Anhörung zu Änderungen im Wettbewerbsrecht
Berlin: (hib/EMU) Die von der Bundesregierung geplanten Änderungen des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen (GWB) sind von den acht Sachverständigen in einer öffentlichen Anhörung des Wirtschaftsausschusses am Mittwoch äußerst konträr diskutiert worden. Während eine Mehrheit die Vorteile der Novelle unterstrichen, äußerten einige Fachleute Bedenken, dass dem Bundeskartellamt mit der Neuerung zu viele Möglichkeiten der Marktgestaltung eingeräumt würden.
Der Gesetzentwurf (20/6824) zur Änderung des Gesetzes gegen Wettbewerbsbeschränkungen und anderer Gesetze sieht unter anderem vor, die Wirksamkeit von sogenannten Sektoruntersuchungen im Kartellrecht zu erhöhen. So sollen die Verfahren demnächst schneller ablaufen und das Bundeskartellamt die Befugnis erhalten, im Anschluss an eine Sektoruntersuchung eine „erhebliche und fortwährende Störung des Wettbewerbs festzustellen und auf dieser Grundlage verhaltensbezogene und strukturelle Abhilfemaßnahmen anzuordnen“.
Mit der GWB-Novelle soll zudem unter anderem die Anwendbarkeit der kartellbehördlichen Vorteilsabschöpfung vereinfacht werden. So blieben wirtschaftliche Vorteile, die durch Verstöße gegen das Kartellrecht entstanden sind, nicht bei den Unternehmen, die die Verstöße begangen haben, heißt es in dem Gesetzentwurf.
Jens-Uwe Franck, Inhaber des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, Handels- und Kartellrecht an der Universität Mannheim, bewertete die nun vorgesehene Möglichkeit, Gewinne, die in Missachtung des Wettbewerbsrechts erwirtschaftet wurden, abzuschöpfen, als positiv: „Das scheint mit ein konzeptuell sinnvolles Instrument zu sein, wenn es eng ausgelegt wird“, sagte der auf Vorschlag der SPD-Fraktion eingeladene Fachmann. Es sei im nun vorliegenden Gesetzentwurf zwar nicht ausgeschlossen, dass theoretisch ein Betrag abgeschöpft wird, der größer ist als der, der unrechtmäßig erwirtschaftet wurde, so Franck. Er verwies jedoch auch auf die bereits bestehenden Härtefallregelungen und die Zehn-Prozent-Deckelung. Mit der GWB-Novelle werde dem Bundeskartellamt zwar ein „weites Recht“ gegeben, die Gefahr von Marktdesign oder Preisfestschreibungen sehe er jedoch nicht, sagte der Sachverständige.
Stephan Wernicke, Bereichsleiter Recht bei der Deutschen Industrie- und Handelskammer, hingegen sieht in dem Gesetzentwurf durchaus einen „Eingriff in das System“. Der auf Vorschlag der FDP-Fraktion eingeladene Sachverständige sagte, er unterstütze zwar die Einrichtung einer Subsidiaritätsregel. Doch man dürfe auf der anderen Seite nicht die Intensität einer Sektoruntersuchung unterschätzen, die diese für die Unternehmen habe. Wernicke bewertete den Gesetzentwurf zudem an einigen Stellen als nicht ausreichend ausformuliert. „Wir wollen den Gesetzestext ganz eindeutig haben“, sagte der Sachverständige. Es sei nicht klar formuliert, wann aus Sicht des Gesetzgebers Marktmacht in eine Störung umschlage. „Es fehlt im aktuellen Entwurf an nachvollziehbaren Maßstäben, an denen sich die Unternehmen orientieren können“, so Wernicke.
Georg Boettcher, Experte für Kartellrecht bei der Siemens AG, äußerte sich ebenfalls zu den Belangen der Unternehmen in Deutschland. Aus seiner Sicht entstehe durch die GWB-Novelle eine „hohe Rechtsunsicherheit“ auf Seiten der Unternehmen. Diese seien einem Eingriff durch das Bundeskartellamt ausgesetzt. Mit dem Gesetzentwurf gehe die Bundesregierung zudem einen europäischen Sonderweg. „Es gibt in der EU keine anderen vergleichbaren Regelungen“, sagte Boettcher, der auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion eingeladen worden war. Das Gesetz werde zudem nicht nur Großunternehmen treffen, sondern auch kleinere und mittlere Unternehmen, die häufig in kleinen Branchen agierten. Das neue Gesetz werde Auswirkungen auf Unternehmensentscheidungen haben, prognostizierte Boettcher. Wenn Deutschland so ein scharfes Wettbewerbsrecht habe, könnte es dazu kommen, dass sich Unternehmen überlegen könnten, wo sie stattdessen hingehen wollen.
