27. September 2024 Presse

Wochenzeitung „Das Parlament“: Die Sozialpolitikerin Dagmar Schmidt (SPD) bewertet das Rentenpaket II als starkes Signal der Sicherheit und lehnt eine weitere Erhöhung des Renteneintrittsalters ab

Vorabmeldung zu einem Interview in der nächsten Ausgabe der Wochenzeitung „Das Parlament“ (Erscheinungstag: 28.09.2024)

– bei Nennung der Quelle frei zur sofortigen Veröffentlichung –

Die Sozialpolitikerin Dagmar Schmidt (SPD) verteidigt das Rentenpaket II der Ampel-Regierung gegen Kritik: „Wir senden ein sehr deutliches Signal der Sicherheit an jene, die heute arbeiten und wissen sollen, dass sie sich auf die gesetzliche Rente verlassen können“, sagt sie in einem Interview mit der Wochenzeitung „Das Parlament“. Die SPD wolle nicht, dass die Renten sinken und mit den im Gesetzentwurf kalkulierten Beitragssätzen sei dies auch machbar. „Die Rentenbeiträge gehen bei all unseren Kalkulationen auch nicht durch die Decke“, so Schmidt.

Wer jetzt nur niedrigere Rentenbeiträge im Blick habe, übersehe die Folgen: eine niedrigere gesetzliche Rente und dadurch mehr Druck, selber privat vorzusorgen. Das sei nicht billiger, so die SPD-Abgeordnete.

Der erste Ansatzpunkt der Bundesregierung beim Thema Rente sei aber, für gute Löhne zu sorgen. „Ich kann das Rentenniveau noch so hochschrauben: Wenn ich einen schlechten Lohn gehabt oder lange Teilzeit gearbeitet habe, wird auch ein höheres Rentenniveau nicht zu einer armutsfesten Rente führen.“

Schmidt lehnt es klar ab, das Renteneintrittsalter pauschal für alle Beschäftigten über 67 Jahre hinaus zu erhöhen: „Das trifft ganz besonders diejenigen hart, die eine deutlich geringere Lebenserwartung haben, also vor allem Menschen in geringen Einkommensgruppen, die oft harte Arbeit leisten. Menschen mit geringem sozioökonomischen Status haben bei uns eine deutlich geringere Lebenserwartung als in anderen Industrienationen. Dafür sollten wir uns schämen und ihnen nicht noch weiter die Renten kürzen.“

 

Das Interview im Wortlaut:

Frage: Frau Schmidt, das Rentenpaket II wurde von FDP-Fraktionschef Christian Dürr noch im Mai als „Jahrhundertreform“ bezeichnet. Haben Sie Sorge, dass der nun angekündigte „Herbst der Entscheidungen“ durch die FDP dem Projekt doch noch einen Strich durch die Rechnung macht?

Antwort: Nein, denn das Kabinett hat das Rentenpaket beschlossen und deswegen gehe ich davon aus, dass wir als Ampel-Koalition es im Bundestag auch beschließen.

Frage: Würden Sie das Rentenpaket II auch mit solchen Superlativen beschreiben? Einige Kritiker nennen es im Gegenzug „einen kleinen Wurf“.

Antwort: Ich bin mit Superlativen grundsätzlich vorsichtig. Aber: Wir senden ein sehr deutliches Signal der Sicherheit an jene, die heute arbeiten und wissen sollen, dass sie sich auf die gesetzliche Rente verlassen können. Denn für die allermeisten Menschen ist sie die Grundlage des Einkommens im Alter. Über einen langen Zeitraum bis 2040 geben wir den Menschen die Sicherheit, dass die Renten weiter mit den Löhnen steigen. Das ist in Zeiten, in denen große Angriffe auf den Sozialstaat gefahren werden, nicht Nichts.

Frage: Die 2018 beschlossene Haltelinie für das Rentenniveau von 48 Prozent soll über 2025 hinaus gelten. Sozialverbände argumentieren, auch 48 Prozent seien für eine armutsfeste Rente zu wenig.

Antwort: Zuerst orientiert sich die Rente an dem, was ich während meines Arbeitslebens verdient und eingezahlt habe. Und deswegen ist unser erster Ansatzpunkt, für gute Löhne zu sorgen. Ich kann das Rentenniveau noch so hochschrauben: Wenn ich einen schlechten Lohn gehabt oder lange Teilzeit gearbeitet habe, wird auch ein höheres Rentenniveau nicht zu einer armutsfesten Rente führen. Für die SPD gilt deshalb: Gute Arbeit ist gut bezahlte Arbeit; Teilzeitbeschäftigte müssen die Möglichkeit haben, auch Vollzeit zu arbeiten; es braucht eine gute Kinderbetreuung. All das sind zentrale Punkte, die die Chance auf eine gute Rente deutlich erhöhen.

Frage: Wie sinnvoll ist überhaupt die Konzentration der Debatte auf das Rentenniveau, denn das bezieht sich auf sogenannte Standard-Rentner, die 45 Jahre den Durchschnittslohn verdient haben. Das trifft auf Millionen Menschen, vor allem Frauen und ostdeutsche Beschäftigte, gar nicht zu.

Antwort: Das Rentenniveau ist wichtig, um deutlich zu machen: Die Renten sind an die Lohnentwicklung gekoppelt – und damit von der Wohlstandsentwicklung eben nicht abgekoppelt. Was die Frage von niedrigen Löhnen angeht: Darum kümmern wir uns, indem wir den Mindestlohn und die Tariflöhne im Blick haben, der Mindestlohn wurde bereits erhöht und am Tariftreuegesetz arbeiten wir mit Hochdruck.

