Kampf gegen den Hunger: Forschung muss intensiviert werden
Berlin: (hib/HAU) Die Sicherung der weltweiten Nahrungsmittelversorgung steht nach Aussage von Andreas Graner Geschäftsführender Direktor und Leiter der Abteilung Genbank am Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung, weiterhin vor enormen Herausforderungen. Trotz der nachteiligen Auswirkungen des Klimawandels, der Erfordernisse eines reduzierten Einsatzes von Dünge- und Pflanzenschutzmitteln und der Notwendigkeit, den Verlust der Artenvielfalt und Nutzpflanzenvielfalt zu stoppen, gelte es, eine Absenkung der Flächenerträge unbedingt zu vermeiden und die Erträge möglichst bei solchen Nutzpflanzen zu steigern, bei denen dies weiterhin möglich ist, sagte Graner am Mittwoch während eines öffentlichen Fachgespräches des Parlamentarischen Beirats für nachhaltige Entwicklung zum Thema „Nachhaltige Agrar- und Ernährungssysteme“. Dies, so der Agrarwissenschaftler, erfordere Innovationen auf breiter Ebene.
Graner verwies auf Zielkonflikte. So gefährde etwa die Maximierung von Biodiversität und der Verzicht auf chemischen Pflanzenschutz die Ernährungssicherheit. Bei der Umsetzung von Nachhaltigkeitsszenarien gelte es daher zum einen, deren Auswirkungen auf die Flächenerträge und zum anderen die Verfügbarkeit landwirtschaftlicher Flächen zu berücksichtigen. Vorgaben aus dem Europäischen Green Deal und auch von der Bundesregierung zur aus ökologischer Sicht „sehr positiv zu bewertenden Erhöhung des Anteils der biologischen Landwirtschaft“ führten bei unveränderter Nachfrage zu einem erhöhten Flächenbedarf. Schließlich lägen die Erträge beim Öko-Landbau unter denen der konventionellen Landwirtschaft.
Die aktuellen Herausforderungen erforderten die Erarbeitung zeitnaher Lösungsansätze für eine nachhaltige Intensivierung der Landwirtschaft, sagte Graner. Eine Steigerung der Flächenerträge durch pflanzenbauliche Maßnahmen und Pflanzenschutz werde aufgrund der gesetzlichen Vorgaben zunehmend schwierig. Dementsprechend fielen der Pflanzenzüchtung und der vorgelagerten Grundlagenforschung große Bedeutung zu. „Hierbei gilt es, alle zur Verfügung stehenden Technologien und Forschungsansätze zu nutzen“, verlangte er. Diese reichten von der Genomforschung über Mutageneseverfahren und Genomediting bis hin zur grünen Gentechnik.
Auf Nachfrage sagte Graner, er sei weit entfernt davon zu sagen, dass solche Verfahren die Lösung für das Hunger- und Verteilungsproblem in der Zukunft darstellen. Gleichwohl seien es Technologien, „die wir uns auf jeden Fall offenhalten müssen“. Sie hätten einen „Optionswert“.
Für Stig Tanzmann, Referent für Landwirtschaft bei der Organisation „Brot für die Welt“, muss die Verwirklichung des Rechts auf Nahrung für alle Menschen das zentrale Ziel der nachhaltigen Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme sein. „Es geht um eine Welt ohne Hunger, in der die Menschenrechte aller gewahrt werden“, sagte er vor den Abgeordneten. Die bestehenden Systeme ließen mehr als 800 Million Menschen hungern und versorgten 2,4 Milliarden Menschen nur mangelhaft mit gesunder Nahrung. „Gleichzeitig schädigen die bisherigen Systeme zum Teil massiv die Biodiversität und tragen zum Klimawandel bei“, sagte Tanzmann. Dadurch seien die Lebensgrundlagen aller Menschen bedroht. „Die Transformation muss also die Lebensweise der Menschheit wieder mit den Grenzen des Planeten in Einklang bringen“, sagte er. Bei dieser Transformation müssten alle Menschen mitgenommen werden. Der Welternährungsausschuss (CFS), als das inklusivste Gremium der Vereinten Nationen, sollte die führende koordinierende Rolle bei einer Transformation der Agrar- und Ernährungssysteme innehaben.
Wichtig sei auch die enge Absprache mit Partnerorganisationen aus dem globalen Süden, auch weil sie die Perspektive der von Hunger und Mangelernährung Betroffenen in die Auseinandersetzung einbrächten. Negative Folgen der bisherigen Nahrungsproduktion und -verteilung müssten klar benannt und Alternativen mit Kleinproduzenten und Betroffenen analysiert und entwickelt werden, damit sich die Transformation an ihren Rechten und Ansprüchen ausrichtet, forderte er.
Positiv bewertete der Experte die zunehmende Zusammenarbeit der Bundesregierung mit dem UN-Sonderberichterstatter für das Recht auf Nahrung an. Es sei zu begrüßen, dass das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft ihn erstmals prominent zum Global Forum for Food and Agriculture (GFFA) 2023 nach Berlin eingeladen habe.
Tanzmann forderte im Interesse einer nachhaltigen Transformation „Kohärenz im politischen Handeln“. Dies gelte insbesondere für das Recht auf Nahrung und die Berücksichtigung von Beschlüssen des CFS bei der Ausgestaltung von Politiken und Gesetzen. „Daher sollten dringend in den zuständigen Ministerien Vorschläge entwickelt werden, wie das Recht auf Nahrung und CFS-Beschlüsse in Deutschland und Europa besser umgesetzt werden können“, forderte er.