Rupprecht Podszun, Direktor des Instituts für Kartellrecht an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf, sieht in dem durch den Gesetzentwurf gestärkten Wettbewerb hingegen einen Standortvorteil: Wenn sich Unternehmen darauf verlassen könnten, dass es in Deutschland keine Wettbewerbsnachteile gebe, spreche das für sie ja vielleicht genau für diesen Standort. „Ich glaube, wir brauchen diese Novelle, weil wir nicht immer hinterherlaufen wollen“, sagt Podszun, der auf Vorschlag der Fraktion von Bündnis 90/Die Grünen eingeladen worden war. Es gebe hierzulande eine „strukturelle Wettbewerbsarmut“, die sich über Jahre und Jahrzehnte verfestigt habe, so Podszun. Den Begriff der Wettbewerbsstörung weiter zu präzisieren als im Gesetzentwurf vorgesehen, halte er für nicht sehr hilfreich. Da man nicht absehen könne, wie sich Märkte entwickelten, sei es nicht erstrebenswert, „den Begriff bis ins Detail zu definieren“, sagte der Fachmann.
Heike Schweitzer, Inhaberin des Lehrstuhls für Bürgerliches Recht, deutsches und europäisches Wirtschafts- und Wettbewerbsrecht und Ökonomik an der Humboldt-Universität zu Berlin, hatte hierzu eine konträre Haltung: Es bestehe die Gefahr einer Aufladung des Begriffs Wettbewerbsstörung, wenn dieser nicht näher definiert würde, sagte die Sachverständige, die auf Vorschlag der CDU/CSU-Fraktion zur Anhörung eingeladen worden war. Es sei zwar unbestritten, dass die herkömmlichen Wettbewerbsregeln nicht sämtliche Störungen adressieren, schreibt Schweitzer in ihrer schriftlichen Stellungnahme aus. „Für eine Rechtfertigung der in Paragraph 32f GWB-RegE vorgesehenen' erweiterten Sektoruntersuchung' reicht dies allerdings nicht aus.“
Martin Peitz, Professor für VWL und Angewandte Ökonomik an der Universität Mannheim, hingegen sah die Notwendigkeit einer erweiterten Sektoruntersuchung gegeben. Das Bundeskartellamt habe nach aktuellem Recht keine Möglichkeiten, Maßnahmen zu ergreifen, wenn der Wettbewerb signifikant gestört sei, aber kein nachweisbar missbräuchliches Verhalten vorliege. Zudem seien Sektoruntersuchungen auch dann eine gute Maßnahme, wenn die Wettbewerbsintensität durch Schocks wie internationale Krisen eingeschränkt werde und durch den Rückgang des internationalen Handels der Wettbewerb geschwächt würde, sagte Peitz, der auf Vorschlag der SPD-Fraktion an der Anhörung teilnahm.
Kim Manuel Künstner, Anwalt für Kartellrecht und Partner in der Kanzlei Schulte Rechtsanwälte in Frankfurt am Main, sagte, dass er im bisherigen GWB eine Lücke sieht. Die Einführung des Paragraphen 32f als Möglichkeit, nach einer Sektoruntersuchung Maßnahmen gegen betreffende Unternehmen zu ergreifen, bewertete der auf Vorschlag der Fraktion Die Linke eingeladene Sachverständige als ein „im Grunde richtiges Instrument“, da es sehr breit aufgestellt sei. Es sei jedoch auch zu beachten, dass dadurch die Verfahren länger und kostspieliger würden, so Künstner. In der Bilanz sei es jedoch richtig, „dass man sich mehr auf den Wettbewerbsprozess konzentriert“.
Andreas Mundt, Präsident des Bundeskartellamtes, konstatierte, dass sich ja alle einig seien, dass „es Märkte gibt, die verkrustet sind“. Zu den Befürchtungen der Kritikerinnen und Kritiker der Novelle sagte Mundt, dass es nicht darum gehe, von staatlicher Seite Märkte zu steuern und Preise festzulegen: „Es besteht kein Grund zur Sorge, dass das Bundeskartellamt ganze Industriezweige designt.“ Es gehe vielmehr darum, das Wettbewerbsprinzip des Entdeckungsverfahrens wieder möglich zu machen, sagte der Fachmann, der auf Vorschlag aller Fraktionen an der Anhörung teilnahm. Für nicht realisierbar hielt Mundt jedoch die vom Gesetzgeber anvisierte maximale Dauer der Sektoruntersuchung von 18 Monaten: „Das ist aus unserer Sicht ambitioniert. Unterschätzen Sie nicht die Dauer der Abläufe“, sagte er in Richtung der Abgeordneten.
Das Video zur Anhörung, die Stellungnahmen der Sachverständigen sowie weitere Informationen zum Gesetzentwurf der Bundesregierung: https://www.bundestag.de/dokumente/textarchiv/2023/kw24-pa-wirtschaft-11-gwb-novelle-951258