Frage: Ohne Beitragssteigerungen wird es jedenfalls nicht gehen, dagegen laufen vor allem Wirtschaftsverbände Sturm, die diese zur Hälfte mittragen.

Antwort: Natürlich klingen niedrigere Rentenbeiträge zunächst verlockend. Aber das bedeutet als erstes: Ich muss privat vorsorgen. Private Vorsorge ist dann aber nicht mehr paritätisch, denn dafür zahlt der Arbeitgeber nichts mehr, außer ich habe eine gute Betriebsrente. Das ist am Ende nicht billiger. Wir wollen nicht, dass die Renten sinken und mit den von uns kalkulierten Beitragssätzen ist es auch machbar. Die Rentenbeiträge gehen bei all unseren Kalkulationen auch nicht durch die Decke.

Frage: Seit den Reformen von 2001 sinkt das Rentenniveau, als Beteiligung der Rentner am demografischen Wandel. Sind die Haltelinien so etwas wie eine Abkehr von dieser Idee? 

Antwort: Es geht um das Festlegen einer Mindesthöhe, die signalisiert: Bestimmte Standards werden in unserer Gesellschaft nicht unterschritten, ein Grundsatz an sozialem Zusammenhalt ist garantiert. Wenn wir eine sehr gute Arbeitsmarktlage haben, uns Fachkräftezuwanderung gut gelingt, wenn wir das Arbeitspotenzial von Frauen stärker nutzen, dann kann das Rentenniveau auch wieder über 48 Prozent liegen.

Frage: Die Lücke sollte mit privater Vorsorge gefüllt werden, mit bekanntlich mäßigem Erfolg. Für Geringverdiener ist es schwer, angesichts steigender Kosten allein für das Wohnen zusätzlich vorzusorgen.

Antwort: Die gesetzliche Rente ist häufig allein nicht ausreichend, um den gewohnten Lebensstandard auch im Alter zu sichern. Für uns ist es deshalb sehr wichtig, die Betriebsrente zu stärken. Sie ist wirklich die starke zweite Säule der Vorsorge. Betriebsrenten müssen nicht nur von einem selber getragen werden, sondern werden ebenfalls paritätisch finanziert. Dort kann man in großen Kollektiven sehr viel bessere Ergebnisse erzielen, als wenn jeder für sich selbst einen Versicherungsvertrag abschließt. Betriebsrenten sind auch für Geringverdiener eine gute Chance, ihre gesetzliche Rente aufzubessern. Daran arbeiten wir.

Frage: Die größte Herausforderung, der Renteneintritt der Babyboomer, erreicht bald seine Spitze. Hätte das Generationenkapital, die aktienbasierte Finanzspritze für die Rentenversicherung, nicht schon viel früher angelegt werden müssen?

Antwort: Insgesamt steht unser Rentensystem finanziell gut dar. Die Beiträge werden auch nicht ins unermessliche steigen. Man hätte, wie andere Länder das gemacht haben, sehr viel früher den Beitragssatz punktuell ansteigen lassen können, um vorbereitet zu sein. Wir waren in der Vorsorge nicht so gut wie andere Länder und müssen das jetzt nachholen. 

Frage: In diesem Zusammenhang wird gern auf Schweden oder Österreich verwiesen.

Antwort: Das ist aber oft ein Vergleich von Äpfeln mit Birnen. Gerade beim österreichischen System wird oft vergessen, dass man dort mindestens 15 Jahre einzahlen muss, um überhaupt einen Anspruch zu haben. Deswegen können wir nicht einfach sagen, wir machen es jetzt so wie in Österreich.

Frage: Nun werden Ideen für eine große Rentenreform von vielen Seiten schon seit Jahren diskutiert. Der Sachverständigenrat hat unter anderem eine Dynamisierung des Renteneintrittsalters abhängig von der steigenden Lebenserwartung vorgeschlagen. 

Antwort: Das Renteneintrittsalter entlang Lebenserwartung auszugestalten, trifft ganz besonders diejenigen hart, die eine deutlich geringere Lebenserwartung haben, also vor allem Menschen in geringen Einkommensgruppen, die oft harte Arbeit leisten. Menschen mit geringem sozioökonomischen Status haben bei uns eine deutlich geringere Lebenserwartung als in anderen Industrienationen. Dafür sollten wir uns schämen und ihnen nicht noch weiter die Renten kürzen.

Frage: Neu im Spiel ist das private Altersvorsorgedepot, an dem das Bundesfinanzministerium arbeitet, eine ebenfalls staatlich geförderte Anlagemöglichkeit ohne Beitragsgarantie aber mit mehr Wahlfreiheit, mehr Risiko, mehr Rendite. Für wie notwendig halten Sie diese Pläne?

Antwort: Die SPD hat nichts gegen private Vorsorge, aber man muss schon sehr genau prüfen, wie viel Steuergeld und Subventionen dort reingesteckt werden. Wer privat vorsorgen möchte, muss sich darauf verlassen können, dass er ein gutes Produkt bekommt. Wir wissen inzwischen, dass gerade in der Anfangszeit der Riester-Rente viele Produkte verkauft worden sind, die sich am Ende nicht so gut auszahlen. Unsere gesetzliche Rentenversicherung als Generationenvertrag hat uns dagegen bisher durch alle Höhen und Tiefen dieses Landes sicher begleitet. Es ist ein System, das sehr gut funktioniert, obwohl es schon zigmal für gescheitert erklärt wurde. Die Rentenversicherung zahlt ja nicht nur monatlich eine bestimmte Rente aus, sie versichert die Beschäftigten im Fall von Erwerbsminderung, sie versichert Ehepartner und Reha-Ansprüche für Kinder, die ziemlich gut sind. Dieser ganzheitliche Ansatz ist in anderen Versicherungsmodellen so nicht abgebildet.