Experten üben moderate Kritik am Digitale-Dienste-Gesetz
Berlin: (hib/LBR) Bei einer öffentlichen Anhörung des Digitalausschusses ist das von der Bundesregierung geplante Digitale-Dienste-Gesetz (20/10031) zur Umsetzung des Digital Services Act (DSA) auf nationaler Ebene von den geladenen Sachverständigen überwiegend begrüßt worden. Moderate Kritik wurde an einzelnen Punkten des Entwurfs zur Umsetzung laut.
Während die seit dem 17. Februar 2024 in der Europäischen Union geltende DSA-Verordnung etwa Sorgfaltspflichten für Online-Dienste im Kampf gegen Desinformation und Hassrede im Internet und die Durchsetzung auf EU-Ebene regelt, konkretisiert der Gesetzentwurf der Bundesregierung Zuständigkeiten der Behörden in Deutschland. Zuständig für die Aufsicht der Anbieter und die Durchsetzung des DSA in Deutschland soll laut Gesetzentwurf die Bundesnetzagentur (BNetzA) sein, bei der eine Koordinierungsstelle eingerichtet werden soll. Ergänzend sollen Sonderzuständigkeiten für die Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz, für nach den medienrechtlichen Bestimmungen der Länder benannte Stellen sowie für den Bundesbeauftragten für den Datenschutz und die Informationsfreiheit geschaffen werden. Das Bundeskriminalamt soll als zentrale Meldestelle für strafbare Inhalte fungieren.
Susanne Dehmel (Bitkom) bezeichnete den DSA als „Meilenstein für Internetnutzer in der EU“, der den Schutz vor Produktfälschungen, Desinformation und Hassrede sowie die Sicherheit im Netz deutlich verbessern könne. Die auf Vorschlag der FDP-Bundestagsfraktion eingeladene Sachverständige betonte, dass es nun auf die praxisnahe Um- und Durchsetzung ankomme, da die BNetzA schnell ein Mandat benötige. Dehmel plädierte weiter für einheitliche horizontale Regeln und dafür, in einem delegierten Rechtsakt vorzuschreiben, dass alle Digital Service Coordinators das gleiche Antragsformular und Verfahren für die Bewertung aller Anträge anwenden.
Auch Lina Ehrig vom Verbraucherzentrale Bundesverband betonte, die Notwendigkeit einer starken nationalen Aufsicht. Im Entwurf müsse klargestellt werden, dass die Koordinierungsstelle die alleinige Vertretung Deutschlands im europäischen Gremium übernehme und das alleinige Stimmrecht habe. Die auf Vorschlag der SPD-Fraktion geladene Expertin wies darauf hin, dass der Aufbau einer zentralen Beschwerdestelle mit der Einrichtung eines möglichst einfachen Systems der Beschwerdeannahme einhergehen müsse. Mit Blick auf den geplanten Beirat plädierte Ehrig dafür, zu regeln, wie mit dessen Empfehlungen umgegangen werde, sodass eine Nichtumsetzung begründet werden müsse.
Das betonte auch die zweite von der SPD-Fraktion eingeladene Sachverständige, Svea Windwehr, von der Gesellschaft für Freiheitsrechte. Sie halte langfristig die Schaffung einer vollständig unabhängigen Behörde mit eigenem Haushaltstitel für sinnvoll, sagte Windwehr. Auch begrüße sie die Schaffung des Beirats, dessen Sitzungen allerdings im Internet übertragen und dessen Dokumente veröffentlicht werden sollten.
Der Präsident des Bundesverbands Digitale Wirtschaft (BVDW), Dirk Freytag, nannte es bedauerlich, dass erst jetzt über die nationale Umsetzung des DSA beraten werde. Der auf Vorschlag der Unionsfraktion geladene Sachverständige betonte, dass die zentrale Aufsicht und die Zentralisierung des Beschwerdeverfahrens Errungenschaften seien, die in der Umsetzung des Gesetzes nicht verwässert werden dürften. Um Effizienz zu gewährleisten, müsse eine „möglichst schlanke Aufsichtsstruktur“ angestrebt werden. Eine Mischverwaltung wie bei der Datenschutz-Grundverordnung und ein „Bürokratiemonster“ für Beschwerdeführer wie auch für betroffene Unternehmen müsse unbedingt vermieden werden.
