Gewähr dafür, dass diese Kolleginnen auch wirklich mit vielen und starken Rechten ausgestattet sind und Einfluss nehmen können. Aber es tut sich etwas: Alle Rede- und Diskussionsbeiträge hielten die Rechte von Frauen und die Gleichstellung hoch - selbst in Ländern wie Iran, die gerne Frauen reden lassen, um den Eindruck zu erwecken, in ihrem Land gäbe es keine Probleme beim Thema Frauenrechte. Die Ehrlichkeit und die Ernsthaftigkeit muss dann natürlich immer kritisch hinterfragt werden.
Sagen Sie ein paar Worte zum Gastgeberland der Konferenz. Während vor drei Jahrzehnten ein schrecklicher Bürgerkrieg in dem Land herrschte, gehört Ruanda seit über einer Dekade zu den am stärksten wachsenden Volkswirtschaften Afrikas und versucht sich als Ausrichter internationaler Konferenzen zu profilieren. Ist das gelungen?
Ich danke dem Gastland Ruanda und seinem Parlament für die Einladung und gratuliere zur gut gelungenen Durchführung des IPU-Meetings. Besonders eindrücklich war der Besuch beim Genozid-Memorial, für das wir uns als deutsche Delegation, gemeinsam mit den Kolleginnen und Kollegen aus den Niederlanden, sehr viel Zeit genommen hatten. Neben einer Kranzniederlegung, um den rund eine Million Opfern zu gedenken und Respekt zu zollen, hatten wir auch Gelegenheit, uns intensiv mit Vertretern von NGOs auszutauschen, die sich Aufarbeitung, Versöhnung und Prävention widmen. Ruanda hat in den vergangenen Jahren bedeutende politische und wirtschaftliche Fortschritte erzielt. Die Hauptstadt Kigali zeigt sich dem Besucher als moderne, sichere Stadt, die sich durch ein besonders geordnetes, öffentliches Leben präsentiert. Das darf aber nicht darüber hinwegtäuschen, dass der ruandische Präsident Paul Kagame autoritäre Strukturen im Land verfestigt, wie die Verhaftung einer jungen Frau, die während eines Konzertbesuchs ein teilweise transparentes Kleid getragen hatte, erst kürzlich wieder gezeigt hat.
(ll/20.10.2022)