Der Direktor der Landesanstalt für Medien NRW, Tobias Schmid, begrüßte den Entwurf ausdrücklich. Er wies darauf hin, dass es gute Gründe für die Einbeziehung der Landesmedienanstalten gebe. Die Medienanstalten lehnten eine konkretisierende Festschreibung der Verfahren zwischen den zuständigen Behörden auf nationaler Ebene ab, sagte Schmid weiter. Verwaltungsvereinbarungen böten mehr Flexibilität und eine schnellere Umsetzung von Anpassungserfordernissen.
Tobias Mast vom Leibniz-Institut für Medienforschung, der auf Vorschlag der Grünen-Fraktion eingeladen wurde, nannte den Entwurf „im Großen und Ganzen recht gelungen.“ Die Zuständigkeitsabgrenzung zwischen der Bundeszentrale für Kinder- und Jugendmedienschutz und den Landesbehörden halte er jedoch für zu komplex. Außerdem plädierte Mast, die im Referentenentwurf angedachte Expertiseerfordernis für die Leitung der Koordinierungsstelle und die Erweiterung des Anwendungsbereichs des Hinweisgeberschutzgesetzes auf den DSA wieder aufzunehmen. Zudem müsse der Beirat bei der Koordinierungsstelle stärkere Auskunfts- und Informationsrechte erhalten, um kein „zahnloser Tiger“ zu sein.
Ralf Müller-Terpitz von der Fakultät für Rechtswissenschaft und Volkswirtschaftslehre der Universität Mannheim, der auf Vorschlag der Vorsitzenden eingeladen wurde, schloss sich dieser Einschätzung an. Die Unabhängigkeit der Koordinierungsstelle sei im Grundsatz gut gelöst, nachjustiert werden müsse bei der Verwendung der Finanzmittel. Ebenfalls sei noch nicht hinreichend geregelt, welches Verhältnis die Koordinierungsstelle und die BNetzA zueinander haben und wer im Verwaltungsvollzug nach außen auftrete, sagte Müller-Terpitz.
Matthias Spielkamp von AlgorithmWatch plädierte dafür, den vorgesehenen Forschungsetat von 300.000 Euro aufzustocken. Zudem müsse der Katalog der Straftaten klarer eingegrenzt und die Beteiligung von Zivilgesellschaft und Wissenschaft über den Beirat hinaus ausgerichtet werden. Er empfahl weiter, die prognostizierten Bedarfe für die Ausstattung der zuständigen Stellen, etwa beim BKA, zu überprüfen. Auch müsse die Weiterleitung von Nutzerdaten an das BKA, wo nötig, noch konkreter eingegrenzt werden, so Spielkamp.
Der Präsident der Bundesnetzagentur, Klaus Müller, wies darauf hin, dass die BNetzA bereits als designierter Digital Services Coordinator (DSC) Aufgaben angehe. So unterstütze man unter anderem die Europäische Kommission bei den Verfahren gegen die Plattformen X (vormals Twitter) und TikTok. Auf informeller Ebene - noch ohne verabschiedetes Gesetz - werde bereits eine gute kollegiale Zusammenarbeit praktiziert. Auch seien mit den anderen DSCs Verfahrensabsprachen getroffen worden, um auf eine europaweite Einheitlichkeit hinzuwirken. Aktuell bereite man sich auch auf Anfragen von Verbrauchern vor, berichtete Müller weiter, und verwies auf dafür nötige personelle und finanzielle Ressourcen im Haushalt.
Die Anhörung im Video und die Stellungnahmen der Sachverständigen auf bundestag.de: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2024/kw08-pa-digitales-digitale-dienste-989600